Wenn die Kandidaten klingeln SPD setzt auf den guten alten - TopicsExpress



          

Wenn die Kandidaten klingeln SPD setzt auf den guten alten Haustürwahlkampf – die Union bevorzugt Garagentreffs Salzkotten (WB). »Guten Tag, mich gibt es wirklich«: Burkhard Blienert, SPD-Bundestagskandidat im Kreis Paderborn, zieht von Tür zu Tür: »Am 22. September ist Wahl«, sagt der 47-Jährige – und findet fast immer Gehör. Von Reinhard Brockmann Mal in Bad Lippspringe, mal in Salzkottens Neubaugebiet nahe der Dreckburg: Blienert ist bewaffnet mit einem Stapel Kandidatenflyer. Vorne prangt sein Konterfei, hinten Kanzlerkandidat Peer Steinbrück. Das SPD-Signet ist unübersehbar – auch in einem der stärksten CDU-Wahlkreise in Deutschland kein Problem. Freundliche Worte, ein Händedruck, manche wünschen sogar »Viel Glück«. Blienert macht sich nichts vor. Weil er kein Mandat hat, ist er relativ unbekannt. Deshalb ist der erste Kontakt so wertvoll. Das Gesicht zeigen und einen Schneeballeffekt auslösen möchte er. Tatsächlich haben in Salzkotten viele das kurz zuvor aufgestellte Plakat oben an der Ecke zur Tudorfer Straße gesehen. In Bad Lippspringe hängt das Konterfei schon etwas länger an der Adolf-Kolping-Straße, der Wiedererkennungswert ist höher. Ein älterer Herr sagt, »Sie sehen aus wie auf dem Foto.« Siehe da, den Blienert gibt es tatsächlich! Nicht überall wird an diesem Spätnachmittag in Salzkotten geöffnet. Meistens ist tatsächlich niemand da, der Rasen länger als im Quartier üblich. Also doch Urlaub und kein Besuchsverbot für den Mann von der SPD. Rausgeflogen sei er noch nie, erzählt Blienert. Dafür gibt es schon mal klare Worte, man wolle mit Politik nichts zu tun haben. Andere lassen ihre Vorliebe für die CDU erkennen. Dann drückt er die Klingel direkt neben dem Schild: »Betteln und Hausieren verboten.« Selbst hier ein Hauch von einem Lächeln. »Das gilt nicht für Sie«, sagt die Hausherrin. Den Flyer kann Blienert gerade noch hinterlassen, schon ist die Tür wieder zu. Wer nicht zuhause ist, bekommt trotzdem Kandidatenpost. Meist dauern die Gespräche um die zwei Minuten. Das ist der Wert, den SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles für perfekt hält. Flagge zeigen, kurz vorstellen, Flagge streichen. Bei Blienerts Tour durch Salzkotten und Bad Lippspringe gibt es an je einer von 100 Haustüren schweres Geschütz: »Sie haben nicht die geringste Chance«, sagt eine Mittvierzigerin. Die Dame lässt offen, ob sie die SPD im allgemeinen oder Blienert im besonderen meint. Der zuckt und verspricht: »Ich bemühe mich.« Der in Delbrück aufgewachsene Referent der SPD-Landtagsfraktion steht auf Landeslistenplatz 29. Eigentlich müsste er auf ein gutes CDU-Ergebnis hoffen, um über Ausgleichsmandate für die SPD eine Chance zu haben. So verrückt ist das Wahlsystem, Blienert nicht. Er lebt auf, wenn es gelingt, einen Türöffner-Satz anzubringen. Mindestlohn geht immer. Von 40 Stunden Arbeit muss einer seine Familie ernähren können, sagt Blienert. Das versteht jeder, und ahnt, dass etwas in Deutschland nicht stimmt. Als nächstes sagt er dann, allein im Kreis Paderborn verdienten 35 000 Menschen weniger als 8,50 Euro in der Stunde. Auch die Forderung »gleicher Lohn für gleiche Arbeit« ist Konsens, aber die Wirklichkeit ist anders. Vor allem Frauen bestätigen das. Wenn es richtig gut läuft, kommt Blienert auf sein »Leib- und Magenthema« Bildungspolitik. Gleiche Chancen unabhängig von der Finanzkraft der Eltern: Dafür ist er in die Politik gegangen. Das große sozialdemokratische Ideal ist ihm die Mühen der Ebene wert. Das gilt selbst dann, wenn mitfühlende Hausbesitzer raten: »Nebenan brauchen Sie nicht zu klingeln, die wählen sowieso CDU.« Blienerts wichtigster Gegenkandidat im Wahlkreis Paderborn/Gütersloh III ist Carsten Linnemann (37). Der 2009 direkt in den Bundestag gewählte CDU-Abgeordnete setzt dagegen auf Garagentreffs und lockere Gesprächsrunden im Hausgarten. Dabei kommen 20 bis 40, manchmal auch 70 Teilnehmer zusammen. Linnemann hat nichts gegen Hausbesuche. Er macht selbst welche – aber nicht in Wahlkampfzeiten. An jeden ersten Samstag in Monat hat er in den vergangenen vier Jahren Klinken geputzt. In den letzten Wochen vor der Wahl fürchtet Linnemann den unausgesprochenen Vorwurf: »Der will doch nur meine Stimme.« Im Frühsommer bot sich Linnemann deshalb selbst als Talkgast bei privaten Treffs in der Garage oder in der Gartenhütte an. Bedingung, er möchte weniger Mitglieder als möglichst viele kritische Geister aus der Nachbarschaft treffen. Offenbar hat das kaum einer missverstanden. Ruckzuck standen 16 Termine im Kalender. In der Garage von Johannes Lindhauer in Delbrück-Lippling haben an einem Dienstagabend 30 der 42 Gäste kein CDU-Parteibuch. Bei Wilfried Vorhoff am Ziegelweg in Westenholz sind 90 Minuten vorher vier von 30 in der Partei. Anders als an der Haustür gehen die Gespräche tiefer. Man hat mehr Zeit. Bier und Wasser werden aus der Flasche getrunken. Linnemann spricht über Privates und Politik. In Berlin hat man Kollegen, aber echte Freundschaften seien selten. Daheim in Altenbeken hätte der Junggeselle eines Tages gern einen Sohn, mit dem er Fußballspielen möchte. Dann kommen die Fragen zur Eurokrise. Einige wissen, dass Linnemann zu fast allen Rettungspaketen nein gesagt hat. Der direkt gewählte Abgeordnete erklärt, dass er seine Unabhängigkeit den Wählern verdankt. Will sagen: Mit Eurer Stimme im Rücken, kann mich keiner umstimmen, wenn ich in einer Sache Bedenken habe. Aber Linnemann schränkt auch ein. Abweichen vom Fraktionskurs koste Kraft, bleibe die Ausnahme und sei nicht sein vorrangiges Politikprinzip. Manche am Garagentor bedauern das. Ganz klar, hier wird nicht eine Parteilinie glatt gezogen. Hier stehen Nachbarn beim Klön. Jeder hat seine Sicht und sagt das auch. Maut, Rente, Werkverträge, Mütterrenten, Energiewende: Die Themen ergeben sich wie von selbst. Linnemann hat längst nicht immer die perfekte Antwort, »will nicht den Besserwisser machen«. Längst ist er über einen guten Rat von Friedrich Merz hinaus. Der hatte ihm 2009 gesagt: »Im ersten Jahr ›Klappe halten‹, im zweiten ›nur reden, wenn Du absolut Ahnung hast‹.« Falsch, meint Linnemann heute: »Auch in Berlin kochen alle nur mit Wasser.« Zwei Wege, ein Ziel: Burkhard Blienert geht Klinkenputzen. Der Neue von der SPD wird bis zum Wahltag auf 1500 Haustürgespräche kommen. Die braucht er auch. Er muss sich bekannt machen. Nachteil: Die politische Botschaft bleibt extrem knapp. Vorteil: Nur Blienert wird Politikverdrossene herausklingeln, vielleicht sogar für die SPD gewinnen. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Linnemann ist längst eine lokale Größe. Er muss die Spannung hochhalten. Er will, dass die Menschen ihn nicht nur gut finden, sondern auch wählen. Dafür setzt er auf Vertiefung und echte Diskussion. Nachteil: Er wird in Garagen und Gärten auf maximal 500 Menschen treffen. Beide Kandidaten nutzen auch noch andere Wahlkampfformen und sie tun in den Wohnvierteln das für ihre Person Richtige. Außerdem: Beide hinterlassen eine doppelte Botschaft: »Wählen gehen – und am besten mich!« Geheimtipp Hausbesuch Der gute alte Hausbesuch gilt wieder als Geheimtipp, seit die SPD im Januar in Niedersachsen hauchdünn gewonnen hat. Im Bundestagswahlkampf haben SPD-Wahlkämpfer nach eigenen Angaben bereits an zwei Millionen Haustüren geklopft. CDU-Generalsekretär Herman Gröhe rief schon 2009 zu vielen Direktkontakten auf. SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück berichtet aus seiner Erfahrung von vier bis sechs Minuten langen Gesprächen an den Hauseingängen. Weniger prominente Genossen können davon nur nur träumen. Meist ist der Kontakt deutlich kürzer. In Ostwestfalen-Lippe dürfte Stefan Schwartze (SPD) im Wahlkreis Herford den Vogel abschießen. Drei Wochen vor der Wahl hat der Frühstarter schon 3700 Klingelknöpfe gedrückt und zu 28 Nachbarschaftsfesten eingeladen. Westfalen-Blatt vom 04.09.2013
Posted on: Wed, 04 Sep 2013 03:25:43 +0000

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