Rege Zeiten Bis jetzt blieb die Regenzeit aus. Doch das hat - TopicsExpress



          

Rege Zeiten Bis jetzt blieb die Regenzeit aus. Doch das hat sich mit dem heutigen Tag geändert. Das von unzähligen Hügeln umgebene Kigali gleicht nun einem dampfenden Kochtop, nur steigt kein heißer Dunst auf, der Nebel umhüllt luftig sanft die Stadt der eine Million Einwohner. Keine kilometerweite Sicht auf die grüne Umgebung, dafür Regenwolken in verschiedenen Graustufen. In anderen afrikanischen Städten würde der Dreck aus den Straßen gespült, hier gab es vor dem Schauer schon keine verschmutzten Wege, keine zerfetzten Plastiktüten in den Palmen und Bananenbäumen. Der Niederschlag bezweckt einzig, dass die Hauptstadt nach dem langanhaltenden kalt-frischen Guss noch grüner wird. Der Regen riecht wie die sonst trockene, urbane Luft und die Betriebsamkeit nach Zukunft und Aufbau. Alles wird neu und neugebaut. Der Pool des berühmten Hôtel des Mille Collines (das „Hotel Ruanda“ im Film) wird noch voller. Vor circa zwanzig Jahren war er leer. Leergetrunken von den Flüchtlingen, die sich vor den wütenden Mordenden versteckten, die nicht wie abertausende Andere tot in den Straßen enden wollten, deren Kadaver von Hunden zerfetzt wurden. Nach den einhundert Tagen des Terrors wurden die Vierbeiner, die Geschmack am toten Menschenfleisch gefunden hatten, erschossen, doch daran denkt man hier nur, wenn man sich einmal wieder den Spielfilm angesehen hat. Hier erinnert nur das Memorial Center an die dunkle Vergangenheit. Die dunklen Regenwolken verheißen nur Gutes. Die ruandischen Frauen mit Sinn für Mode können endlich einmal ihre regenfeste Couture zur Schau stellen. Die Motorradtaxifahrer haben sich ihre durch höhere Gewalt erzwungen Pause verdient und stellen sich mit ihren Gefährten unter. Die sonst so vollen Straßen sind fast leer. Doch das bleibt nicht lange so. Denn auch verhältnismäßig langandauernde Schauer, die lange nicht so intensiv ausfallen wie ein Monsun, habe hier schneller als anderswo ihr Ende. In den eben noch leeren Gassen beginnt wieder das rege Treiben der früher Verfeindeten, die nun vereint an einem Strang ihr Land nach vorne ziehen in den Fokus der Industrienationen, die wie China hier Beute wittern und machen und weniger die Möglichkeit zur Aufbauhilfe anvisieren, viel mehr den Proporz. Antoinette, die junge ruandische Architekturstudentin, die mit dem Verkauf von Kleidungsstücken ihren Führerschein finanziert, hat nichts gegen Chinesen, für sie sähen sie aus wie Japaner, die im Gegensatz zu den meisten anderen Fremden, zumindest einige Worte Kinyaruanda beherrschen. Nur kann sie es nicht ertragen, wenn sie versuchen mit ihr in ihrer Muttersprache zu kommunizieren. Ihre Ohren würden dann immer weh tun. Ansonsten freut sich hier eigentlich jeder darüber, wenn man es versucht. Selbst ein falsch oder komisch, sowohl im Sinne von seltsam, als auch lustig, ausgesprochenes Wort bewirkt ein breites Grinsen. Der damals so beliebte erste Deutsche in Ruanda, Richard Kandt, dem sogar in seinem alten Kolonialheim ein Museum gewidmet ist, genießt hier übrigens immer noch hohes Ansehen. Genauso wie seine Enkelkinder, die einen vorzüglichen Ruf besitzen. Ich genieße es als Deutscher einmal nicht mit Hitler, sondern Hilfe und Kompetenz assoziiert zu werden. Belgiern würde ich von Ostafrika allerdings abraten, ihre Ahnen haben die Rassenunterschiede im ehemaligen Staatsgebiet Ruanda-Urundi erst erfunden und zu den Stempeln gegriffen, die die Ausweise und ihre Besitzer kategorisierten, in Langnasige und Plattgesichtige. Die mit den feineren, weniger „afrikanisch“ aussehenden Gesichtszügen, waren ihre Lieblinge, die Begünstigten, durch die sie knallhart herrschten. Daher liegt die Schuld am Civil War auch bei den Belgiern. Die Deutschen möge man auch deswegen so sehr, so der Portier des Sky Hotels, in dem Roman sein Büro hat, da sie damals mit dem Bau der Eisenbahnstrecke begannen. Nachdem die germanischen Ingenieure und alle anderen von den Belgiern vertrieben wurden, geriet das Eisenbahnbauprojekt in Vergessenheit. Auch deshalb mag man die hier Belgier nicht sonderlich. Die Amis sind für Ruander die Philanthropen, die von ihrem Konzept, dem American Dream, überzeugen wollen. Lustige Hilfsmissionare mit ihren typischen Ami-Ideen. Der ehemaligen Kolonialmacht Frankreich wirft man wie der UNO vor, durch untätiges Zusehen das Morden unterstützt zu haben. Paul Kagame, der frühere Rebellenführer, kennt sie alle, er kennt seine Landsleute ohne Unterschiede, die reichen Wirtschaftsbosse der Welt wie etwa Bill Gates, Präsidenten und einflussreiche Musiker wie Bono. Bill Clinton sagte einmal über den schlaksigen, rationalen Analytiker, der jeden Tag bis um drei Uhr morgens an der Zukunft seines geliebten Landes bastelt, dass er das Herz und den Kopf seiner Leute befreit habe und in ihren Köpfen hat er mit einer Hand voll Männern das Land befriedet und führt es seitdem, seit nun schon dreizehn Jahren in die gemeinsame Zukunft. Er verteilte neue Pässe ohne Rassenstempel. Des weiteren macht er sich für Frauen in politischen Ämtern stark, arbeitet an der nationalen Krankenversicherung, treibt die Wirtschaft beständig voran, kämpft gegen Afrikas größtes Problem, die Armut und genießt, wie gesagt, nicht nur bei seinem Volk hohes Ansehen. Obwohl hier, vor nicht einmal zwanzig Jahren, in drei Monaten soviel wie nirgendwo auf der Welt, zu keiner Zeit, nicht einmal während des Dritten Reichs, gemordet wurde, gehört Kigali mittlerweile, zumindest was meine Erfahrung betrifft, zu den sichersten Städten der Welt, auch nach zwölf Uhr. Darauf ist man mit Recht stolz und das wird in der Hauptstadt jeden Tag bis spät nach Mitternacht gefeiert.
Posted on: Tue, 29 Oct 2013 15:59:24 +0000

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