Die Übermutter der Siedler Daniella Weiss gehörte zu den - TopicsExpress



          

Die Übermutter der Siedler Daniella Weiss gehörte zu den Pionieren der Siedlerbewegung im Westjordanland. Ihr Kampfgeist ist mit 68 Jahren ungebrochen. Das macht sie zum Idol der radikalen Rechten in Israel. Wenn Daniella Weiss mit ihrem Jeep die Rohbauten entlangfährt, erfüllt dieser Anblick sie mit Euphorie, ihr jung gebliebenes Gesicht bekommt einen sanften Zug: «Sehen Sie sich das an, ist das nicht wunderbar?» Es ist eine Frage, auf die sie keine Antwort erwartet, schon gar nicht von jemandem aus Europa. Die in Bau befindlichen Einfamilienhäuser sind für sie die in Beton gegossene Verwirklichung ihrer Vision, eine weitere Festigung von Kdumim, dieser Siedlung, die sie 1975 mit ein paar Dutzend Mitstreitern der Bewegung Elon Moreh neben einer Armeebasis gegründet hat. Die Familien hausten zuerst in Zelten, später in Containern. «Damals existierte hier nichts, es war unbestelltes Land ohne Besitzer», erinnert sich Weiss. «Wir fühlten uns als echte Pioniere, als Teil eines zionistischen Wunders. Wir befreiten dieses Land, das Gott unseren Vätern Abraham, Isaak und Jakob gegeben hatte.» Daniella Weiss entwickelte sich rasch zu einem führenden Kopf der Bewegung und begann, einen Revolver auf sich zu tragen, um sich und ihre Töchter zu schützen – vor einer Räumung durch die israelische Armee. Wie eine Guerillera wollte sie sich gegen eine gewaltsame Vertreibung zur Wehr setzen, notfalls zusammen mit ihren Kindern. «So, wie der Mensch Luft, Wasser, Nahrung und ein Dach über dem Kopf braucht zum Leben, so brauchen wir dieses Land», sagt Daniella Weiss. Sie vertritt damit das Credo des religiösen Zionismus, der Israel in erster Linie als heiliges Land betrachtet – und nicht als einen säkularen, demokratischen Staat. Von der Armee in Ruhe gelassen Die Siedler berufen sich auf den jüdischen Rabbi und Philosophen Nachmanides, der im 13. Jahrhundert die Inbesitznahme «des uns von Gott gegebenen Landes» zu einer Mizwa erklärte, einem religiösen Gesetz. Es gehört zur Rhetorik der Siedlerbewegung, sich als neue Pioniere zu stilisieren. Sie sehen sich als Nachfolger jener, die seit Ende des 19. Jahrhunderts das Fundament für die Gründung des Staates Israel legten, indem sie das Land kultivierten, Städte und Dörfer gründeten. Dass es damals nicht um die Schaffung eines Staates jüdischen Glaubens, sondern im Sinn Theodor Herzls um eine säkulare jüdische Nation ging, lassen sie gerne ausser Acht. Während andere Siedlungen der Bewegung Elon Moreh von der Armee geräumt wurden, blieb Kdumim unangetastet dank des sogenannten Sebastia-Kompromisses. Eine UNO-Resolution hatte Zionismus 1975 pauschal als eine Form des Rassismus gebrandmarkt – ein Triumph für die arabische Diplomatie nach der Blamage im Jom-Kippur-Krieg zwei Jahre zuvor. Jüdische Gemeinden weltweit protestierten gegen die Resolution. Bilder von israelischen Soldaten, die Siedler gewaltsam vertrieben, wollte Ministerpräsident Yitzhak Rabin in dieser Situation verhindern. Daniella Weiss und ihre Mitstreiter mussten ihre Zelte, die sie in Sebastia bei Nablus errichtet hatten, zwar abreissen. Als Kompromiss erhielten sie jedoch den Boden, auf dem Kdumim steht, heute eine Siedlung mit luxuriösen Häusern, diversen Schulen, Landwirtschaftsbetrieben, Tankstelle und Gästehaus und rund 4000 Einwohnern, Tendenz steigend. Daniella Weiss hat sich als Bürgermeisterin in den 90er-Jahren denn auch vehement gegen einen Zaun gewehrt, der um das Dorf herum errichtet werden sollte. «Ich habe die Pfähle mit meinen eigenen Händen wieder herausgerissen. Dieser Zaun wäre ein Korsett gewesen, das Ende der Entwicklung.» Sie foutiert sich um das israelische Gesetz Unser Jeep hat mittlerweile den höchsten Punkt der Siedlung erreicht. Vor uns breiten sich die Olivenplantagen von Kfar Kadum aus. Das arabische Nachbardorf von Kdumim untersteht palästinensischer Zivilverwaltung. «Wir lehnen es strikt ab, dieses Land zu besiedeln. Es ist in arabischem Privatbesitz», stellt Daniella Weiss klar. Der Zutritt ist hier Israelis erlaubt, anders als in der nahe gelegenen Stadt Nablus, die verbotenes Territorium ist. Beim Stichwort Nablus lächelt Daniella Weiss leicht spöttisch, den arabischen Namen lässt sie nicht gelten, für sie heisst die Stadt hebräisch Shechem. «Hier befindet sich Josefs Grab, eine der heiligsten Stätten des Judentums. Man könnte sagen, dass dieser Ort eine Wiege der jahrtausendealten jüdischen Nation ist. Es ist eine Tragödie, dass er uns genommen wurde.» Vor zweieinhalb Jahren hat sie sich mit 500 Gleichgesinnten aufgemacht, vor den Toren der Stadt die Siedlung Regev zu gründen. Sie foutierten sich um das israelische Gesetz, das neue Bauten nur innerhalb der Grenzen bestehender Siedlungen erlaubt. Die Armee machte denn auch kurzen Prozess und zerstörte die errichteten Häuser wieder. Es ist ein ewiger Reigen, der für Daniella Weiss seit Jahrzehnten Teil ihres Kampfes ist: Wird hier eine Siedlung geräumt, errichten ihre Anhänger an anderer Stelle eine neue. Die Übermutter der Siedler betreut derzeit 31 «Gemeinschaften», wie sie die über die Hügel des Westjordanlands verstreuten Siedlungen nennt. Eine dieser «Gemeinschaften» ist Har Chemed. Hier lässt sich erleben, wie es auch in Kdumim einmal begann. Ein Grossteil der 60 Siedler lebt in Wohncontainern, eine einfache Synagoge ist eben erst eingeweiht worden. Doch auch die ersten Wohnhäuser sind bereits fertig. Eine junge Frau kommt zum Schwatz aus einem blauen Häuschen. «Eine richtige Villa hast du dir da hingestellt», sagt Daniella Weiss. Die Frau nickt: «Wenn alles fertig ist, lade ich dich zum Essen ein, damit du meine Familie kennen lernst.» Leute wie diese Frau seien die neuen Pioniere, die dieses Land befreiten, sagt Daniella Weiss: «Sie bringen die Energie mit, die es braucht, um dieses Leben zu führen.» Die Immobilienkönigin Ihr Blick richtet sich in die Ferne, wo sich die Skyline von Tel Aviv im Dunst abzeichnet. Vordergründig könnte man meinen, die Welt dort habe mit ihr nichts zu tun, schliesslich ist Tel Aviv die liberale Hochburg, die sich gern abhebt vom Rest Israels. Doch Daniella Weiss hat in der Stadt ihre Kindheit und Jugend verbracht und Mitte der 60er-Jahre Englisch und Philosophie studiert. Heute besitzen sie und ihr Mann Dutzende von Immobilien in der City, zum Beispiel das bei jungen Künstlern und Intellektuellen beliebte Café Bialik. Diese städtische Avantgarde hält Daniella Weiss für eine Verrückte, eine von missionarischem Eifer getriebene Extremistin, die nicht nur das internationale Recht mit Füssen tritt, sondern auch einen dauerhaften Frieden mit den Palästinensern verunmöglicht. Andere qualifizieren die Siedler um Daniella Weiss als folkloristische Truppe ab, die von der Zeit überholt und nicht mehr ernst zu nehmen ist. Im Westen wiederum lautet das Urteil: Die israelische Siedlungspolitik im Westjordanland verstosse gegen humanitäres Völkerrecht. Doch es gibt auch andere Stimmen. Der verstorbene Rechtswissenschaftler Eugene Rostow von der Yale Law School zum Beispiel vertrat die Meinung, die vierte Genfer Konvention von 1949 – insbesondere Artikel 49, welcher die Pflichten einer Besatzungsmacht regelt – sei nur begrenzt auf das Westjordanland übertragbar. Denn eine «zwangsweise Einzel- oder Massenumsiedlung» in die besetzten Gebiete habe es nie gegeben. Weiss und ihre Mitstreiter zogen nicht auf Geheiss der Regierung nach Judäa und Samaria, das Westjordanland, sondern dem Ruf ihrer Überzeugung folgend – mit der Unterstützung prominenter Likud-Politiker wie Menachem Begin. Viele andere liessen sich aber nicht aus ideologischen, sondern aus rein wirtschaftlichen Gründen im Westjordanland nieder, weil es hier erschwinglicheren Wohnraum als in Israel gibt. Aktivisten aus Europa und den USA «Bevor wir herkamen», erklärt Daniella Weiss, «lebten die Araber in absolut erbärmlichen Verhältnissen. Wir boten ihnen geregelte Arbeit, ihr Lebensstandard hat sich dank der Siedlungen deutlich erhöht.» Als Beispiel nennt sie die Industriezone der Siedlung Barkan, die 120 Unternehmen umfasst. Über die Hälfte der Beschäftigten dort sind Palästinenser. «Ein Aufruf der Palästinensischen Autonomiebehörde, die Arbeit zu verweigern, ist ohne grosses Echo geblieben. Keiner der Arbeiter wollte seinen Job gefährden.» Die Kritiker aus dem Westen trifft Daniella Weiss in Gestalt eines Grüppchens wütender Aktivisten, die sich jeden Freitag auf dem Zufahrtsweg von Kfar Kadum nach Kdumim versammeln, um gegen die Siedler zu protestieren. Das arabische Nachbardorf sei ein friedlicher Ort gewesen, bevor die erste Intifada 1987 ausgebrochen sei und die Dorfbewohner aufgestachelt habe. Später seien Aktivisten aus Europa und den USA aufgetaucht, Daniella Weiss nennt sie «Anarchisten», und hätten die Wut geschürt. An die Adresse des Westens erklärt sie unmissverständlich: «Es spielt für mich keine Rolle, ob ihr uns liebt oder hasst. Wir brauchen euch nicht. Eure Kritik zeugt von ungeheurer Ignoranz. Die Juden sind für euch immer noch ein Problem, ein Unruhefaktor, da hat sich nichts geändert.» Europa sei ein hoffnungsloser Fall, es habe vor den Arabern kapituliert und hofiere sie, wo es nur gehe. Von Terror geprägt Im Gespräch fällt auf, wie selten Daniella Weiss das Wort «Palästinenser» benutzt. Diese bezeichnet sie als «neue Formation», als Volk, das erst Mitte der 60er-Jahre geschaffen worden sei. Sie vertritt eine radikale Einstaatenlösung, in der das Westjordanland vollständig in Israel aufgeht und nur diejenigen Palästinenser erwünscht sind, welche die israelische Souveränität zwischen Jordan und Mittelmeer anerkennen. Ihr Furor mag durch eine persönliche Tragödie zusätzliche Nahrung erhalten haben. 2002 wurden ihr Schwiegersohn, seine Eltern und sein Grossvater von palästinensischen Terroristen erschossen. Vier Jahre später folgte der nächste Schlag: Ein als orthodoxer Jude getarnter Selbstmordattentäter sprengte sich bei der Tankstelle am Ortseingang von Kdumim in die Luft und riss mehrere Siedler mit in den Tod. Als prominenteste Siedlerin könnte sie selbst ins Visier von Terroristen geraten – das ist Daniella Weiss bewusst: «Ich habe permanent Angst. Das Leben ist nun einmal gefährlich. Wenn mir etwas zustossen sollte, habe ich zumindest für meine Überzeugungen gekämpft. Ich habe das Leben in die eigenen Hände genommen und diesen Geist weitergegeben. Das gibt mir eine ungeheure Ruhe.» tagesanzeiger.ch/ausland/naher-osten-und-afrika/Die-Uebermutter-der-Siedler/story/14432211
Posted on: Thu, 10 Oct 2013 13:43:38 +0000

Trending Topics



Recently Viewed Topics




© 2015