In meinem Viertel.. von Henryk Petzolt Oft bekomme ich von Seiten - TopicsExpress



          

In meinem Viertel.. von Henryk Petzolt Oft bekomme ich von Seiten meiner Freunde neue Ideen für manch eine Kurzgeschichte geliefert. Tja, eigentlich sind es ja alles Tatsachenberichte, da sie uns allen aus dem Herzen sprechen, sich irgendwo jeder wiederfindet. Ein Spiegel den ich den Lesern vors Gesicht halte, natürlich in meiner Art und Weise, mit der entsprechenden Würze. Erschreckend ist nur die Tatsache dass einige Geschichten bitterste Realität sind, wirklich so geschehen sind. Erzählte mir doch eine gute Freundin von einem Pärchen das an ihr vorüberging, ziemlich ghettomäßig gekleidet, mit Hygiene wohl eher nichts am Hut, sie hielt einen Becher mit einem Heissgetränk in der Hand. Lautstark verkündete sie dann: „Der scheiss Bäcker hat net mal ne Latte!“ Hm, was soll man dazu sagen. Sie meinte wohl eher einen latte machiato, doch war ihr dieser Begriff wohl eher nicht geläufig. Tja, dann solltest du wohl in deinem Kiez mal einen dieser Starbucks eröffnen. Wenn ich mir vorstelle wie das dann ablaufen würde, bekomm ich schon ein Kopfkino. ;-) Man wird dort ja ja namentlich aufgerufen, wenn seine Bestellung fertig ist. Dann schallt es von ihr dann wohl durch den Starbucks: „Dä ladde matschiado für Gündor is fertsch!“ ;-) Autsch! Da bluten einem die Ohren. Wobei sie dann wohl erstmal die Schulbank drücken muss, um ihren Hauptschulabschluss nachzuholen. Einen Lehrgang allein für die vielen unterschiedlichen Cappucino-, Espresso-und Kaffeesorten. Wie hören sich wohl die italienischen Bezeichnungen mit sächsischem Dialekt an? ;-) Die Bedienung der Technik, deren Säuberung und Wartung, uii, das wird wohl nichts werden. Also Püppi, sieh der bitteren Realität ins Auge, sei freundlich zum Bäcker, ohne ihn bist du am Arsch! ;-) In meinem Viertel trifft man die unterschiedlichsten Menschen an.. Auf dem Gehweg kommt ein schlacksiger Hering des Weges, den man wohl in etwas zu große Klamotten gesteckt hat. In beiden Händen jeweils eines dieser altbekannten Einkaufsnetze aus DDR-Zeiten, gefüllt mit unzähligen leeren Bierflaschen. Ach ja, stimmt ja, ist immerhin schon einige Tage über den Zahltag des Hartz4, da müssen die Pfandflaschen langsam dran glauben für neuen Alk. Die erste Flasche wird gleich vor dem Einkaufsmarkt geleert, als Wegzehrung. Hoffentlich langen der Tabak und die Papers noch ne Weile. Jeder hat eben Sorgen und Kummer mit denen er fertig werden muss. ;-) Auf dem Radweg schießt ein Radfahrer mit einem Anhänger für Kleinkinder vorbei, kurz mal auf die Straße, dann wieder zurück auf den Radweg. Da lacht der quietschvergnügte Wonneproppen. Irgendwie will meine Faust gerade in des Radfahrers Gesicht! Ein Typ mit Jogginghosen, Muskelshirt, wo auch immer die Muskeln sind, tänzelt an mir vorbei, auf dem Kopf gigantische Kopfhörer. Verdammt! Gibt’s die Village People noch? Woher ich das alles weiß, obwohl ich blind bin? Ich konnte lange Zeit sehen, fuhr selbst Auto, sah all diese Menschen und vernahm die Geräusche dieser ebenfalls. Leider hat sich nichts geändert seit meiner Erblindung. Man kann auch mit den Ohren sehen, die Bilder kommen von allein. Eine Zigarette rauchend stehe ich am Eingang eines Einkaufsmarktes, wartend auf meine Mutsch, als mich der Inhaber vom Broilerstand um eine Zigarette bittet und wir ins Gespräch kommen. Die Leute würden ja alle nur noch über die hohen Preise für die hageren Broiler meckern, doch was soll denn dabei herauskommen wenn man sie mit diesem Biofutter füttert? Schließlich muss er ja auch von etwas leben. Hm, recht hat er ja. Doch stelle ich mir die ganze Zeit des Gespräches die Frage weshalb er mir diesen ganzen Kram erzählt? Glücklicherweise erlöst mich dann einige Zeit später meine Mutsch aus den Fängen des Broilerverkäufers. Danke! ;-) Ich weiß nicht was ich an mir habe, es passiert mir öfters, dass ich in eine Kneipe was trinken gehen will und sich ein leicht angetrunkener Typ neben mich setzt. Dann bekomme ich den ganzen Abend Getränke ausgegeben dafür dass ich mir seine Lebens- und Leidensgeschichte anhöre. Zwischendurch mal kurz „Ja“ sage und ihn ansonsten reden lasse. Am Ende gibt’s ein Schulterklopfen und er verlässt sichtlich erleichtert die Kneipe. Funktioniert leider nur spontan, nicht auf Bestellung, sonst würde ich mal ohne Geld weggehen können. ;-) An einer Haltestelle sitzen zwei ältere Mütterchen und meckern was das Zeug hält über die neue Zeit, dass doch früher alles besser und organisierter war. Welche Zeit sie damit auch immer meinen weiß ich nicht genau, muss aber lächeln über ihr Gezeter. Bei der nächsten Bundestagswahl wählen sie doch die CDU und knüpfen sich somit den eigenen Strick. ;-) Jene älteren Mütterchen sind es auch die stets die Wartezimmer in den Arztpraxen verstopfen, die Ärzte mit Seelsorgern verwechseln und immer etwas finden was genauer untersucht werden müsse. In Bus und Bahn belegen sie die Behindertensitze, da sie diese mit Sitzgelegenheiten für ältere Mitmenschen verwechseln. Da kann man ihnen den Schwerbehindertenausweis direkt vor das Gesicht halten, nützt rein gar nichts! Zwei halbstarke Jugendliche sitzen in der Nähe des Spielplatzes, mit ner Kiste Bier, rauchen ne Zigarette und plustern sich auf wie zwei Gockel, weil ihnen ein paar Mädels Blicke zuwerfen, mit ihnen flirten. Hauptschulabschluss, keine Lehre, keine Perspektive, aber Bier und Kippen. Haut hin! ;-) Das Samsung S4 aus der Tasche gekramt, bei Facebook paar Kumpels geschrieben. Meine Sprachausgabe würde durch die ganzen Rechtschreibefehler wohl plötzlich ziemliches Kauderwelsch von sich geben. ;-) Statt mit euren Handys zu spielen, euch sinnlos zu besaufen, nehmt doch mal ne Schaufel und nen Müllsack und befreit die Gehwege von Tretminen. Da würden euch einige Leute auch gern was zahlen. Keine Eigeninitiative mehr die heutige Jugend! Zwei Tussis klappern in ihren Stöckelschuhen an mir vorbei. Kurzzeitig bin ich benebelt wie in einem Pariser Bordell. Ich höre sie tuscheln und folge ihnen abstandhaltend einige Zeit. Herablassend äußern sie sich über „Menschen wie mich“ und ich kann ihre Mimik spüren. Als sie kurz stehenbleiben, pendle ich an ihnen vorüber. Dann wende ich mich ihnen zu und meine nur: „Ein Tag in meiner Welt wäre euer ewiger Albtraum!“. Gern hätte ich nur für einige Minuten mein Augenlicht wieder gehabt, nur um die dümmlichen Gesichter zu sehen. Doch allein die Vorstellung brachte mich zum lachen. Doch schon vernehmen meine Ohren ganz andere Dinge, sind die zwei Tussis längst vergessen. Eine dieser Mütter der Reformhausgeneration, ökologisches Leben, Biokultur in Menschengestalt. Mit einem dieser Feuchttücher aus der praktischen wiederverschließbaren Box für die Handtasche wischt sie dem Sprössling im Gesicht herum und schimpft: „Torben, musst du dich so bekleckern?“ Ups, auf Torben’s Designerjacke ist ein Johannisbeerfleck, ob der wieder herausgeht? ;-) Wütend rubbelt die junge Mutter an der Jacke herum, beschmutzt dabei ihre eigene Strickjacke ebenfalls. Torben stehen die Tränen in den Augen. Entweder weil es ihm peinlich ist wie seine Mutter sich zur Feile macht oder weil er daheim noch mal richtig Schimpfe bekommt. Die beiden hinter mir lassend, male ich mir aus wie Torben später mit seiner Frauke verheiratet ist, seinen Sohn Jochen dann dieselbe Erziehung verpasst wie seine Mutter ihm. Vielleicht aber wischt er seiner Mutter eins aus, der Sohn wird ein Enkel der Oma alles heimzahlt, was sie dem Papa angetan hat. ;-) Verzweifelt versucht jemand am Ticketautomat der städtischen Verkehrsbetriebe einen 5-Euro-Schein in den Einwurfschlitz zu bekommen, doch diese dämlichen neuen Scheine wirft der Automat ständig wieder aus. Verständlich, fassen sich so an, wie sie aussehen, einfach scheußlich. Um einen Herzinfarkt seinerseits zu vermeiden, wechsle ich ihm den Schein in Münzen, man ist ja kein Unmensch. Toll, jetzt hab ich diesen dämlichen Schein an der Backe. Was solls, muss sowieso noch ne Schachtel Zigaretten an der Tankstelle kaufen. Mein Beitrag für die Steuerkasse. Das Wort „Tanke“ hat eine ganz neue Bedeutung bekommen. Wird hier nicht nur das Auto betankt, nein auch einige bekannten Gesichter aus dem Stadtviertel sieht man ab und zu auf ein Bierchen dort verweilen. Schließlich ist es nach Ladenschluss der umliegenden Geschäfte und Einkaufscenter ddie einzige Möglichkeit noch etwas einzukaufen, wenn auch ziemlich überteuert. Wohl deshalb sind die Tankstellen meist mit Sicherheitsglasscheiben versehen, um wütende Kunden auf Abstand zu halten, die sich durch die hohen Preise genötigt fühlen. ;-) Langsam wird es Nacht über dem Viertel. Bis auf ein paar angetrunkene Kneipengänger, die johlend und gröhlend durch die Straßen nach Hause wanken, ist es ziemlich ruhig geworden. Morgen ist ja auch wieder ein Tag, mit neuen Geschichten.. *Ende*
Posted on: Thu, 05 Sep 2013 21:39:29 +0000

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