Eröffnungsgottesdienst der Interkulturellen Woche 2013 Sonntag, - TopicsExpress



          

Eröffnungsgottesdienst der Interkulturellen Woche 2013 Sonntag, 22.September 2013, in St. Elisabeth um 11.00 Uhr Bundesweites Motto: Wer offen ist, kann mehr erleben! Unser erster Bibeltext steht im dritten Buch Mose, ich lese Vers 34: Der Fremdling soll unter euch wohnen wie ein Einheimischer. Der zweite Bibeltext steht in Hebräer 13,ich lese Vers 2. Gastfrei zu sein vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt. Ich glaube, an normalen Tagen werden viele resigniert aufstöhnen und abwiegelnd einwenden: Die Bibel hat gut reden. Die Realität sieht an diesem schicksalsträchtigen Wahlsonntag anders auf. Unsere Verantwortlichen kämpfen mit gestiegenen Flüchtlingszahlen und müssen flugs Gebäude des Bürgerhospitals oder eines Schwesternwohnheims in Rohr als Asylbewerberunterkünfte requirieren. Bei einem Gespräch am 7.9. 2013 meinte unser neuer OB, die Lage werde härter. Deshalb müsse ein konsensfähiges Tabu gegen rechte Polemik und gegen Fremdenhass errichtet werde, damit Toleranz und Weltoffenheit in unserer Stadt keinen Schaden nehmen. Für katholische Christen hat ja der neue Papst Franziskus eindeutige Zeichen gesetzt, die unsere Gedanken aufgreifen, als wir angesichts eines hoffnungslos überfüllten Auffanglagers auf der Mittelmeerinsel Lampedusa und angesichts leer stehender Unterkünfte in unserer Stadt 2008 zur Errichtung einer Luftbrücke aufgerufen haben, um gefährdetes Leben vor dem Ertrinken oder vor dem Zurückschicken ins blanke Elend zu retten. Wie es der neue Papst in Lampedusa angesichts von 30 000 gestrandeten und 20 000 ertrunkenen Menschen getan hat, geißeln auch wir Flüchtlingsfreunde die globale Gleichgültigkeit gegenüber den Hilfeschreien der Verzweifelten. Wie der Papst meinen auch wir, man müsste den mehr als 7000 Flüchtlingen christlichen Beistand gewähren, die seit Jahresbeginn 2013 auf Lampedusa eingetroffen sind, und sie in unsere wohlhabende, politisch stabile Region herholen. Seit wir von der Not der Bootsflüchtlinge wissen, haben wir diese humanitäre Katastrophe aufgegriffen und eine Unterschriftenaktion „Luftbrücke Stuttgart -Lampedusa rettet Leben“ initiiert. Ich habe im SWR - Fernsehen vor einer zum Abriss bestimmten Unterkunft in Botnang erklärt, dass hier die Lampedusa - Flüchtlinge wohnen könnten. Als wir am 7.11.2011 unsere Unterschriften für die Errichtung einer Luftbrücke Lampedusa – Stuttgart der Sozialbürgermeisterin übergaben, haben wir bei ihr tiefe Betroffenheit ausgelöst und das feste Versprechen, unseren Aufruf nicht versanden zu lassen. Trotz diesem Versprechen, trotz uns wohl gesinntem neuen OB in Stuttgart - eine Luftbrücke ist nicht in Sicht! Im Gegenteil, trotz überschaubarer absoluter Zahlen von knapp 2 000 unterzubringenden Menschen in Stuttgart wird durch den Hinweis auf die prozentuale Steigerung gegenüber dem Vorjahr eine Art Notstand ausgerufen und Panikstimmung erzeugt, nach dem Hochwasser bedrohe uns nun auch noch eine Flüchtlingsflut. Wir Flüchtlingsfreunde empfehlen, sich von den prozentualen Steigerungen nicht verunsichern zu lassen, sondern nüchtern auf die absoluten Zahlen zu schauen. Diese stehen in keinem Verhältnis mit den millionenfach Vertriebenen aus Syrien und den Aufnahmeproblemen in den angrenzenden kleinen Nachbarländern wie dem Libanon, wo teilweise gleich viele Einheimische wie Flüchtlinge wohnen. Auf Stuttgart übertragen hieße das, dass auf 613 392 Einwohner 613 392 Asylbewerber kämen. Von solchen Konstellationen sind wir Lichtjahre entfernt. Deshalb dürfen wir durchatmen und Einzelschicksale auf uns wirken lassen, die anrühren. Ich glaube, unser Augenmerk sollte ebenso auf die Opfer von Gewalt und Diskriminierung gerichtet werden: Auf die Opfer des NSU – Prozesses, der in München allmählich in Gang kommt, auf die Opfer der Brandkatastrophe in Backnang, die unsere Region vor einiger Zeit aufwühlte. Dort sind 8 Tote zu beklagen, 7 Kinder und ihre Mutter. Vieles mit dem maroden Haus, den erbärmlichen äußeren Bedingungen erinnerte mich an die Brandkatastrophe am 16. März 1994 in der Geißstraße 7 in der Stuttgarter Innenstadt mit 7 Toten und 16 verletzten Menschen. Diese Katastrophe jährt sich nächstes Jahr zum zwanzigsten Mal. Ein Überlebender suchte mich am Freitag auf, der damals seine schwangere Ehefrau und sein vierjähriges Mädchen verlor. Er hat als schwer Traumatisierter sein Leben nicht wieder auf die Reihe bekommnen, muss aber Entschädigungsanträge mit präzisen Angaben stellen und dem Beibringen von uralten Belegen. Als Opfer rechter Gewalt wird er nicht gesehen. Nach der fatalen Vertuschung um die NSU-Morde bestand allein der türkische Botschafter darauf, bei den Ermittlungen in Backnang einen fremdenfeindlichen Hintergrund als Ursache nicht ganz auszuschließen. Als es letzten Sommer just zum Zeitpunkt des Gedenkens an 20 Jahre Rostock-Lichtenhagen in der Asylbewerber-Unterkunft in Heumaden brannte, schloss man das kategorisch aus. Auch bei der Katastrophe in der Geißstrasse 7 versuchte man den gewagten Konstrukt, der Täter habe erst bei seinen späteren Brandstiftungen seine rechtsradikale Gesinnung entdeckt, in der Geißstraße 7 sei er noch ein gemeiner Pyromane gewesen. So der so. Es bleibt dabei: Speziell fremde Menschen wohnen mitten unter uns oft in Verhältnissen, die jeglicher Beschreibung spotten. Dabei mahnen unsere Bibeltexte unmissverständlich: Der Fremdling soll bei euch wohnen wie ein Einheimischer. (3.Mose 19,34) Gastfrei zu sein, vergesst nicht; denn dadurch haben einige ohne ihr Wissen Engel beherbergt. (Hebräer 13,2) Entgegen der biblischen Weisung behandelt die offizielle Flüchtlingspolitik Asylbewerber wie Menschen zweiter Klasse. Sie dürfen nicht in schönen Häusern in guten Gegenden wohnen, sondern müssen zumeist mit dürftigen Billigunterkünften in Industriegebieten Vorlieb nehmen. Menschen aus solchen Bleiben suchen mich jeden Tag auf, schildern ihre Nöte und hoffen auf Abhilfe. Ausdrucksvoll schauen mich die braunen Augen eines kleinen Iranerjungen an. Sensibel spürt der Junge die Abhängigkeit seiner Eltern von unserem Engagement. Seine Familie sucht in unserem Land Anerkennung und ein sicheres Bleiberecht, um eine neue Existenz in der Fremde zu gründen. Weil seinem Papa im Gefängnis in Teheran übel mitgespielt wurde, das Bundesamt für Asyl und Migration ihm seine erlittene Tortur aber nicht als glaubwürdig abnahm, musste der Vater am Freitag noch mal vor dem Verwaltungsgericht Stuttgart auf juristisch plausibel klingende Weise nachweisen, dass er die Wahrheit sagte. Die Angst geht um, ob dieser zweite Versuch gelingt. In seiner Bedrängnis sucht der kleine Flüchtlingsjunge Kontakt, malt mir ein schönes Bild mit hohen schneebedeckten Bergen, ausladend grünen Bäumen in der Ebene, einem stabilen Haus mit einem Mann und einem Schaf davor. Der aufmerksame Hirte, der dort wache, sei ich, der Asylpfarrer, der sich um Fremde wie ihn, seine Mama und seinen Papa kümmere. Diese Idylle wird jäh zerstört, wenn just zu Beginn unserer bundesweiten interkulturellen Woche in der Stuttgarter Nachrichten in einem Artikel mit plumpen Argumenten die Abschaffung unseres neuen Integrationsministeriums gefordert wird. Geld wird dort plump gegen Menschen aufgerechnet. Alle Menschen – ob Einheimische oder Fremde – sind jedoch mehr als Kostenfaktoren. Albert Schweitzer spricht von der Ehrfurcht vor dem Leben ähnlich wie seine katholisches Pendant Mutter Teresa. Die Hilfsbedürftigkeit ist für beide Wohltäter der Menschheit entscheidendes Kriterium. Deshalb kann Stuttgart seine auf 1 773 angestiegenen Flüchtlinge in Würde aufnehmen und unterbringen. Bundesweit sind in den ersten 7 Monaten sind 52 754 neue Asylbewerber zu uns gekommen und bitten um Zuflucht, die meisten davon, 11 564 aus der russischen Föderation, das bedeutet primär tschetschenische Flüchtlinge. Aus den Nachfolgestaaten des früheren Jugoslawiens, Serbien, Mazedonien und Kosovo, kommen zusammengerechnet 6 318 Menschen. Erst an dritter Stelle stehen die 5 514 Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien. Entgegen der öffentlichen Wahrnehmung sprach das Bundesamt in 44,2 Prozent der Entscheidungen den Menschen einen Schutzstatus zu. Die Abgelehnten können wie unser iranischer Papa Klage beim Verwaltungsgericht einlegen. Weil der Papa am 18.8.2013 in der Johanneskirche getauft wurde, sehen die Chancen auf Anerkennung gut. Anstatt über zu viele Flüchtlinge zu klagen, könnten wir die zwei Prozent, die sich nach Europa durchschlagen, willkommen heißen. Denn bei den larmoyanten Klagen werden die christlichen Werte der uneingeschränkten Gastfreundschaft auch für Fremde und die humanen Grundwerte der Gleichbehandlung aller Menschen, Artikel 3 Grundgesetz, mit Füßen getreten. Weil nun seit langem erstmals wieder mehr Flüchtlinge in unser Land kommen, könnte gerade zu Beginn der interkulturellen Woche in unseren beiden großen Kirchen konkret darüber nachgedacht werden, wie kirchliche Häuser für Fremde und Flüchtlinge geöffnet, wie gemäß unseren Bibeltexten Kriterien für eine asyl- und fremdenfreundliche Kirchengemeinde entwickelt werden, damit ein kleiner Iranerjunge als Engel bei uns beherbergt und gastfreundlich verwöhnt wird, damit eine türkische Gastarbeiterfamilie eine bezahlbare Wohnung mit intakten Leitungen findet, damit in Zukunft ein Fremdling bei uns wohnen darf wie ein Einheimischer, damit fremde Sprachen, Kulturen und Religionen als Bereicherung toleriert werden, damit am Wahlsonntag die Kandidaten und Parteien gewählt werden, die das christliche Gebot der Gastfreundschaft beherzigen, damit Luftbrücken aus Lampedusa oder aus Syrien nach Stuttgart Leben retten, damit jetzt in St Elisabeth bei diesem Gottesdienst Menschen einander als Menschen mit einem offenen Geist entdecken und somit mehr erleben. Amen. (Predigt von Asylpfarrer Werner Baumgarten)
Posted on: Mon, 23 Sep 2013 13:55:17 +0000

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