Lieber Herrgott, so richtig wohl hat sich Nikolaus von Kues als - TopicsExpress



          

Lieber Herrgott, so richtig wohl hat sich Nikolaus von Kues als Fürstbischof von Brixen ganz sicher nicht fühlen können: der Tiroler Landadel war mit seiner Ernennung 1440 gar nicht einverstanden. Der 39-jährigen Kardinal wurde vom Domkapitel abgelehnt, weil man hier schon auf eigene Faust einen Nachfolger gewählt hatte. Zwanzig Jahre später musste Cusanus endgültig die Segel im Tirol streichen: Er wurde auf der Burg Bruneck, wohin er sich zurückgezogen hatte, zur Kapitulation gezwungen. Herzog Sigismund siegte auf der ganzen Linie – und Cusanus wurde nach Rom beordert, um dort den Kirchenstaat in Ordnung zu bringen. Mit mässigem Erfolg. Das kommentiert er so: „Nichts gefällt mir, was hier an der Kurie getrieben wird; alles ist verdorben, keiner tut seine Pflicht. … Wenn ich im Konsistorium endlich einmal von Reform spreche, werde ich ausgelacht“. Während seines letzten Auftrages starb er: seine Aufgabe, sich um 5000 marodierende Kreuzritter zu kümmern, die zwischen Rom und Ancona ihr Unwesen trieben, konnte er nicht mehr erledigen. 63 Jahre alt wurde er, in den letzten Lebensjahren von Gicht und allerlei Gebrechen geplagt. Gescheitert auf der ganzen Linie? Mitnichten. Heute gilt der Jurist, Mathematiker, Theologe und Philosoph als eine der grossen Lichtgestalten im Herbst des Mittelalters. Manche machen aus ihm gar den Erfinder des Individualismus – also einen der Wegbereiter der Neuzeit noch vor Luther. Die moderne Ausgabe seiner Schriften fasst 30 Bände. Mit einer erstaunlichen Eigenart: Je älter er wird, desto kürzer werden seine Ausführungen zu einem Thema. Besonders beschäftigt hat ihn das Verhältnis der verschiedenen Religionen und deren Wahrheitsansprüchen nach dem Fall von Konstantinopel 1453. Seine Schrift „Vom Glaubensfrieden“ atmet eine Weite des Geistes, die auch heute noch beispielhaft sein kann. Er geht erkenntnistheoretisch davon aus, dass keine der Religionen im Vollbesitz der ganzen Wahrheit sein kann. In seiner Koinzidenztheorie (coicitentia oppositorium) benutzt er ein dynamisches Modell, welches den aristotelischen Satz vom Widerspruch aufhebt. Für ihn steht als Ziel des Denkens die „einfache Einfachheit“ – und dahinter verbirgt sich Gott. Mit dem klassischen scholastischen auf dem Widerspruchsprinzip beruhenden Denken ist das, was geschieht, nicht zu erfassen., sondern nur mit der Vorgabe der Annäherung an die Einheit. Gott sei nicht die Koinzidenz der Gegensätze, sondern das Koinzidenzdenken sei nur die der menschlichen Vernunft angemessene Art, sich ihm zu nähern, vermutet er. Deshalb sei es auch die Aufgabe der verschiedenen Religionen, sich auf die Suche nach Gemeinsamkeiten zu machen und darauf zu verzichten, sich gar mit Gewalt zu missionieren. Das gilt dann auch für die innerkirchlichen Zwiste. Cusanus war damit beauftragt, das Gespräch mit den Hussiten zu suchen und erreichte auch eine Annäherung, die später durch Rechthaberei beider Seiten wieder verlorenging. Und er wurde nach Konstantinopel geschickt, um auszuloten, inwieweit ein Gespräch mit dem Islam möglich sei. Aus diesem Grund beschäftigte er sich auch intensiv mit dem Koran. Die Idee, Wahrheit mit Gewalt durchzusetzen, widerstrebte seinem theologischen, juristischen und philosophischen Verstand. „Es gibt nichts im Universum, das sich nicht irgendeiner Einzigartigkeit erfreut, die sich in keinem anderen wiederfinden lässt.“ Und weiter: „Die Unterschiedlichkeit der Meinungen je nach dem Unterschied der Religionen, Schulen und Landschaften bewirkt unterschiedliche Vergleichsurteile, so dass das Lobenswerte der einen das Tadelnswerte der anderen ist. Überdies kennen wir die über den Erdkreis zerstreuten Menschen nicht und wissen deshalb nicht, wer vortrefflicher als die anderen ist. Wir können ja überhaupt keinen einzigen Menschen vollkommen kennen. Und das ist von Gott so eingerichtet, damit jeder in sich selbst zufrieden sei – wenn er auch die andern bewundern soll – und in seinem Vaterland.“ Gruss aus Brixen.
Posted on: Thu, 29 Aug 2013 15:26:10 +0000

Trending Topics



Recently Viewed Topics




© 2015