Im Sog der Todgeweihten Premiere in Gottorf: Factory Theater mit - TopicsExpress



          

Im Sog der Todgeweihten Premiere in Gottorf: Factory Theater mit Bühnenfassung des „Zauberbergs“ Von Thomas Richter Schleswig. „Hans Castorp besteigt den Zauberberg und bleibt tausend Seiten dort“ schrieb vor Jahren ein Literatur-Kritiker mit wohl kalkulierter Respektlosigkeit in einem Aufsatz zu Thomas Manns Der Zauberberg. Womit er meinte, dass es in dem rätselhaften „Roman-Ungetier“ um nichts und dann doch um alles geht. Tausend Seiten, die in der auf knapp zwei Stunden Spielzeit drastisch eingedampften Bühnenfassung von Vera Sturm und Herrman Beil als „szenischen Installation“ der zauber/berg im Kreuzstall auf Schloss Gottorf Premiere hatten. Tausend Seiten, die das Sittengemälde einer Kurgesellschaft von Kranken und Sterbenden des Vorabend des ersten Weltkriegs zeichnen und dabei direkt oder indirekt Themenfelder wie Gesundheit, Krankheit, Tod, Zeit, Huanität, Bürgertum, Liebe, Laster und Mystizismus beleuchten. Sommer 1907: Eigentlich will Hans Castorp, der angehende Ingenieur aus arrivierter Hamburger Kaufmannsfamilie (Guido Bayer überzeugt als „eingebildeter Kranker“ zwischen Naivität, jugendlicher Schwärmerei und bürgerlicher Ignoranz), nur seinen Vetter Joachim Ziemßen auf dem Lungen-Sanatorium Berghof in Davos besuchen (trotz einer beeindruckenden Statur zeigt Marcus Just genau die Verletzlichkeit seiner Figur). Aus den geplanten drei Wochen werden sieben Jahre, in denen sich Castorp dem Sog dieser geisterhaften Gesellschaft von Todgeweihten hingibt. Ihm begegnet der wortewandte Intellektuelle Lodovico Settembrini, der sich seiner „Erziehung“ annimmt (brilliant: Christian Nisslmüller) und verliebt sich in die mysteriöse Russin Clawdia Chauchat (versiert mischt Esther Barth aristokratische Strenge mit mädchenhafter Unsicherheit). In der Doppelrolle von Oberaufseherin und Chefärztin schließlich vervollständigt Jasmin Buterfas dieses wunderbare und sprachlich genau agierende Ensemble. Gbay Schelle (Regie) und Elisabeth Moll (Konzeption) haben die Gemeinschaftsproduktion des Kieler Factory Theater Produktionen e.V. mit dem Hamburger Sprechwerk wirkungssicher für bühnenlose Spielorte wie den Kreuzstall inszeniert. Den durchaus vorhandenen Sichtproblemen begegnen sie mit häufigen Positionswechseln der Figuren im gesamten Raum. Der gelegentliche Einsatz von Mikrophonen und die mit ätherisch oszilierenden Klängen ausgestaltete Sound-Installation von Peter Matrai verstärkt die träumerisch-beklemmende Atmosphäre. Man fühlt sich hier tatsächlich mit Hans Castorp „der Welt abhandengekommen“. Aber warum nur verwendet Matrai fürs Ende einen Ennrico Morricone Italo-Western Soundtrack Klassiker? Die Regie indes verlässt sich klug auf die Wirkung des Textes und widersteht der Versuchung, ihn mit irgendwelchen theatralischen Gimmicks vordergründig zu bebildern. Aufführungen: Lessingbad Kiel am 6.+7. Sept., 20 Uhr. Weitere Termine und Karten unter theater-factory.de
Posted on: Thu, 29 Aug 2013 21:07:22 +0000

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