Alles dreht sich um das richtige Leben Als Richard David Precht - TopicsExpress



          

Alles dreht sich um das richtige Leben Als Richard David Precht in Köln Philosophie studierte, stand in seinem Fach hinter jeder zweiten Professorenstelle „kann wegfallen“. Zum Start der phil.Cologne erklärt der Bestsellerautor, warum selbst Naturwissenschaftler Philosophie brauchen. Von Frank Olbert Kölner Stadt-Anzeiger: Herr Precht, was ist Philosophie? Richard David Precht: Von alters her ist Philosophie die Frage nach dem Rechten oder Richtigen. Die abendländische Philosophie entsteht und kommt zu erster Blüte bei Platon und Aristoteles und stellt die Kernfrage nach dem richtigen Leben. Alles andere ist dieser Frage untergeordnet. Und ich finde, dass es nach wie vor die richtige Frage ist. Das ist aber nur ein Aspekt von Philosophie. Precht: Wenn Sie in eine Buchhandlung gehen, dann finden Sie Einführungen in die Philosophie, in denen ausschließlich von Logik die Rede ist, von Sprachlogik. Das sind Bücher von Hochschulphilosophen, nach denen Philosophie eine hochformalisierte, strenge Wissenschaft ist. Diese analytische Philosophie, die auf Wittgenstein zurückgeht, ist eine Erfindung des 20. Jahrhunderts und sehr wirkungsmächtig vor allem in der angelsächsischen Welt, aber mittlerweile auch bei uns. Sie betrachtet sich als die einzige Philosophie. Auf welche Seite schlagen Sie sich? Precht: Ich gehöre zu den Menschen, die die analytische Philosophie nicht so richtig ernst nehmen, weil sie keinen entschiedenen Gegenstandsbezug mehr besitzt. Sie beschäftigt sich schon per definitionem gar nicht mehr mit den Problemen, welche die Frage nach dem richtigen Leben aufwirft. An diesem Punkt mache ich mir auch Sorgen. Wenn es an den Unis nur noch historische Spezialisten gibt, also Altbausanierer im Bereich des Geistes – es muss sie geben, aber ich sage: nur noch! –, oder wenn es nur noch analytische Philosophen gibt, dann ist von außen nicht mehr erkennbar, wozu es Philosophie-Professoren überhaupt gibt. Hat Philosophie auch einen lebenspraktischen Bezug? Precht: Ja, aber bitte nicht in diesem Ratgebersinn. Nicht in dem Sinne, dass man einfache Antworten auf komplexe Fragen gibt. Aber was wäre denn eine Philosophie ganz ohne lebenspraktischen Bezug wert? Aus meiner Sicht nicht so viel. Gilt das auch für die Lehre, die sogenannte reine? Precht: Als ich in den 80er Jahren in Köln Philosophie studiert habe, stand hinter jeder zweiten Professorenstelle ein k.w.-Vermerk – kann wegfallen. Weil aus der Sicht einer zum Sparen verdonnerten Landesregierung nicht mehr einsichtig war, wozu es das alles geben muss. Wenn die Philosophie sich nicht mehr darum bemüht, viele mitzunehmen und nach außen zu rechtfertigen, wozu das Ganze gut ist, dann wird sie gar keine Zukunft mehr haben. Fordern Sie von den Philosophen, sich mehr einzumischen? Precht: Ich möchte nicht jeden zwingen sich einzumischen. Aber man sollte sich schon die Frage stellen, ob das, was man macht, nicht allein wissenschaftlich relevant ist, sondern auch gesellschaftlich. Wenn Sie Philosophieprofessor werden wollen, müssen Sie entweder eine gediegene historische Arbeit schreiben oder sich hoch spezialisiert im analytischen Feld betätigen. Das sind aber in der Regel Menschen, die sich nicht zu Gegenwartsproblemen, sagen wir, zur Finanzkrise äußern. Wir brauchen andere Gewichtungen. Die historischen Philosophen haben den Gegenwartsbezug verloren, die Analytiker haben den Gegenstandsbezug verloren. So wird Philosophie aussterben. Wer ist überhaupt Philosoph? Jemand, der Philosophie studiert hat? Precht: Die Frage habe ich mir nie gestellt. Für mich ist jemand Philosoph, der mit philosophischen Mitteln und Theorien und mehr oder weniger philosophischer Sprache auf einer Metaebene über Gesellschaft nachdenkt. Ob das dann eine Berufsbezeichnung ist, ist mir persönlich, ehrlich gesagt, gleichgültig. Sie haben sich in Ihrem jüngsten Buch mit Schule und Pädagogik befasst. Lernen die Schüler genug über Philosophie? Precht: Viel zu wenig. Mir geht es aber nicht so sehr um Philosophie als Fach, denn wenn wir ehrlich sind, ist sie gar kein Fach. Es handelt sich ja nicht um ein bestimmtes Wissensgebiet, das ich mir aneigne, sondern es geht um die Frage nach dem richtigen Leben. Das ist kein Wissensgebiet. Kant hat in seiner Schrift um den Streit der Fakultäten gesagt, die Philosophie sei quasi die Metadisziplin, die anderen Disziplinen dabei hilft, sich zu vernetzen und sich besser zu verstehen, als sie sich aus der Innenperspektive heraus verstehen können. Diese Definition ist aktueller denn je. Weil wir in einer hoch spezialisierten, eben doch in Wissensgebiete aufgegliederten Wirklichkeit leben. Precht: Unsere Welt ist so dermaßen in Expertenfächer zerfallen, dass diese Arbeit, als Scout für Sinndefizit unterwegs zu sein oder als Konsens-Arrangeur, mit einem enormen gesellschaftlichen Bedürfnis zusammenfällt. Nun gibt es Gegenpositionen zu Kant, zum Beispiel Jean Piaget, der in „Weisheit und Illusion der Philosophie“ die Wissenschaftlichkeit der Philosophie bestreitet. Die reserviert er für die Naturwissenschaften. Precht: Auch Popper hat die Philosophie stark verwissenschaftlicht, mit der Folge, dass sie sehr langweilig wurde. Naturwissenschaftler mögen das, aber Poppers Philosophie ist so wissenschaftlich, dass das Philosophische wieder herausgekürzt ist. Man tut dem Markenkern der Philosophie keinen Gefallen durch Verwissenschaftlichung. Eine Wissenschaft ist Philosophie nicht. Ist sie also das Gegengewicht zu den Naturwissenschaften, die sich enorm verselbstständigt haben? Precht: Absolut. Ich finde, dass Philosophie schon in die Ausbildung der Naturwissenschaftler integriert werden müsste. Die sollen in Ethik Scheine machen, denn die Wahrscheinlichkeit, dass sie später mit ethischen Problemen zu tun haben, ist groß. Umgekehrt sollte ein Philosoph in seiner Ausbildung Scheine machen in Jura, in Grundlagen der Makroökonomie oder in Hirnforschung.
Posted on: Wed, 26 Jun 2013 20:00:20 +0000

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