Ein ausgezeichneter bayerischer Sturkopf Von Petra Krimphove - TopicsExpress



          

Ein ausgezeichneter bayerischer Sturkopf Von Petra Krimphove Drucken per Mail Franz Daschner holt tief Luft und hält kurz inne. Dann entfährt es dem Freiburger Umweltmediziner wie ein tiefer Seufzer: Das ist eine ungeheure Genugtuung. Daschner wurde vor wenigen Wochen als Wegbereiter des modernen Umweltschutzes in deutschen Krankenhäusern mit dem renommierten Deutschen Umweltpreis 2000 ausgezeichnet. Der Sechzigjährige genießt sichtlich die öffentliche Aufmerksamkeit, die diesen Preis begleitet. Ich schwebe auf Wolke sieben, bekennt er. Das ist die Krönung meiner Arbeit. Um Daschners Euphorie zu verstehen, muss man wissen, dass der Direktor des Freiburger Instituts für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene seit Jahrzehnten als Querulant und Enfant terrible seines Faches gilt - und seinen Ruf durchaus pflegt. Mit vielen Kollegen steht der nach eigenen Worten bayerische Sturkopf auf Kriegsfuß. Der Grund: Daschner wird nicht müde, den Hygienewahn in deutschen Kliniken zu geißeln. Ständiges Schrubben, Wienern und Desinfizieren verhindert keine Infektionen, so sein Credo. Putzen hat sehr wenig mit moderner Krankenhaushygiene zu tun. Es sind vor allem die körpereigenen Keime des Patienten, die Krankenhausinfektionen verursachen. Daschner ist eigentlich Facharzt für Kinderheilkunde, Mikrobiologie, Hygiene und Labormedizin. Seit 1976 ist der gebürtige Regensburger Professor am Freiburger Universitätsklinikum, das mit 1 780 Betten und 8 000 Beschäftigten eines der größten Krankenhäuser Deutschlands ist. Bevor Daschner dort 1992 den ersten deutschen Lehrstuhl für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene bekam, leitete er im selben Haus die Abteilung für Klinikumshygiene. Seit über fünfundzwanzig Jahren beschäftigt sich der Wissenschaftler mit der Frage, welcher Zusammenhang zwischen den Hygienestandards in einem Krankenhaus und der Zahl der tödlichen Infektionen besteht. Auf den Intensivstationen zählen Harnwegsinfektionen, Blutvergiftungen, Lungenentzündungen und Wundinfektionen nach der Operation zu den häufigsten Todesursachen. In Daschners Augen sind die meisten dieser Infektionen aber nicht vermeidbar. Sie sind die Kehrseite der modernen Medizin, sagt der Wissenschaftler. Rund drei Viertel der Infektionen seien schicksalhaft, da sie durch die körpereigenen Keime des Patienten verursacht werden. Kein Mensch ist keimfrei, die Haut- und Darmflora jedes Patienten ist voller Erreger, erklärt Daschner. Wenn dann nach einer Operation das Immunsystem geschwächt sei, oder sogar für eine Transplantation völlig heruntergefahren werde, um eine Abstoßung zu verhindern, führten diese Keime schnell zu einer Infektion. Beispielsweise, wenn beim Katheterlegen Darmbakterien in die Blase gelangten. Keime auf den Fußboden, auf den Betten und auf den Matratzen seien nicht die Ursache. Seine provokanten Thesen hat Daschner gemeinsam mit seinem Berliner Kollegen Henning Rüden in zwei Studien belegt (Nosokomiale Infektionen in Deutschland - Erfassung und Prävention, abgekürzt Nidep I und Nidep II). Beide Mediziner leiten gemeinsam das in Berlin ansässige Nationale Referenzzentrum für Krankenhaushygiene. In der ersten Studie wurden erstmals für Deutschland repräsentative Zahlen über die Häufigkeit von Krankenhausinfektionen erhoben. Demnach infizieren sich 3,6 Prozent der Patienten während eines Klinkaufenthaltes, auf der Intensivstation liegt die Rate bei 15,3 Prozent. In der zweiten Studie wiesen Daschner und Rüden nach, dass nur ein Viertel dieser Infektionen hätten verhindert werden können. Und zwar in erster Linie durch mehr Achtsamkeit der Ärzte. Sie desinfizierten sich weit seltener als das Personal die Hände, sagt Daschner. Dabei würden neun von zehn Kontaktinfektionen mit den Händen übertragen. Wenn es nach dem Umweltmediziner ginge, gehörte das Ritual des Händeschüttelns zwischen Arzt und Patient in der Klinik deshalb ganz abgeschafft. Viele von Daschners Kollegen halten hingegen an der alten Hygienetheorie fest. So kritisierte kurz nach der Preisverleihung an Daschner der Vorsitzende des Arbeitskreises für Krankenhaushygiene, Hans Rudolph, dass in deutschen Kliniken Hygienevorschriften zunehmend lasch gehandhabt würden. Unverantwortliche Einsparungen am falschen Platz, so Rudolph, könnten dazu führen, dass die Infektionsgefahr weiter wachse. Völliger Quatsch, kontert Daschner derartige Vorwürfe. Sie müssen einen Patienten schon mit dem offenen Bauch durchs Zimmer schleifen, damit er sich durch Keime vom Fußboden infiziert. Auch die deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene ist nicht gut auf den Quertreiber zu sprechen. Die werfen mir vor, ich mache die Krankenhaushygiene kaputt, sagt Daschner. Der quirlige Wissenschaftler hat im Laufe der Jahre die Freiburger Klinikverwaltung von seinen Thesen überzeugen können und das traditionelle Umwelt- und Hygienemanagement auf den Kopf gestellt. Das Freiburger Modell spart der Klinikverwaltung jährlich Millionenbeträge. Im südbadischen Großklinikum werden 200 000 Quadratmeter Bodenfläche seit 1994 nur noch nass aufgewischt und nicht desinfiziert. Dadurch verringerte sich die eingesetzte Menge von Desinfektionsmitteln um jährlich 2,7 Tonnen. Die Zahl der Krankenhausinfektionen hat sich dadurch nicht erhöht. Darüber hinaus haben die Freiburger Wege gefunden, um den Verbrauch von Wasser und Energie drastisch zu senken und durch das Recyceln von Müll und Einwegmaterial Kosten zu sparen. Elf Tonnen Wäsche täglich werden nur noch bei 70 statt bei 90 Grad Celsius gewaschen. Einwegprodukte wie zum Beispiel Ernährungssonden wandern nach dem Gebrauch nicht in die Mülltonne, sondern werden wieder aufbereitet und mehrmals verwendet. Gemeinsam mit der Pharmaindustrie hat Daschners Institut wiederverwertbare Verpackungen entwickelt. Klimaanlagen in den OPs werden erst kurz vor der Operation eingeschaltet und statt zwei gibt es in jedem Bett als Grundausstattung nur ein Kopfkissen. Insgesamt, so schätzt die Universität, konnten durch Ideen wie diese seit 1992 rund 98 Millionen Mark eingespart werden. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die zu enormen Einsparungen führen. So serviert man den Kaffee und Tee nicht mehr wie früher in einem Kännchen nebst Tasse und Untertasse, sondern nur noch in einer großen Henkeltasse. Das Klinikum spart auf diese Weise 55 000 Mark im Jahr. Auch wenn ihm nach wie vor Widerspruch entgegenschlägt, kann Daschner jetzt allmählich die Früchte seiner Arbeit ernten. Krankenhäuser aus aller Welt wollen sich von ihm und seinen mittlerweile rund sechzig Mitarbeitern beraten lassen. Für den ursprünglich kostenlosen Service nimmt der Freiburger nun Geld - die Beratung ist zu einer wichtigen Finanzquelle seines Instituts geworden. Und was fängt der Wissenschaftler mit den 500 000 Mark an, die ihm Europas höchstdotierter Umweltpreis einbringt? Ich kaufe mir eine Wohnung am Bodensee und ein Segelboot, sagt er mit einem verschmitzten Gesicht - nur um zwei Sekunden später mit seinem unüberhörbaren Regensburger Dialekt lachend hinzuzufügen: Schmarrn, das Geld stecke ich ins Institut. Dort wird es dringend gebraucht. Streitbarer Preisträger // Franz Daschner wurde am 18. Mai 1940 in Regensburg geboren. Er studierte Medizin in München und arbeitete danach an der Kinderklinik der dortigen Universität. Ein Jahr lang forschte er an Hochschulen in den USA. Seit 1976 ist er am Universitäts-klinikum in Freiburg. Besonders intensiv befasst sich Daschner seither mit der Hygiene in Krankenhäusern. Seine These: Zu viel Sauberkeit nützt den Patienten nichts, sondern schadet nur der Umwelt. Als erster Professor in Deutschland bekam er 1992 einen Lehrstuhl für Umweltmedizin und Krankenhaushygiene. Mit dem Umweltpreis 2000 belohnt die Deutsche Bundes-stiftung Umwelt die Aufklärungsarbeit, die Daschner geleistet hat. Ihm sei es zu verdan-ken, dass immer mehr Krankenhäuser moder-nen Umweltschutz praktizierten, heißt es zur Begründung. (kat. ) ZEITENSPIEGEL/PHILIPP SEITZ Typisch Franz Daschner: Der Freiburger Umweltmediziner trinkt lieber Leitungswasser als Mineralwasser. Auch sonst ist er Purist. Ständiges Schrubben und Desinfizieren in Krankenhäusern hält er für übertrieben.
Posted on: Sun, 27 Oct 2013 10:12:22 +0000

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