Von wegen »Gedöns« Wahlkampf dreht sich um Eltern und Nachwuchs - TopicsExpress



          

Von wegen »Gedöns« Wahlkampf dreht sich um Eltern und Nachwuchs – Union verspricht Kindergelderhöhung Berlin (dpa/WB). Die Union will den Kinderfreibetrag bei der Steuer auf das Niveau von Erwachsenen anheben. Davon profitieren vor allem Besserverdienende. Für die anderen soll es mehr Kindergeld geben – Höhe offen. Offen ist auch, ob die Überprüfung der Familienleistungen überhaupt etwas Neues erbracht hat. Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) sieht in dem Mammutwerk viele Anregungen zum Nachsteuern und zum Bürokratieabbau, auch zur Schaffung von mehr Effizienz. Familienpolitik wird Wahlkampfthema. Keine Spur von »Gedöns« wie Altkanzler Gerhard Schröder (SPD) die Familienpolitik einst zu bezeichnen pflegte. Auch die SPD wirbt jetzt für mehr Kindergeld. Das Fazit der Ministerin: Die deutsche Familienförderung mit ihrer Mischung aus finanzieller Unterstützung und Bereitstellung von Infrastruktur, wie etwa Betreuungsplätzen, sei in Ordnung. Es gehe um »Wahlfreiheit der Familie« bei ihrer Lebensform. »Einheitsleistungen sind familienpolitisch rückwärts gewandt.« Das Ergebnis der seit 2006 laufenden Gesamtevaluation von weit mehr als 100 Wissenschaftlern im Auftrag der Regierung zerstört die Illusion, man könnte die gesamte Familienpolitik des Staates völlig neu formieren. Auch Schröder räumt ein, dass von den mehr als 200 Milliarden Euro, die der Staat für Familien ausgibt, wegen verfassungsrechtlicher Festlegungen allenfalls 55 Milliarden politischer Neugestaltung unterliegen. So sind in der Summe von 200 Milliarden Euro Beträge enthalten, die sich auf den ersten Blick nur schwerlich als familienpolitische Wohltat des Staates ausmachen lassen – etwa die Witwenrenten für Staatsdiener. Der Abschlussbericht der Evaluation soll erst im Herbst vorliegen. Entsprechend vorsichtig fällt der bislang einzige konkrete Vorschlag von Schröder und Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) als Konsequenz aus den ersten Ergebnissen der Untersuchung aus. Der Kinderfreibetrag bei der Steuer soll von derzeit 7008 Euro auf das Niveau der Erwachsenen steigen. 2014 sind dies 8354 Euro. Für einen Normalverdiener-Haushalt mit einem Grenzsteuersatz von 25 Prozent würde dies eine Entlastung von etwa 250 Euro pro Jahr bedeuten, rechnet Schäuble. »Familiensplitting heißt für uns: Ehepaare und Lebenspartnerschaften haben das Ehegattensplitting, weil sie dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen«, betont Schröder. Eltern mit Kindern profitierten stärker als bisher von der neuen steuerlichen Gleichbehandlung bei den Freibeträgen. »Und bei Familien, in denen beides – also Ehe und Kinder – zusammenfällt, wirkt die Kombination von beiden Vorteilen am stärksten.« Wie hoch das Kindergeld steigen soll, sagen die Minister nicht. Schäuble betont aber, dass der Finanzspielraum nicht größer geworden sei. Das Wahlprogramm werde auch in der Familienpolitik »keine unrealistischen Versprechungen« enthalten. Gewerkschaften, Sozialverbände und Opposition kritisieren den Unionsvorschlag scharf. Die soziale Ungleichheit würde sich noch weiter verschärfen, weil von Freibeträgen vor allem Besserverdienende profitierten, sagt SPD-Chef Sigmar Gabriel. »Es ist nicht zu bezahlen«, bilanziert SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Grundsätzlich stellt sich allerdings die Frage: Nach welchen Kriterien will man Effizienz von Familienleistungen wirklich messen und bei Bedarf eingreifen? Deutlich wird dieses Problem beim Elterngeld. Auch nach der Einführung ist die vor sich hin dümpelnde Geburtenrate nicht sprunghaft gestiegen. Sie ist aber auch nicht weiter gefallen. In der Bevölkerung gehört das Elterngeld zu den populärsten familienpolitischen Maßnahmen. Ein Rückwärtsgang dürfte schwer fallen – auch wenn einige Konservative der Union gerne am Elterngeld rütteln würden. Schröder: »Für mich steht das nicht zur Disposition.« Die Deutschen machen um ihre Kinder zu viel Aufhebens – auch deshalb bekommen sie nach Expertenmeinung seit Jahrzehnten so wenige. Der Bevölkerungsforscher Professor Norbert Schneider sieht als einen Grund für die niedrige Geburtenzahl in Deutschland ein überzogenes Elternideal. Es gehe nicht um fehlendes Geld, sondern um Kultur: »Es wird erwartet, dass Eltern ganz für die Kinder da sind. Damit ist Elternschaft immer unattraktiver geworden«, sagte der Direktor des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung (BiB). Kinderbetreuung außer Haus gelte immer noch als minderwertig, auch wenn sich dies langsam ändere. Deutschland müsse seine Kinderbetreuung noch verbessern, betont Schneider. Das gebe Familien die Freiheit, ihre Lebensform zu wählen. Schluss mit dem Druck auf Eltern Von Kerstin Eigendorf Werdende Mütter umgibt in der Regel ungeteilte Vorfreude. Daumendrücken, Respekt und Empathie sind ihnen sicher. Wenn sie allerdings von beruflichen Plänen nach der Geburt berichten, gilt: Wie sie es machen, machen sie es verkehrt. Pausiert eine Mutter kurz, muss sie sich rechtfertigen, warum sie ein so kleines Kind in die Krippe gibt. Will sie länger oder ganz aussteigen, muss sie sich anhören, sie gefährde ihre berufliche Zukunft und ihre Unabhängigkeit. Bei diesem Dilemma wundert es nicht, dass zahlreiche Frauen verunsichert sind. Daran ändert keine Familienleistung der Welt etwas. Wandel beginnt in den Köpfen. Es ist höchste Zeit, den Druck auf Eltern zu minimieren – nicht zuletzt den selbst auferlegten. Karriere, Kind, Beziehung: Alles soll perfekt sein. Dabei scheitern viele junge Menschen an unerfüllbaren Erwartungen. Das Thema Familie benötigt mehr Gelassenheit. Dazu gehört ebenfalls, dass werdenden Eltern nicht permanent erzählt wird, wie teuer Kinder sind. Das stimmt zwar, doch früher drückte der Geldbeutel auch – oft stärker als heute. Dennoch gehörten drei Kinder zum Alltag. Jetzt ist spätestens beim dritten Kind zu hören: »Das willst Du Dir antun?« Es gibt zu denken, dass das Mütterbild von »Latte-macchiato-Mami« über »Glucke« bis hin zu »Rabenmutter« allerlei Verunglimpfungen kennt. Deutschland braucht eine neue Familienphilosophie, keine neuen Familienleistungen. Das Versprechen, Kindergeld und Freibeträge anzuheben, klingt gut. Mehr Nachwuchs bringt das nicht. Ganz davon abgesehen, dass die CDU im Wahlkampf lieber verschweigt, wie hoch das Kindergeld künftig sein wird und wie die Freibetragserhöhung finanziert werden soll. Familien besserzustellen, ist der richtige Gedanke. Das »faktische Familiensplitting« der Union ist aber inkonsequent. Es entspricht nicht dem gelobten französischen Modell, bei dem jedes weitere Kind für eine viel stärkere Steuerentlastung sorgt als in Deutschland. Nicht nur das hat Frankreich uns voraus. Es ist die Selbstverständlichkeit, mit der Eltern dort Kinder erziehen. Weder Heiligenschein noch Damoklesschwert schwebt über ihnen. Die Wirkung unübersichtlicher Familienleistungen ist begrenzt. Die Macht der Gesellschaft nicht. Es darf nicht nur über Vereinbarkeit von Familie und Beruf geredet werden. Entscheidungen von Müttern müssen getragen werden. Von allen: Familien, Arbeitgebern, Freunden. Dafür müssen die einen Chefs lernen, dass manche Frauen mehr Zeit für ihr Kind haben und nicht kurz nach der Geburt am Schreibtisch sitzen wollen. Andere Chefs müssen einsehen, dass Betreuung kein Teufelswerk und schnelle, meist stundenreduzierte Rückkehr in den Job nicht per se schlecht ist. Wenn Teilzeit dann endlich Normalität wird, ist ein Meilenstein geschafft. Die Chance stiege, dass mehr junge Menschen Kinder nicht als Belastung sehen, sondern als das, was sie sind: eine Bereicherung ihres Lebens. Westfalen-Blatt vom 20.06.2013
Posted on: Fri, 21 Jun 2013 03:35:47 +0000

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