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:::::Klein, aber wichtig-Die jüdische Gemeinde in Marokko::::: Juden sind vor gut 2500 Jahren nach Marokko gekommen. Heute gibt es zwischen Muslimen und ihnen weniger Konflikte als in anderen arabischen Ländern. Allerdings plagt die Gemeinde Nachwuchssorgen. Serge Berdugo ist Anwalt und Generalsekretär des Zentralrats der Jüdischen Gemeinden in Marokko. 2006 wurde er von Mohammed VI. zum Reisebotschafter ernannt. Es ist ein repräsentatives Amt, für das Serge Berdugo als ehemaliger Tourismusminister und Mitglied der nationaldemokratischen Partei bestens vorbereitet ist. Aus seinem Büro am Platz der Vereinten Nationen, mitten in Casablanca, schaut der 74-Jährige auf die labyrinthisch verwinkelte Medina, die an den Platz grenzt, und zitiert den Vater des amtierenden Königs: "Hassan II sagte: Wenn ein marokkanischer Jude das Land verlässt, verlieren wir leider einen Einwohner, aber wir gewinnen einen Botschafter - und das stimmt." Um zu erklären, warum das Zusammenleben von Juden und Muslimen in Marokko in der jüngeren Vergangenheit im Gegensatz zu anderen muslimischen Staaten recht harmonisch war und kaum von gewalttätigen Spannungen gestört wurde, holt Serge Berdugo weiter aus: "Juden leben hier seit 2500 Jahren. Zuerst in Nachbarschaft mit Berbern. Einige Berberstämme nahmen den jüdischen Glauben an. Als die Araber im 8. Jahrhundert nach Nordafrika kamen, haben wir gut 500 Jahre unter ihrer Herrschaft und mit ihnen gelebt. 40.000 Juden, darunter 25.000 Soldaten, nahmen an der maghrebinischen Eroberung Andalusiens teil. Und aus Spanien wurden wir zusammen vertrieben. Also: Wenn Anhänger zweier orthodoxer Religionen eine Konversion zum Katholizismus ablehnen und gemeinsam aufbrechen, dann beschäftigen sie sich nicht unbedingt damit, die Religion des anderen in Frage zu stellen." Hebräische Wurzeln in der Verfassung festgehalten Der Respekt vor den religiösen Gefühlen des Anderen, sagt Berdugo, sei immer gewahrt worden. Als 2011 die Tunesier die Macht ihres autokratisch herrschenden Präsidenten Ben Ali brachen und Demonstranten in Kairo die Alleinherrschaft Hosni Mubaraks beendeten, beeilte sich Mohamed VI., die Proteste in seinem Land einzudämmen, indem er das Amt des Premierministers neu besetzte, eine neue Verfassung erarbeiten und diese per Referendum verabschieden ließ. Jacques Toledano, Mäzen und geschäftsführender Direktor des "Musée du Judaisme marocain" in Casablanca, hebt den für die Juden entscheidenden Passus in der neuen marokkanischen Verfassung hervor. "In der neuen Verfassung, die wenige Monate nach Beginn des arabischen Frühlings verabschiedet wurde, werden die hebräischen Wurzeln Marokkos explizit erwähnt. Und das ist wichtig, denn Juden leben hier seit mehr als 2000 Jahren. Sie waren vor den Arabern da." Jacques Toledano und Serge Berdugo gehören zu den vier Gründungsmitgliedern des Museums der marokkanischen Juden. Etwas Vergleichbares gibt es in der arabischen Welt nicht. Das Museum des marokkanischen Judentums wurde 1997 in den Räumen eines ehemaligen Waisenhauses eingerichtet. Zhor Rehihil arbeitet als Konservatorin am Museum. Sie ist Muslimin, hat in Rabat Archäologie studiert und in Paris gelernt, ethnografische Dokumentarfilme zu drehen. Simon Lévy, der 2011verstorbene Gründungsdirektor des Museums, wurde auf sie aufmerksam. "Mit ihm habe ich entdeckt, dass die marokkanischen Juden sehr viel stärker mit unserem Land verbunden sind als die Muslime. Sie sind - entgegen der landläufigen Meinung - mit jeder Faser Patrioten." Simon Lévy war Linguist, Historiker und Kommunist. Mit ihm hat Zhor Rehihil das ganze Land bereist, die Mellah genannten jüdischen Stadtviertel durchkreuzt, jede noch erhaltene Synagoge oder deren Ruine verzeichnet sowie den Zustand der Pilgerstätten begutachtet. Marokkaner wollen sich nicht nur aufs Ausland verlassen Sie war die erste marokkanische Studentin, die mit der Erforschung des kulturellen Erbes der Juden begann. Seit Mitte der neunziger Jahre nimmt das Interesse daran unter muslimischen Studenten kontinuierlich zu: "Vorher, bis weit in die 90er-Jahre hinein, haben wir vorwiegend die Sichtweise der Amerikaner und Europäer übernommen. Es gab keine muslimische Betrachtung des jüdischen Lebens. Inzwischen sind wir nicht mehr darauf angewiesen, dass ausländische Wissenschaftler ein paar Monate lang Feldforschung betreiben und sich dann zu Spezialisten erklären. Wir betrachten die Dinge mehr von innen heraus. Heute können uns die anderen, bitte schön, auch mal zuhören." Zhor Rehihil führt Schulklassen durch das Museum des marokkanischen Judentums; sie reist zu Kongressen und drängt Studenten dazu, ihre Arbeiten auch auf Englisch und Französisch zu schreiben. Andernfalls werde es ihnen nicht gelingen, von Forschern und Institutionen in Europa, in den USA und Israel anerkannt zu werden. Jedes Jahr zu Pessach zählt Jacky Kadoch, der die jüdischen Gemeinden in der Region Marrakesch vertritt, die Mitglieder. In Marrakesch leben heute 140 Juden, in Fès 50, in Meknès 40 und in Agadir bloß noch 25. "Mein Gott, wenn nicht bald ein Schwung neuer Leute ins Land kommt, dann gibt es in sieben bis zehn Jahren keine jüdischen Gemeinden mehr in der Region. Es braucht mindestens zehn Männer, um einen Gottesdienst abzuhalten. In Essaouira und Moggador kann man schon keinen Minyan mehr bilden. Also gibt es dort keine Synagoge mehr." Jacky Kadochs Aufgabe ist es, sich um die medizinische Versorgung alleinstehender alter Menschen zu kümmern. Das ist oft mit sehr weiten Wegen verbunden. Er wirkt erschöpft. "Zuhause fragen wir uns schon manchmal, wie lange das noch gehen soll. Unser Sohn arbeitet als Arzt in Montreal, unsere Tochter lebt in Israel. Beide bleiben, wo sie sind. Wir besuchen uns gegenseitig, aber letztlich wiegt die Verantwortung schwerer, bis zum Schluss für unsere Gemeinde hier zu sein." Die Nation ist sich ihrer selbst sicher Chedva Peres gehört zu den Neuankömmlingen, die schnell ihren Platz in der Gemeinde gefunden haben. Die britische Historikerin erklärt Touristen die Geschichte der Synagoge Slat Lezama in der Mellah von Marrakesch. In der Nachbarschaft der Synagoge gibt es Kräuterapotheken, Frisiersalons mit nur einem Hocker, Steinofenbäckereien. Kinder spielen Ball auf Lehmwegen; Männer kochen unter freiem Himmel Gemüse und braten Fisch. Durch eine unscheinbare Holztür betritt man den blau-weiß gefliesten Hof der 450 Jahre alten Synagoge. "In der Mellah leben nur noch drei jüdische Familien. Eine wohnt in diesem Hofhaus, zusammen mit Muslimen, die für das Gebäude sorgen. Dass muslimische Familien sich über Generationen hinweg um kultische Orte der Juden kümmern, hat eine lange Tradition in Marokko. Oft wohnen sie gleich nebenan in Häusern oder Wohnungen, die ihnen überlassen wurden." Chedva schickt mich zum nahegelegenen jüdischen Friedhof, der von einem jungen Muslim bewacht wird. Er zeigt auf die geweißten Kindergräber aus dem 16. Jahrhundert. Die Kinder starben an einer Epidemie. 2011 legte die marokkanische Regierung ein Programm zur Restaurierung aller jüdischen Friedhöfe auf. Serge Berdugo: "Auch wenn wir in weit abgelegene Gegenden kamen, 1000 Kilometer weg von Casablanca, in Orte, wo seit 60 Jahren keine Juden mehr leben, so trafen wir überall auf Leute, die sich an ihre ehemaligen Nachbarn erinnerten. Wir waren außerordentlich gerührt, wenn sie sagten: Es ist gut, dass ihr euch um die Friedhöfe kümmert, denn ihr bewahrt so nicht nur die Gräber eurer Vorfahren, sondern auch unsere Geschichte." Serge Berdugo und andere empfinden diese Erlebnisse als eine Bestätigung für ihren Wunsch, in Marokko zu bleiben. Die Nation, sagt der jüdische Reisebotschafter, sei sich ihrer selbst sicher. Deshalb könne sie Verschiedenheit grundsätzlich bejahen. Und deshalb denkt nur eine Minderheit der 5000 marokkanischen Juden daran, zu emigrieren.
Posted on: Mon, 15 Jul 2013 09:43:02 +0000

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