Die Thukydides-Falle 29.10.2013 BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) - TopicsExpress



          

Die Thukydides-Falle 29.10.2013 BERLIN/BEIJING (Eigener Bericht) - Die Berliner Debatte über mögliche militärische Konfrontationen zwischen dem Westen und der Volksrepublik China dauert an. Manche Experten verträten die Ansicht, dass die Bemühungen des Westens, den chinesischen Aufstieg aufzuhalten und ihn zu verlangsamen, sich nicht nur in der Stärkung regionaler Verbündeter in Ost- und Südostasien erschöpfen werde, heißt es in einer aktuellen Publikation der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung. Zumindest die Vereinigten Staaten könnten durchaus in einen direkten Konflikt mit China um die Hegemonie im asiatisch-pazifischen Raum treten, der aller Wahrscheinlichkeit nach mit kriegerischen Mitteln ausgetragen werden würde. In Aufrüstung sowie militärisches Training der ost- und südostasiatischen Verbündeten des Westens ist auch Deutschland zunehmend involviert. Auch wenn es nicht zu einem Krieg kommen sollte, sei auf jeden Fall ein verschärfter Sicherheitswettbewerb rings um den Pazifik zu erwarten, bekräftigt ein Politikwissenschaftler von der Münchener Bundeswehr-Universität. Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik, der zentrale militärpolitische Think-Tank der Bundesregierung, hat sich im Juni umfassend mit der Aufrüstung Chinas befasst - und Szenarien für bewaffnete Konflikte unter Beteiligung Chinas diskutiert. China als globale Feuerwehr Hintergrund der seit geraumer Zeit anhaltenden Debatte über mögliche militärische Konfrontationen zwischen dem Westen und China ist zunächst der seit Jahrzehnten ungebrochene wirtschaftliche Aufstieg der Volksrepublik. China ist mittlerweile dabei, die Vereinigten Staaten als Handelsmacht Nummer eins weltweit abzulösen. Experten gehen zudem davon aus, dass auch das chinesische Bruttoinlandsprodukt das US-amerikanische in nicht allzu ferner Zukunft überholen wird. Mit dem deutlich wachsenden ökonomischen Einfluss geht eine langsam, aber stetig zunehmende politische Macht einher. Gleichzeitig ist der Westen, wie es jüngst in einer Veröffentlichung der CSU-nahen Hanns-Seidel-Stiftung hieß, aufgrund der Weltfinanzkrise im Jahr 2009 (...) immer weniger in der Lage, seine Probleme selbst zu lösen. China habe zuletzt sogar, wie die Finanzkrise gezeigt habe, die Rolle einer Feuerwehr zur Beseitigung von globalen Krisen übernommen. Die zunehmende Beteiligung Chinas an der Weltbank führe dazu, dass die USA dort die Kontrolle zu verlieren drohten. Es stelle sich langsam, aber sicher die Frage, heißt es bei der Seidel-Stiftung: Hat China mittlerweile vielleicht ein dem Westen überlegenes System?[1] Von westlichen Allianzen umwoben Zu Konflikten führt Chinas Aufstieg bislang vor allem in seinem unmittelbaren regionalen Umfeld, insbesondere in Ost- und Südostasien. Dort könne man das chinesische Bestreben erkennen, den Einfluss der USA zurückzudrängen, schreibt der Politikwissenschaftler Carlo Masala von der Münchener Bundeswehr-Universität. Dies sei historisch gesehen nichts Ungewöhnliches: Auch die USA hätten, als sie zur Weltmacht aufstiegen, die Mächte Europas aus ihrem unmittelbaren Vorfeld in Lateinamerika hinausgedrängt, um ihre Stellung zu sichern. Masala urteilt: China verhält sich hier wie eine ganz normale, aufsteigende Großmacht.[2] Dies bedrohe allerdings Herrschaftsinteressen in Washington. Für die USA als maritime Macht sei es von existenzieller Bedeutung, über den Pazifik hinweg beide Gegenküsten offen zu halten, also die Kontrolle über Ost- und Südostasien nicht zu verlieren. Andernfalls stehe letztlich die US-amerikanische Hegemonie in Frage. In der Tat bemüht sich Washington, seine Militärbündnisse mit Staaten Ost- und Südostasiens (Gegenküste) zu stärken - in jüngster Zeit unter zunehmender Beteiligung Deutschlands, das seine Rüstungslieferungen und seine militärpolitische und militärische Kooperation mit mehreren Ländern der Region intensiviert (german-foreign-policy berichtete [3]). China sei inzwischen von einem Netz von Allianzen unter dem Schutz der USA umwoben, urteilt der CSU-Außenpolitiker Thomas Silberhorn.[4] Deutsch-europäische Interessen Mit Blick auf die wachsenden Spannungen, die die westliche Einmischung in Ost- und Südostasien verursacht, intensivieren verschiedene Außenpolitik-Organisationen inzwischen die Debatte über mögliche militärische Konfrontationen zwischen dem Westen und China. Dabei wird durchaus berücksichtigt, dass Deutschland und die EU nicht dieselben Interessen wie die USA verfolgen. So urteilt etwa der Politikwissenschaftler Shaosheng Tang aus Taipei in einer Kurzuntersuchung für die Hanns-Seidel-Stiftung, die europäischen Staaten hätten viel mehr Handels- als strategische Interessen in Ost- und Südostasien, während es ihnen - jedenfalls gegenwärtig - an effektiven Mitteln fehle, sich unmittelbar in Ostasien einzumischen.[5] Die Hegemonialfrage stelle sich für sie nicht im gleichen Maße wie für die USA. Allerdings räumt Tang ein, die Europäer würden es zur Sicherung ihrer ökonomischen Interessen durchaus gerne sehen, dass die USA in Ostasien für Ordnung sorgen. Hinzu kommt, dass die ökonomische Interessenlage sich aus Sicht deutscher Unternehmen mit dem weiteren Aufstieg Chinas erheblich verkompliziert. So sind - wegen spürbarer Abänderungen in der chinesischen Wirtschaftspolitik - im ersten Halbjahr 2013 die Exporte in die Volksrepublik, die für die deutsche Industrie erhebliche Bedeutung besitzen, erstmals seit langer Zeit zurückgegangen; für die Zukunft lässt sich nicht ausschließen, dass die chinesische Industrie aktuelle Einfuhren aus der Bundesrepublik substituiert und langfristig sogar zur Konkurrenz für deutsche High-Tech-Branchen wird (german-foreign-policy berichtete[6]). Damit nähme die deutsch-chinesische Rivalität unweigerlich zu. Interventions-Abwehr Angesichts wachsender Konflikte zwischen China und den USA und einer Interessenlage, die im Falle der Konflikt-Eskalation eine Positionierung Berlins an der Seite Washingtons immer wahrscheinlicher macht, hat sich im Juni die Bundesakademie für Sicherheitspolitik gemeinsam mit der Konrad-Adenauer-Stiftung (CDU) unter Federführung des Politikwissenschaftlers Martin Wagener (Fachhochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung) mit einer Untersuchung der militärischen Kräfteverhältnisse in Ost- und Südostasien befasst. Im Rahmen einer Konferenz (3. Trierer China-Gespräche) wurden Szenarien für bewaffnete Konflikte um Taiwan und im Südchinesischen Meer diskutiert. Darüber hinaus analysierte Wagener den Stand wichtiger chinesischer Rüstungsprojekte wie etwa des Flugzeugträgers Liaoning, des Stealth-Kampfflugzeugs J-20 und der Anti-Ship Ballistic Missile Dongfeng (DF 21D). Wagener wies darauf hin, dass für die chinesische Aufrüstung ein Vorfall im Jahr 1996 auslösend gewesen sei: Damals hätten die USA per Kanonenbootpolitik - sie entsandten zwei Flugzeugträgergruppen in die Nähe der chinesischen Küste - in Auseinandersetzungen zwischen Beijing und Taipei interveniert. China sei daraufhin dazu übergegangen, Kriegsgerät zu beschaffen, mit dem erneute Interventionen der USA an der chinesischen Peripherie kompliziert werden könnten.[7] Auf ein weiteres Motiv weist der CSU-Außenpolitiker Silberhorn hin. Demnach müsse in Rechnung gestellt werden, dass Chinas Potenzial zu nuklearer Abschreckung zusehends dadurch beeinträchtigt werde, dass die USA zusammen mit ihren Partnern ihre Raketenabwehr im asiatisch-pazifischen Raum ausbauen.[8] Offiziell richtet sich diese nur gegen die Demokratische Volksrepublik Korea. Tatsächlich aber ist sie, wie Silberhorn einräumt, ein Teil der westlichen Aufrüstung gegen China. Krieg: nicht unwahrscheinlich Mit der Frage, ob die Konflikte zwischen den USA und China tatsächlich in einen Krieg münden werden, befassen sich explizit mehrere Beiträge in einer aktuellen Publikation der Hanns-Seidel-Stiftung. So beschreibt etwa der Politikwissenschaftler Carlo Masala verschiedene theoretische Perspektiven. Während manche Wissenschaftler davon ausgingen, dass eine friedliche Koexistenz möglich sei, verträten andere die Auffassung, die Vereinigten Staaten würden sich auf lange Sicht darum bemühen, den chinesischen Aufstieg aufzuhalten und ihn zu verlangsamen. Dies werde in einem ersten Schritt (...) durch die Stärkung regionaler Verbündeter erfolgen; in einem zweiten Schritt würden dann die USA in einen direkten Konflikt mit China um die Hegemonie im asiatisch-pazifischen Raum treten, der aller Wahrscheinlichkeit nach mit kriegerischen Mitteln ausgetragen werden würde.[9] Auch Anhänger anderer theoretischer Annahmen räumten ein, es werde zu verschärfter Rivalität in Ost- und Südostasien kommen. Ob diese aber in einen Krieg mündet, hängt letzten Endes von staatsmännischer Klugheit auf beiden Seiten ab, urteilt Masala; in der Geschichte habe es allerdings oft genug Situationen gegeben, in denen es an dieser Klugheit und der daraus resultierenden Zurückhaltung gefehlt habe. In 11 von 15 Fällen Politikwissenschaftler Tang (Taipei) weist in derselben Publikation darauf hin, dass es in der Geschichte immer wieder zu Kriegen gekommen sei, weil hegemoniale Staaten den Aufstieg neuer Mächte hätten verhindern wollen. Das Phänomen werde auch Thukydides-Falle genannt: Der griechische Historiker Thukydides schrieb einst die Schuld am Krieg zwischen Sparta und dem aufsteigenden Athen der Befürchtung Spartas zu, Macht und Einfluss an Athen abgeben zu müssen. Die Thukydides-Falle könne zuschnappen (...), wenn das aufsteigende China und die etablierte Supermacht USA nicht miteinander zurecht kämen, warnt Tang: Seit dem Jahr 1500 sei es, wenn eine aufsteigende Macht mit einer stabilen Macht kollidierte, nicht selten zu einem Krieg gekommen - in 11 von 15 Fällen.[10] Weitere Berichte und Hintergründe zur deutschen China-Politik finden Sie hier: Chinas Boom und die deutschen Reaktionen, Ein Feuerring um China, Der wankende Hegemon, Wettrüsten auf See, Im Dialogmodus, Dimensionen des Kalten Krieges, China zerschlagen (II), Ein Feuerring um China (II), Deutschlands neue Rolle, Die Vorwärtsverteidigung des Westens, Chinas Lebenslinien (I), Konfliktzonen der Zukunft und Exporte in Gefahr. [1] Shaosheng Tang: Der Streit um die Diaoyutai-/Senkaku-Inseln, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013 [2] Carlo Masala: Folgen für das internationale System, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013 [3] s. dazu In Chinas Einflusszone (I), Die Pax Pacifica (II) und Die Pax Pacifica (III) [4] Thomas Silberhorn: Chinas Außenbeziehungen zwischen Politik der Zurückhaltung und Politik der Stärke, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013 [5] Shaosheng Tang: Der Streit um die Diaoyutai-/Senkaku-Inseln, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013 [6] s. dazu Exporte in Gefahr [7] Matthias Schneider: Trierer China-Gespräche, Berlin 2013. Tagungsbericht [8] Thomas Silberhorn: Chinas Außenbeziehungen zwischen Politik der Zurückhaltung und Politik der Stärke, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013 [9] Carlo Masala: Folgen für das internationale System, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013 [10] Shaosheng Tang: Der Streit um die Diaoyutai-/Senkaku-Inseln, in: Politische Studien Nr. 451, September/Oktober 2013
Posted on: Mon, 28 Oct 2013 19:41:51 +0000

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