Kim Wessel: Als OP-Krankenschwester in Gaza Ekkehart Drost (PAx - TopicsExpress



          

Kim Wessel: Als OP-Krankenschwester in Gaza Ekkehart Drost (PAx Christi) Nach einem Vortrag in Osnabrück im September 2013 erhielt ich von einer Zuhörerin folgende E-mail: „Seitdem ich aus Gaza wieder da bin, habe ich mich mit vielen Menschen über dieses Erlebnis unterhalten und auch einen Vortrag gehalten. Ich wollte es jedem, den es interessiert (oder auch nicht), erzählen, was für ein Wahnsinn dort in Gaza passiert. Leider habe ich schnell gemerkt, wie weit weg dieses schlimme Leben von hier entfernt ist, weil ich selten das Gefühl hatte, dass andere verstehen, was dort passiert. Das hat mich frustriert. Ich hoffe, Sie haben noch lange Freude an Ihren Vorträgen und noch viele Gelegenheiten, der Welt verstehen zu geben, dass Palästina sich auf demselben Planeten befindet.“ Diese E-mail hatte mir Kim Wessel geschickt, 22jährige Operationstechnische Assistentin aus dem Osnabrücker Klinikum. Die Begegnung mit ihr hat einen nachhaltigen Eindruck bei mir hinterlassen. Wie kommt es, dass eine junge Frau ihr sicheres Zuhause aufgibt, wenn auch nur für einen überschaubaren Zeitraum, und sich in eine Gegend begibt, die bei uns mit Terror und Kassam-Raketen assoziiert wird? Ich bat sie, ihre Geschichte aufzuschreiben. Hier ist ihr persönlicher Bericht: „Ich bin 22 Jahre alt und arbeite seit 2008 im Klinikum Osnabrück als Operationstechnische Assistentin, landläufig ´OP-Schwester` bezeichnet Man kann schon an meiner Berufswahl erkennen, dass mir das Wohl anderer Menschen sehr am Herzen liegt. Schon immer wollte ich in der Entwicklungshilfe tätig werden und habe damit auch nie hinter dem Berg gehalten. Ende 2012 erfuhr ich, dass ein Gefäßchirurg (Dr. Schindler) unseres Hauses nach Gaza gehen wird, um dort gefäßkranke Menschen, unter anderem auch sehr viele Kinder, zu operieren. Ich war sofort Feuer und Flamme. Mein Chef erzählte Dr. Schindler von meiner Begeisterung - leider erst genau einen Tag vor seiner Abreise nach Gaza. Eine Woche später stand ich im OP bei einer Operation, und Dr. Schindler kam herein. Er sagte, er bräuchte meinen Reisepass und ein Passfoto - mehr nicht. Am nächsten Tag traf ich mich mit ihm, und er erzählte mir von seinem Vorhaben. Er wollte im Januar noch einmal für 2 ½ Wochen nach Gaza fliegen und hätte mich gerne dabei. Wow…! Ein ´nein` kam für mich nicht in Frage! Meine Eltern waren schockiert und gar nicht begeistert, wussten aber genau, dass sie mich davon nicht abhalten konnten. Am 18.01.2013 machten wir uns also zu dritt (Dr. Schindler, Sara Gräff, Assistenzärztin, und ich) auf den Weg nach Frankfurt, mit 180 kg Gepäck: Instrumente und sonstige medizinisch wichtige Dinge. Am Flughafen trafen wir Dr. Nael Abusleem. Er war der Initiator des ganzen Unternehmens. Nael selbst kommt aus dem Gazastreifen, wo auch seine gesamte Familie zu Hause ist. Er arbeitet als Radiologe in Kassel und besucht seine Familie so oft es ihm möglich ist. Er war unser Dolmetscher, Mentor und Manager und somit unsere wichtigste Person. Da es uns nicht möglich war, über Israel nach Gaza einzureisen, ging unser Flug nach Kairo. Nach einer sehr kurzen Nacht in Kairo fuhren wir mit einem Taxi früh morgens Richtung Grenze zum Gazastreifen. Nach 6 Stunden Fahrt, an der Grenze angekommen, fing der ´Hagel der Ereignisse` an: Hunderte von Menschen und Autos zwischen den ägyptischen Panzern und der Grenzmauer. Wir zogen sofort die Aufmerksamkeit aller auf uns, was uns allerdings nicht wirklich zu Gute kam: Vier Stunden mussten wir im Auto warten, bis wir die Grenzmauer passieren durften. Die Stimmung vor der Mauer war sehr angespannt und etwas aggressiv. Im Grenzgebiet angekommen, befanden wir uns in einer großen Halle mit ebenfalls Hunderten von Menschen. Wir gaben unsere Pässe ab und warteten und warteten. Dann und wann kam ein Polizist, um sich unsere Pässe anzuschauen und sie danach wieder ganz ans untere Ende des großen Stapels zu legen. Dies konnten wir sehr gut verfolgen, da unsere Pässe die einzigen roten waren. Nach weiteren vier Stunden durften wir nun endlich in den Bus steigen, der rund 500 m auf die palästinensische Gaza-Seite fuhr. Dort angekommen, änderte sich das Bild schlagartig. Was gerade noch lieblos, alt und heruntergekommen war, sah nun modern und freundlich aus. Vor den Eingangstoren waren schöne Beete angelegt, und auch die Empfangshalle war sehr ordentlich und gepflegt. Das hatte ich nicht erwartet. Als erstes gingen wir durch einen langen Gang mit vielen Fotos von den letzten Bombenanschlägen auf Gaza. Das war der erste traurige Moment für mich. Nach einem kurzen Empfang mit für uns wichtigen Personen, fuhren wir mit einem Taxi zu einem der vier Krankenhäuser, in denen wir gearbeitet haben. Meine ersten Eindrücke in Gaza: Gaza ist schwer zu beschreiben. Auf der einen Seite eine schöne, gepflegte Empfangshalle und dann, auf dem Weg zum Krankenhaus, viele Bauruinen und aufgetürmter Müll an den Straßen. Ich habe unglaublich viele Kinder gesehen; überhaupt waren die Straßen sehr lebendig. Es gab viele Graffitis und Plakate von bewaffneten Kämpfern oder auch von ´Kindern`. Unvorstellbar viele Gebäude waren zielgenau zerstört. Man hatte das Gefühl, die Rakete habe die Nadel im Heuhaufen gefunden. Die meisten Wohnhäuser waren sehr trist und heruntergekommen. Oft standen kleine Generatoren an den Straßen, die bei Stromausfällen zum Einsatz kamen. An jedem Tag wurde mehrmals der Strom willkürlich ´von außen` abgestellt. Man konnte es nie voraussehen. Manchmal standen wir plötzlich inmitten einer OP im Dunkeln oder waren in einem Fahrstuhl eingeschlossen. Wir haben in unserem Aufenthalt vier Krankenhäuser besucht und betreut. Ein privates, relativ gut ausgestaltetes Krankenhaus, ein Kinderkrankenhaus, das Al Shifa Hospital und das European Hospital Gaza, wo wir unsere Operationen durchgeführt haben. Leider ist der hygienische Standard kaum mit dem in deutschen Krankenhäusern zu vergleichen, auch nicht der in den OP. Die Stationen und die Patientenzimmer sind voll belegt, da sich die eigenen Angehörigen um die komplette Pflege des Patienten kümmern müssen. Handschuhe habe ich nur sehr selten im Einsatz gesehen. Für mich ganz selbstverständliche Dinge wie Alkohol zum Desinfizieren oder ´Einmal-Tücher` zum Abdecken des OP-Feldes waren nicht vorhanden. Wir mussten viel improvisieren. In dem privaten Krankenhaus konnte Nael einige endovaskuläre Eingriffe durchführen, welche den Menschen viel von ihrer Lebensqualität zurückgaben. Besonders am Herzen lag uns das Kinderkrankenhaus. Wir haben sieben kranke Kinder operiert, um ihnen die Dialyse zu erleichtern. Leider ist diese Art von Behandlung keine Heilung, sondern lediglich eine Erleichterung der Therapiemaßnahmen. Wir haben auch viele erwachsene Menschen behandelt, die sonst wohlmöglich ein Bein oder gar ihr Leben verloren hätten. In den Sprechstunden und Visiten haben wir viele schlimme Krankheiten gesehen, die nach meiner Meinung z.B. in Deutschland, mit adäquater Behandlung, nicht so ausgeartet wären. Ich muss dazu sagen, dass eine angemessene Behandlung auch in Gaza möglich wäre. Dazu fehlen aber die wichtigen Voraussetzungen. Es gibt in Gaza eine sehr gute Universität, die wir besucht haben. Vielen Ärzten dort mangelt es mit Sicherheit nicht an der Theorie, eher an der Praxis und den Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln. Alle Pflegekräfte und Ärzte, mit denen wir zusammen gearbeitet haben, waren sehr interessiert und lernwillig. Einige Krankenhäuser haben durchaus gute Gerätschaften oder beispielsweise Gelenkprothesen, wozu aber leider das Instrumentarium oder das ´Know how` fehlt. Ich habe schnell gemerkt, wie wenig nachhaltig unser Aufenthalt war. Wir konnten einigen Familien helfen und Hoffnung geben. Es fühlte sich für mich aber nur wie der Tropfen auf dem heißen Stein an. Solange diese unüberwindbare Grenze besteht, werden die wenigsten Projekte nachhaltig sein. Es macht mich wütend, da man, meiner Meinung nach, mit relativ wenigen Mitteln eine erhebliche Verbesserung des Gesundheitssystems bewirken könnte. Was ich sonst noch erzählen kann: Wir haben auf unserer Reise ganz Gaza gesehen - es ist ja auch nicht besonders groß. Je mehr ich gesehen habe, desto mehr habe ich mich eingesperrt gefühlt. Wir waren oft nah genug an der Grenze zu Israel, um Drohnen oder Hubschrauber in der Luft sehen zu können. Selbst nachts im Hotel konnten wir die Grenze hören. Ja, wirklich hören! In einer Entfernung von etwa fünf Kilometern stecken israelische Kriegsschiffe die Grenze ab, und sobald sich ihnen etwas näherte, so mein Eindruck, wurde geschossen. Wir waren auch in den ehemaligen Siedlungsgebieten, die mich teilweise an einen alten Vergnügungspark erinnerten. Einmal sind wir an den ´Slums` vorbei gefahren, was mich auch sehr bewegt hat. Der Lebenswille der Menschen im Gazastreifen ist eisern. Die Menschen in Gaza haben mich durch ihren Familienzusammenhalt, ihre Offenheit und ihre Herzlichkeit beeindruckt. Auch die Familie von Nael hat uns liebevoll aufgenommen und betreut. Wir wurden oft beschenkt, geehrt und beweihräuchert, was mir schon fast peinlich war. Diese Menschen sind so dankbar, allein, wenn sie merken, dass sie nicht in Vergessenheit geraten sind.“ Dies ist die Geschichte von Kim Wessel, einer jungen Frau aus Osnabrück, authentisch, zu Herzen gehend und voller Empathie mit Menschen, denen es nicht so gut geht wie uns. palaestina-portal.eu/texte/texte-19.htm#Kim_Wessel
Posted on: Mon, 16 Sep 2013 13:53:08 +0000

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