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Landmedizin in Österreich - Aktuelle Situation und Zukunft Landarzt: Definition, Situation und Zukunft Gemäß der Definition der Österreichischen Ärztekammer (ÖÄK) gilt als Landarzt, wer als Allgemeinmediziner mit Gebietskrankenkassenvertrag in einer Gemeinde mit bis zu 3000 Einwohnern tätig ist oder wer als einer von maximal zwei Kassen-Allgemeinmedizinern in einer Gemeinde eine Ordination betreibt. Wer glaubt, dass sich dahinter eine vernachlässigbare Kleingruppe verbirgt, der irrt: 40 Prozent aller Kassen-Allgemeinmediziner fallen in diese Gruppe. Gemeinsam sind diese derzeit 1563 niedergelassenen Ärzte für die hausärztliche Versorgung von immerhin 43 Prozent aller Österreicherinnen und Österreicher verantwortlich. Noch. Denn geht man vom Regelpensionsalter aus, fallen in den nächsten zehn Jahren mehr als die Hälfte der Landärzte pensionsbedingt aus, ein Viertel aller derzeit tätigen geht bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre in Pension. Immer weniger Bewerber überlegen immer länger Immer weniger Jungmediziner bewerben sich um Landarztstellen, und von diesen springen immer mehr ab, sobald sie sich ein Bild von den Lebens- und Arbeitsbedingungen am ausgeschriebenen Standort gemacht haben. Das liegt unter anderem am eingeschränkten kulturellen und sozialen Angebot, das oft nicht dem Lebenskonzept der Nachfolgegeneration entspricht, die in der Stadt studiert hat und die Vorteile des urbanen Lebens schätzen gelernt hat. Ein weiterer wichtiger Grund ist die Tatsache, dass Familiengründung und die Entscheidung für oder gegen eine eigene Ordination in der Regel in denselben Lebensabschnitt fallen. Es ist nur legitim, dass sich auch junge Ärztinnen und Ärzte nach einer langjährigen Ausbildung genau überlegen, ob sie mit einer Landarztpraxis überhaupt in der Lage sein werden, eine Familie finanziell zu erhalten, die Betreuung der Kinder und deren Schulausbildung zu organisieren und Arbeit und Freizeit so auszugleichen, wie es ihren Vorstellungen entspricht. – Umso notwendiger sind daher leistungsgerechte Honorarsysteme und flexible Arbeitszeitmodelle, damit sich Jungmediziner auf diesen zweifellos auch sehr erfüllenden Beruf einlassen. In fast allen Bundesländern müssen Landarztstellen inzwischen mehrfach und oft auch österreichweit ausgeschrieben werden. In Vorarlberg fand sich zum Beispiel im vergangenen Jahr für fünf Stellen nur jeweils ein Bewerber, wobei eine Stelle dreimal ausgeschrieben worden war. Noch Anfang der 2000er-Jahre musste in diesem Bundesland keine einzige Stelle zweimal ausgeschrieben werden. In Oberösterreich kamen 2001 noch fünf Bewerber auf eine Landarztstelle , im Vorjahr waren es durchschnittlich 1,2. In Niederösterreich hat sich die Zahl der Bewerber trotz Mehrfachausschreibungen von 2008 auf 2012 halbiert und in Salzburg wurden mangels Bewerber zwei Ordinationen in namhaften Tourismusgemeinden ruhend gestellt. Medizinische Versorgung auf dem Land sichern Die Menschen werden immer älter, das hat Auswirkungen auf die gesamte medizinische Versorgung. Auf dem Land aber sind alte oder chronisch kranke Menschen noch viel mehr auf den Hausarzt im Ort angewiesen als in urbanen Gebieten. Denn die Jungen arbeiten meist auswärts oder sind längst in die Stadt gezogen – sie können die Fahrt zum Arzt und auch die weitere Versorgung ihrer Angehörigen oft nicht organisieren. Das heißt, der Landarzt kommt nicht nur im Notfall ins Haus, sondern auch zu Routineuntersuchungen und -behandlungen. Es ist fünf vor Zwölf, wenn es um die Sicherstellung der medizinischen Versorgung auf dem Land geht. Es bleibt zu hoffen, dass die Gesundheitsreformer rasch Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Landärztinnen und -ärzten setzen, damit sich auch in Zukunft Jungmediziner für diesen Beruf entscheiden. Das bedeutet vor allem: leistungsgerechte Vergütungssysteme, flexible Arbeitszeitmodelle, geregelte und zumutbare Bereitschaftsdienste am Wochenende und in der Nacht, liberale Formen der Zusammenarbeit, Kinderbetreuung, Unterstützung bei der Organisation von Ordinations- und Wohnraum, Sicherstellung bestehender und Einrichtung neuer Hausapotheken, weniger Bürokratie und ungestörte ärztliche Therapiefreiheit. Bereitschaftsdienste, Hausbesuche Ein Landarzt mit maximal einem weiteren Kassen-Allgemeinmediziner im Ort hat durchschnittlich jedes zweite Wochenende und jede zweite Nacht Bereitschaftsdienst. Diese Bereitschaft mündet in der Regel direkt in die „normale" Ordinationszeit, das geht mit den Jahren sehr an die Substanz. Insbesondere, wenn man die Distanzen am Land bedenkt: Meist sind es zehn Kilometer bis zum Patienten, aber auch Hausbesuche bei 20 bis 30 Kilometer entfernten Patienten sind keine Seltenheit. Pro Jahr absolviert ein Landarzt um die tausend Hausbesuche – bei jeder Witterung. Aufgabenspektrum, Wochenarbeitszeit In vielen Bundesländern sind infolge gesetzlicher Änderungen in den vergangenen Jahren mögliche Zusatzverdienste, wie etwa die Tätigkeit als Sprengel- oder Schularzt, abhanden gekommen. Gleichzeitig haben Landärzte Funktionen zu erfüllen, die nicht angemessen abgegolten werden: Der Landarzt fungiert zum Beispiel oft als örtliche Sanitätsbehörde und ist damit beratendes Organ der Gemeinde in Fragen der medizinischen Versorgung, was auch einen zusätzlichen Verwaltungsaufwand bedeutet. Die Totenbeschau fällt ebenso in seine Kompetenz wie die oft schwierige Entscheidung über Einweisungen in geschlossene psychiatrische Anstalten. Darüber hinaus erwartet man von einem Landarzt, dass er zum Beispiel für Feuerwehr- oder Bergrettung tätig ist – das allerdings meist ehrenamtlich. Zusammen mit dem stetig wachsenden bürokratischen Aufwand ergibt das eine durchschnittliche Wochenarbeitszeit von 70 bis 80 Stunden. Informelle Beanspruchung Hinzu kommt, dass ein Landarzt auch informell viel stärker beansprucht wird als ein Allgemeinmediziner im städtischen Bereich.Das bedeutet beispielsweise, dass der Nachbar außerhalb der Dienstzeiten anfragt, ob man nicht doch noch schnell beim chronisch kranken Vater daheim vorbeischauen könnte. Für einen Arzt am Land ist es meist schwieriger, Privat- und Berufsleben zu trennen. Viele Probleme der Landmedizin könnten durch eine konsequente Umsetzung des Haus- und Vertrauensarzt-Modells der ÖÄK gelöst werden. Bis zum heutigen Tag ist nichts geschehen – sieht man von wortreichen Beteuerungen zur Stärkung der Rolle des Haus- und Vertrauensarztes in Regierungsprogrammen und Stellungnahmen ab. Große Verantwortung, hohe Anforderungen, niedriges Einkommen Zynisch könnte man sagen: „Wer bei den heutigen Kassentarifen Landarzt wird, ist im besten Fall ein Idealist." Denn sie stehen in keinem Verhältnis zur Verantwortung und den Anforderungen, die dieser Beruf stellt. Durch den immer größeren Anteil chronisch Kranker steigt generell die Häufigkeit der Arztbesuche. Die wachsende Zahl älterer Patienten führt zu höherem Betreuungsaufwand, weil viele an mehreren chronischen Erkrankungen leiden. Außerdem ist das medizinische Leistungsspektrum eines Landarztes größer als das eines Allgemeinmediziners in der Stadt, wo Fachärzte und Ambulanzen in nächster Nähe zur Verfügung stehen. Ein Landarzt führt zum Beispiel auch kleine chirurgische Eingriffe durch oder versorgt Knochenbrüche. Die dafür nötige Ausstattung wie etwa ein Röntgengerät muss angeschafft, dann aber auch gewartet werden. Das heißt: Wer eine Praxis auf dem Land übernimmt, hat mit größeren Investitions- und Wartungskosten zu rechnen als in der Stadt. Dazu kommen Vertretungs- und Personalkosten sowie Ausgaben für Fortbildung. Steigender Frauenanteil – aber nicht am Land Für eine Landarztstelle erwärmen sich nach wie vor eher männliche Jungärzte, doch genau diese Gruppe wird kleiner, während der Frauenanteil in der Medizin rapide steigt. Die Zukunft der Landmedizin wird daher ganz wesentlich davon abhängen, ob es gelingt, Frauen für diese Tätigkeit zu gewinnen. Denn natürlich bietet der Beruf des Landarztes auch viele Vorteile: Nähe zur Natur und damit leichterer Zugang zu sportlichen Freizeitmöglichkeiten, langjährige persönliche Beziehungen zu Patienten und ihren Familien, große soziale Wertschätzung, wichtige Rolle im Gemeindeleben. Bei möglichen Bewerbern stehen allerdings nicht ohne Grund existenzielle Sorgen im Vordergrund und auch die Angst, dem vielfältigen Aufgabenspektrum eines Landarztes nicht gewachsen zu sein. Neben angemessenen Honoraren und flexiblen Arbeitszeitmodellen muss daher unbedingt in Lehrpraxen investiert werden. Die Erfahrung zeigt, dass die meisten Jungärztinnen und -ärzte, die eine Lehrpraxis auf dem Land absolviert haben, erst dadurch die positiven Aspekte dieses Berufs erkennen. Und, ganz wesentlich: Sie wissen, was mit einer Landarztpraxis auf sie zukommt und sie trauen sich das viel eher zu als Bewerber ohne Lehrpraxis. Hausapotheken in Gefahr Die derzeit 885 Hausapotheken stellen für Landarztpraxen einen unverzichtbaren Einkommensbestandteil dar. Ab Ende 2013 steht es Apothekern allerdings per Gesetz frei, in Gemeinden mit zwei Kassen-Allgemeinmedizinern eine öffentliche Apotheke einzurichten. Landärzte mit Hausapotheke dürfen diese dann zwar noch drei Jahre lang betreiben, nicht aber an einen Nachfolger abgeben. Der Verlust der Hausapotheke gefährdet die wirtschaftliche Basis einer Praxis auf dem Land, was immer öfter dazu führt, dass Landärzte abwandern oder früher als geplant in den Ruhestand treten. Zurück bleiben unversorgte Patienten, denn es ist nahezu unmöglich, Nachfolger für eine Landarztpraxis ohne Hausapotheke zu finden. FACTSHEET Definition: Gemäß Österreichischer Ärztekammer gilt als Landarzt, wer als Allgemeinmediziner mit Gebietskrankenkassenvertrag in einer Gemeinde mit bis zu 3000 Einwohnern tätig ist oder wer als einer von maximal zwei Kassen-Allgemeinmedizinern in einer Gemeinde eine Ordination betreibt. Versorger und Versorgte: Derzeit sind 1563 Landärztinnen und -ärzte in Österreich tätig. Das entspricht 40 Prozent aller Kassen-Allgemeinmedizinerinnen und -mediziner. Zusammen sind sie für die allgemeinmedizinische Versorgung von rund 3,6 Millionen Österreicherinnen und Österreicher verantwortlich, das sind 43 Prozent der Bevölkerung. Auf einen Landarzt kommen derzeit ca. 2300 Einwohner. Hausbesuche: Pro Jahr absolviert ein österreichischer Landarzt durchschnittlich 1000 Hausbesuche. Alle Landärzte zusammen: rund 1,5 Millionen Hausbesuche pro Jahr. Alter: Ausgehend vom Regelpensionsalter: In den nächsten fünf Jahren gehen 26 Prozent (400 Personen) der Landärztinnen und -ärzte in Pension. In den nächsten zehn Jahren sind 56 Prozent (872) der Landarztpraxen pensionsbedingt nachzubesetzen. Frauenanteil: 21 Prozent aller Landärzte sind weiblich. Damit ist der Frauenanteil bei den Landärzten um ein Drittel geringer als der Frauenanteil in der Gruppe der Kassen-Allgemeinmediziner, die nicht als Landärzte gelten (32 Prozent). Hausapotheken: Derzeit führen 885 Allgemeinmediziner mit GKK-Vertrag eine Hausapotheke (Stand November 2012). Im Jahr 2000 gab es noch 952 Hausapotheken in ganz Österreich. Forderungen der Österreichischen Ärztekammer zur Stärkung der Landmedizin: leistungsgerechte Vergütungssysteme flexible Arbeitszeitmodelle geregelte, zumutbare Bereitschaftsdienste am Wochenende und in der Nacht liberale Formen der Zusammenarbeit Kinderbetreuung Unterstützung bei der Organisation von Ordinations- und Wohnraum Sicherstellung bestehender und Einrichtung neuer Hausapotheken weniger Bürokratie ungestörte ärztliche Therapiefreiheit Förderung der Lehrpraxen [ 27.02.2013 ]
Posted on: Tue, 06 Aug 2013 17:13:31 +0000

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