Das neue gesellschaftliche Rollenmodell verlangt ein - TopicsExpress



          

Das neue gesellschaftliche Rollenmodell verlangt ein „Unternehmerisches Selbst“ (Bröckling 2007), das sich als Unternehmer des eigenen Lebens versteht. Die Beschwörung des Unternehmergeistes erweist sich somit als paradoxe Mobilisierung: Jeder soll Entrepreneur werden, aber wären es tatsächlich alle, wäre es keiner.“ (Bröckling 2007: 126) Der Anspruch der Sozialen Arbeit, Menschen in ihrer Lebensführungsverantwortung zu begleiten und zu bestärken, wurde aufgeweicht. Im Vordergrund steht nun die Erziehung zur Lebensleistungsverantwortung. Der Auftrag der Arbeitsvermittler ist die Integration in den ersten Arbeitsmarkt. Arbeitslose werden angehalten, ihre bisherigen Lebenskonzepte aufzugeben. Sie müssen sich den Anforderungen des Arbeitsmarktes im Sinne eines flexiblen Marktsubjektes anpassen. Der Arbeitsvermittler übernimmt die Rolle des Erziehers. Mittels seiner aktivierenden Methoden und Praxen soll aus dem Arbeitslosen ein „unternehmerischer Mensch“ werden. Der Umbau des Sozialstaates zum Aktivierungsstaat Im Grundgesetz der Bundesrepublik wurde festgelegt, dass der deutsche Sozialstaat ein „sozialer Bundesstaat“ (Art.20,1 GG) und ein „sozialer Rechtsstaat“ (Art.28,1 GG) ist. Damit wurde als Staatsziel festgelegt, dass die Förderung sozialer Gerechtigkeit eine öffentliche Aufgabe ist. Der fürsorgende Sozialstaat entstand mit dem Ziel, die Risiken des Marktes zu begrenzen. Im Sinne einer keynesianischen Wirtschafts- und Sozialpolitik nahm der Staat also Einfluss auf die Kräfte der Marktwirtschaft (Willenborg 2011: 9) und griff als „Garant des Gemeinwohls“ (Lamping et al. 2002: ein, um wirtschaftliche Ungleichgewichte auszugleichen und sozial abzufedern. Vor dem Hintergrund der finanziellen Krise und steigender Arbeitslosenzahlen gewannen politische Konzepte an Einfluss, die eine Begrenzung und Reduzierung der Staatsaufgaben zum Ziel hatten. Es handelt sich um neoliberale Konzepte, wie sie beispielsweise im Programm des „Schlanken Staats“ vertreten werden. Es gibt zunehmend weniger Menschen, die lebenslang in fester Anstellung im Rahmen einer Vollzeitstelle für ein einziges Unternehmen arbeiten und von diesem Gehalt eigenständig eine Familie ernähren. Diese Form von Erwerbstätigkeit galt lange Zeit als das „Normalarbeitsverhältnis“. Nun treten an diese Stelle neue Formen, wie Kleinselbstständige, befristet Beschäftigte, Leiharbeiter, Mini- und Midijobber oder Dauerpraktikanten (Hans-Böckler-Stiftung 2012). Sowohl der freiberufliche Schauspieler, der sich mit Kellnern über Wasser hält oder die Journalistin, die sich als freie Mitarbeiterin von Job zu Job hangelt, als auch der Geringqualifizierte Ein-Euro-Jobber hat mit den Unsicherheiten der Erwerbstätigkeiten zu kämpfen. Workfare statt Welfare (Workfare ist ein Beriff Welfare USA) Jede Arbeit ist besser als keine Arbeit. Aktivierungspolitik hat das Ziel Hilfebedürftigkeit durch die Vermittlung in den ersten Arbeitsmarkt schnellstmöglich zu beenden. Existenzsichernde Leistungen werden an die Pflicht zur Arbeit oder zumindest an den Nachweis über die Bemühung um eine Erwerbstätigkeit gekoppelt. Die Erbringung von Gegenleistungen für finanzielle Transferleistungen macht deutlich, dass der Staat den Bürger als nicht nur mit Rechten, sondern auch mit Pflichten ausgestattet betrachtet (Dahme/Wohlfahrt 2005: 5). So ist der Leistungsempfänger angehalten, sich mit aller Kraft um Arbeit zu bemühen und jede ihm zugemutete Arbeit anzunehmen, um keine Kürzung der staatlichen Zuwendungen zu riskieren. Der Bürger wird zum „Arbeitskraftunternehmer“ (Pongratz/Voß 2002) und verpflichtet sich zu einer marktkonformen Lebensorientierung, um sich den wechselnden Anforderungen des Arbeitsmarktes immer wieder anzupassen. Wer die Arbeitsaufnahme aus einem für den Staat nicht ersichtlichen Grunde verweigert oder keine ausreichenden Mitwirkung zur Arbeitsaufnahme nachweisen kann, muss mit Einschränkungen und Sanktionen rechnen die den Transferempfänger zu mehr Eigeninitiative bewegen sollen. Der Missbrauchsverdacht gegenüber Leistungsempfängern sei gesellschaftlicher Konsens und die Akzeptanz des Steuerzahlers gegenüber sozialen Sicherungssystemen verringere sich, lautet das Argument für immer repressiveren Strategien der aktivierenden Arbeitsmarktpolitik (Aust et al. 2006: 2). Der angebliche Leistungsmissbrauch durch vermeintlich arbeitsunwillige Personen wird von der Politik noch befördert und für die Legitimation von verschärften Kontrollen und Sanktionen genutzt. So lautete der Titel eines Papiers aus dem Bundesministerium für Wirtschaft und Arbeit „Vorrang für die Anständigen – Gegen Missbrauch, ,Abzocke’ und Selbstbedienung im Sozialstaat“ (2005). Die Annahme, dass durch eine Ausweitung des Niedriglohnsektors eine höhere Beschäftigung erreicht würde ist nicht haltbar (Aust et al. 2006: . Durch die Substitution von Arbeitsgelegenheiten und Niedriglohn-Jobs würde die Schaffung von regulären sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungen eher verhindert (ebd.). Die hohe Verschuldung von Bund und Ländern ließen keinen Zweifel daran, dass sich der Sozialstaat in der Krise befand (ebd.: 30). „Wir wollen einen effizienten und bürgerfreundlichen Staat. Deshalb werden wir Bürokratie abbauen und den Staat zum Partner der Bürgerinnen und Bürger machen. Leitbild ist der aktivierende Staat.“(SPD und Bündnis 90/Die Grünen 1998: Kap.XI, Nr.11) Mit der Agenda 2010 hat die Bundesrepublik einen der tiefsten gesellschaftspolitischen Einschnitte ihrer Geschichte erfahren. So wird zum Beispiel dem Arbeitslosen, der es nicht schafft eine Arbeitsstelle zu finden, sein Scheitern als mangelnde Anstrengung vorgehalten (ebd.). Liberale Gerechtigkeitstheorien erheben Gleichheit zum Ansatzpunkt für die Produktion von Gerechtigkeit und argumentieren, dass Gerechtigkeit verwirklicht wird, wenn jeder Staatsbürger die gleiche Behandlung erfahre (Maaser 2006: 39). Das bedeutet auch, dass Individuen mit gleicher Leistung gleich behandelt und solche mit ungleicher Leistung ungleich behandelt werden. Hier wird das Prinzip der Leistungsgerechtigkeit deutlich, dass besagt, dass jedem Individuum das zusteht, was durch seine Leistung entstanden ist (Ebert 2010: 46). Durch die arbeitsmarktpolitischen Reformen ist es zu einer Zunahme von Zwang und materiellem Druck gegenüber Leistungsbeziehern gekommen. Die sanktionsbewährte Eingliederungsvereinbarung und die Beendigung des Qualifikationsschutzes sind zwei Indikatoren für die verstärkte repressive Ausrichtung von arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen. Durch das Herausfallen aus dem sozialen Versicherungssystem nach einem Jahr gehen außerdem biografische und statusbezogene Ansprüche, wie sie der Arbeitslosenhilfe zugrunde lagen, verloren (Promberger 2010: 10). Soziale Arbeit und Sozialstaat sind durch die Etablierung des aktivierenden Staates in ein neues Verhältnis gesetzt worden (Dahme / Wohlfahrt 2011: 402). Diese Veränderungen sollen im Folgenden genauer beleuchtet werden, um aktivierungsparadigmatische Tendenzen in der Sozialen Arbeit aufzuzeigen und einen möglichen sozialpädagogischen Paradigmenwechsel auszumachen. Erwähnt sei hier, dass im disziplinären Diskurs die Verflechtung von Sozialstaat und Sozialer Arbeit eher wenig Beachtung gefunden hat (Schönig 2004). Der Staat spielt in der Theorie zur Sozialen Arbeit eine eher untergeordnete Rolle: „Dem Staat ist in der Theorie Sozialer Arbeit keine prominente Rolle vergönnt. Das mag man bedauern oder auch nicht – befremden sollte es. Das Ausmaß der Nicht-Thematisierung des Staates im Rahmen der Diskussionen im wissenschaftlichen Feld der Sozialen Arbeit grenzt an Ignoranz.“ (Schaarschuch 2003: 36 ff) Träger sozialer Dienstleistungen verpflichten sich vertraglich, bestimmte Ziele zu einem bestimmten Zeitpunkt erreicht zu haben. Die Organisation ihrer Arbeit wird ihnen dabei selbst überlassen. Die Einführung des Kontraktmanagements installiert Auftraggeber-Auftragnehmer-Beziehungen zwischen Vertretern des Staates und den Leistungserbringern. Das ermöglicht Leistungs- und Kostenvergleiche und führt zu einem Unterbietungswettbewerb (Buestrich/Wohlfahrt 2008: 18). Im Rahmen dieser Ökonomisierung des Sozialsektors, die primär eine Kostenreduzierung für soziale Dienstleistungen und eine Effizienzsteigerung bei den Leistungserbringern durch verstärkten Wettbewerb verfolgt, gerät Soziale Arbeit zunehmend unter Druck (Dahme/Wohlfahrt 2005: 15). Es ist ein Trend zu beobachten, wonach Ausschreibungsverfahren vermehrt nach effizienz- und wirtschaftlichkeitsorientiertem Vergaberecht durchgeführt werden. Es geht darum, Hilfebedürftige zu empowern, damit sie zu eigenverantwortlichen Subjekten werden, wobei es sich um eine „neo-soziale, responsibilisierende Form des Empowerments“ (Heite et al. 2007: 65) handelt. Das Ziel sozialpädagogischen Handelns, den Klienten auf dem Weg zu einem selbstbestimmten Leben zu unterstützen wird im aktivierenden Sozialstaat zu einem „Programm subjektiver Lebensgestaltungsverantwortung“ (Kessl 2006: 230). Kollektive Solidaritätsstrukturen werden zugunsten subjektiver Verantwortung in Frage gestellt. Soziale Probleme werden nicht als strukturelle Probleme erkannt, sondern dem Verhalten des Einzelnen zugeschrieben. Neu ist, dass „im Rahmen der aktuellen aktivierungspolitischen Neujustierung des Sozialen staatliche Maßnahmen selbst pädagogisiert“ werden (ebd.: 224). Bei mangelnder Kooperation werden im aktivierenden Staat dann auch Kontrolle und Sanktionen legitim. „Nichtanpassung an aktivierende Angebote rechtfertigt dann letztlich auch staatlichen Zwang und Repression“ (Dahme/Wohlfahrt 2003: 91). Die Kontrollfunktion der Sozialen Arbeit ist aber nicht erst mit den sozialstaatlichen Transformationen entstanden. Das Spannungsfeld „Hilfe und Kontrolle“ existiert von jeher in der Sozialen Arbeit und äußert sich in dem doppelten Mandat von Sozialer Arbeit, die einerseits als Anwalt des Hilfebedürftigen agiert und gleichzeitig soziale Kontrollinstanz im Auftrag des Staates ist (Bock/Thole 2011) Integration im Sinne von aktivierender Sozialpolitik meint Aktivierung zur Übernahme von Eigenverantwortung. Statt bestimmte Leistungen zu garantieren wird Hilfe zur Selbsthilfe angeboten. Der Bürger wird dabei unterstützt Eigeninitiative zu entfalten und wird dadurch auch verantwortlich für das Ergebnis seiner Entscheidungen (Kocyba 2004: 20). Für Menschen, die vorbehaltloser Fürsorge bedürfen und nicht in der Lage sind eine Gegenleistung für die soziale Grundsicherung zu erbringen eignet sich dieser Aktivierungsansatz nicht und hat außerdem eine exkludierende Wirkung. „Aktivierung meint somit die Zuschreibung von Verantwortung auch unter Bedingungen, unter denen wir nach üblicher Betrachtung gerade nicht in der Lage sind, wirklich Verantwortung zu übernehmen.“ (Kocyba 2004: 20) Instrumentalisierung pädagogischer Konzepte Aktivierung und Selbstführung bekommen im derzeitigen aktivierungspolitischen Kontext eine neue Konnotation. Der aktivierende Sozialstaat macht sich Konzepte und Handlungsansätze der Sozialen Arbeit zu eigen und unterwirft diese seiner eigenen Logik (Lutz 2010: 48). Begriffe wie Aktivierung und Eigenverantwortung, die von jeher zu den pädagogischen Prinzipien gehörten, werden neu gedeutet und mit anderen Inhalten gefüllt. Ziel pädagogischer Maßnahmen ist subjektive Selbstführung durch ein bestimmtes Maß an Fremdführung zu erlangen. Um Subjektivität zu ermöglichen bedarf es Erziehung, so erklärt Michael Winkler die Legitimation von Erziehung (Hamburger 2008: 123). Das Subjekt steht im Verhältnis zur Welt und ist in soziale Beziehungen eingebunden. Subjektivierung geschieht durch eine andauernde Auseinandersetzung des Subjektes mit der Welt, die es umgibt. Winklers sozialpädagogischer Theorie zufolge setzt sozialpädagogisches Handeln an, wenn für das Subjekt Aneignungsprobleme in seiner Welt bestehen. Zu den Grundbestimmungen von Sozialer Arbeit gehört die Anerkennung der Adressaten als Subjekte. Pädagogische Tätigkeit ist also immer darauf angelegt, Selbsttätigkeit zu erreichen und folgt dem Prinzip „Hilfe zur Selbsthilfe“ (ebd.). Daraus ergibt sich das von Andreas Walther (2005) konstatierte „Aktivierungsdilemma“, das Soziale Arbeit vor die Aufgabe stellt, sich dem Diskurs um Aktivierung zu stellen. Es findet eine neue Kontextualisierung von eigentlich traditionellen methodischen Handlungsprinzipien der Sozialen Arbeit statt. Aktivierung, Stärkung der Eigenverantwortung, Hilfe zur Selbsthilfe oder Empowerment sind fachlich akzeptierte Arbeitsmethoden in der Sozialpädagogik, die durch einen veränderten sozialpolitischen Kontext neu besetzt werden (Dahme/Wohlfahrt 2005). Im aktivierenden Sozialstaat werden Konzepte und Handlungsmethoden der Sozialen Arbeit vereinnahmt und ursprünglich emanzipatorische Konzepte einer neoliberalen Logik unterworfen (Kessl 2006: 228). Exemplarisch soll das an den Beispielen Case-Mangement und Empowerment aufgezeigt werden. Im aktivierenden Sozialstaat werden Konzepte und Handlungsmethoden der Sozialen Arbeit vereinnahmt und ursprünglich emanzipatorische Konzepte einer neoliberalen Logik unterworfen (Kessl 2006: 228). Exemplarisch soll das an den Beispielen Case-Mangement und Empowerment aufgezeigt werden. Case-Management Einhergehend mit der beschriebenen Ökonomisierung der Sozialen Arbeit ist es zu einem vermehrten Einsatz von Case-Management in den Dienstleistungsbereichen des Sozial- und Gesundheitswesens gekommen (Hansen 2011: 353). Case-Management in der Sozialen Arbeit gilt als Antwort auf sozialstaatliche Ökonomisierungstendenzen. Kritische Stimmen heben die problematischen Seiten des Case-Managements hervor und stellen das Konzept insbesondere in seiner managerialistischen Ausprägung in Frage (Hansen 2011: 357). ( von Lara Schmidt ) Mit freundlichen Grüßen Karl-Wilhelm Schmidt Bremervörde 18.11.2013
Posted on: Mon, 18 Nov 2013 17:21:38 +0000

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