Mammakarzinom: “Vorsorgeuntersuchung oder - TopicsExpress



          

Mammakarzinom: “Vorsorgeuntersuchung oder nicht?” Screening-Programme sind umstritten. Sie sind aufwändig und teuer, ihr Nutzen meist gering, ihr Schaden nicht unerheblich. Doch sie geben Politikern, der Öffentlichkeit und so manchen Ärzten das beruhigende Gefühl, aktiv gegen Geißeln der Menschheit wie Krebserkrankungen vorzugehen. Seit 2005 existiert in Deutschland ein bundesweites und qualitätsgesichertes Programm zum Mammografie-Screening. Mit 10 Millionen anspruchsberechtigten Frauen ist es das größte europäische Vorhaben. Der Ehrgeiz ist groß mit moderner Technik, gut ausgebildeten Experten und laufender Evaluierung die mäßigen Erfolgsquoten ähnlicher Programme in anderen Ländern zu übertreffen. Die Teilnahmerate mit knapp 55% liegt jedoch bisher deutlich unter dem Zielparameter von 70%, der in den „Europäischen Leitlinien zur Qualitätssicherung des Mammografie-Screenings“ gefordert wird . Die Autoren einer kürzlich erschienenen Akzeptanz-Studie, die vom Bundesgesundheitsministerium herausgegeben wurde, empfehlen daher eine Imagekampagne, um das „Mammografie-Screening-Programm positiv zu belegen“ [2]. Demagogie mit Zahlen Nicht alle sind mit solchen Kampagnen einverstanden. Befürworter und Gegner des Screening-Programms erschlagen sich gegenseitig mit Zahlen, und die verwirrte Öffentlichkeit weiß nicht mehr, wem sie glauben soll. Ständig werden die Bezugsgrößen gewechselt: Mal sind es alle Einwohnerinnen Deutschlands zwischen 50 und 69 Jahren, mal sind es alle Frauen, die zum Screening eingeladen wurden, mal sind es jene, die daran auch teilgenommen haben. Mal bezieht man sich auf eine einzige Screening-Runde, mal auf 10 Runden innerhalb von 20 Jahren, häufig ist aber auch von einer 10-Jahres-Rate die Rede. Mal geht es um Todesfälle, mal um die Entdeckung eines Tumors. Völlig unverständlich sind die Differenzen bei den Erfolgsquoten, d. h. bei den durch das Screening verhinderten Sterbefällen: Sie schwanken zwischen 43% bei den Befürwortern und 0,05% bei den Gegnern. Wie kommen solche Unterschiede zustande? Hier ist Demagogie im Spiel – und zwar von beiden Seiten. Auf der Jagd nach genauen Zahlen stößt man immer wieder an Grenzen: Es gibt sie einfach nicht. Das deutsche Screening-Programm läuft nun im 8. Jahr – zu früh, um 10-Jahressaussagen zu treffen. Die Auswertungen gehen ohnehin schleppend vor sich: Der neueste Evaluationsbericht der Kooperationsgemeinschaft Mammografie ist zwar 2012 erschienen, enthält aber die Zahlen von 2008 bis 2009 [3]. So detailversessen die Autoren auch sind, zur Klärung der Sachlage trägt dieser Bericht zudem wenig bei. Dennoch heißt es immer wieder: Nichts ist so genau untersucht wie das Mammografie-Screening. Zu seiner Wirksamkeit liegen 8 große randomisiert-kontrollierte Studien vor, dazu zahlreiche Meta-Analysen, die von multiplen Gruppen ausgewertet wurden. Der „Sreening-Krieg“ Der „Krieg“ begann vor 12 Jahren: Damals erschien im Lancet eine Metaanalyse, in der Prof. Dr. Peter C. Gøtzsche und Dr. Ole Olsen vom Cochrane-Institut in Kopenhagen 6 dieser Studien als methodisch fragwürdig bezeichneten [4]. Aus den restlichen beiden konnten die Wissenschaftler keinen Erfolg des Screenings ablesen. Seit damals stehen sich Befürworter und Gegner unversöhnlich gegenüber. Und beide greifen sich aus diesen und anderen Studien die jeweils passenden Zahlen heraus, um ihre Ansichten zu belegen. Die einen lesen aus den Ergebnissen der europäischen Screening-Programme eine Mortalitätsreduktion von ca. 30% bei den eingeladenen Frauen heraus und eine ca. 43%-ige Verminderung der Sterbefälle bei den tatsächlichen Teilnehmerinnen. In absoluten Zahlen sind das, so der Evaluationsbericht 2008-2009, ca. 8 gerettete Leben pro 1000 Screening-Teilnehmerinnen innerhalb von 20 Jahren. Dabei käme es zu durchschnittlich 6,5% Überdiagnosen mit Übertherapien, was 4 Patientinnen pro 1000 Screening-Teilnehmerinnen innerhalb von 20 Jahren entspräche. Für 2 gerettete Leben muss jeweils eine gesunde Frau die Mühle von Operation, Bestrahlung und Chemotherapie durchlaufen. Das Cochrane-Collaboration kommt zu anderen Schlüssen. Danach wird die Sterblichkeit durch das Screening um höchsten 15% gesenkt und nur eine von 1000 Screening-Teilnehmerinnen innerhalb von 20 Jahren gerettet. Dies entspräche einer absoluten Risikoreduzierung von 0,05%. Zugleich aber würden 10 Frauen unnötigerweise therapiert, obwohl ihnen der durch das Screening entdeckte Tumor nie geschadet hätte. Dazu kämen mehr als 200 Frauen, die wegen falsch positiver Befunde zur Abklärung nochmals einbestellt und zwischendurch in Angst und Schrecken versetzt würden. Hinkende Vergleiche aus dem medizinischen Mittelalter Die meisten Studien, auf die sich die Befürworter und Gegner beziehen, sind an die 30 bis 40 Jahre alt. Nicht gerade die Steinzeit, aber doch das Mittelalter der Röntgengeräte und Krebstherapien: eine Zeit, in der Frauen wenig bis gar nichts über Früherkennung, Mammografien und Knoten in der Brust wussten, und die erst zum Doktor gingen, wenn sie Schmerzen hatten. Kann man diese Frauen wirklich mit ihren aufgeklärten, gesundheitsbewussten und arztaffinen Geschlechtsgenossinnen von heute vergleichen? Die Inzidenz für Brustkrebs steigt, so heißt es. Die einen sehen die Ursachen in der höheren Lebenserwartung und dem damit einhergehenden höheren Krebsrisiko. Die anderen sehen die Ursachen im Screening und den damit einhergehenden Überdiagnosen. Die Todesfälle durch Brustkrebs sinken, so heißt es. Die einen sehen die Ursachen in den Erfolgen des Screenings. Die anderen sehen die Ursachen in verbesserten Behandlungsmethoden. Es gibt zahlreiche Hinweise darauf, dass auch das Absetzen der Hormontherapien bei postmenopausalen Frauen eine Rolle spielt. Durch den Verzicht auf eine Hormontherapie werden nämlich wahrscheinlich genauso viele Todesfälle an Brustkrebs verhindert wie durch das Screening. Quelle: Dr. Erentraud Hömberg | 20. März 2013 Referenzen 1. European guidelines for quality assurance in mammography screening and diagnosis. Fourth Edition. euref.org/european-guidelines/4th-edition 2. Inanspruchnahme des qualitätsgesicherten Mammografie-Screenings – Follow-Up-Studie 2012. Wissenschaftlicher Bericht. Hrsg.: Frauenselbsthilfe nach Krebs e.V. und Women`s Health Coalition e.V.; gefördert durch das Bundesministerium für Gesundheit. bmg.bund.de/ministerium/presse/pressemitteilungen/2013-01/mammographie-screening-kommt-gut-an.html 3. Evaluationsbericht 2008-2009. Ergebnisse des Mammographie-Screening-Programms in Deutschland. Hrsg.: Kooperationsgemeinschaft Mammographie, Berlin, 2012. mammo-programm.de/fachinformationen/evaluation.php 4. Olsen O, Gøtzsche PC: The Lancet. 2001; 358(9290): 1340-42. thelancet/journals/lancet/article/PIIS0140-6736(01)06449-2/fulltext
Posted on: Sun, 06 Oct 2013 12:21:22 +0000

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