Überwachungsskandal: Geheimdienste außer Kontrolle Eine - TopicsExpress



          

Überwachungsskandal: Geheimdienste außer Kontrolle Eine Kolumne von Sascha Lobo Der Spähskandal hat eine schleichende, aber starke Wirkung: Bei allen wächst das Misstrauen gegenüber allen. Und das Gemisch aus Misstrauen, Macht und Geheimhaltung ist Gift für die Demokratie. Deshalb gilt es, die unersättliche Überwachungsmaschinerie zu stutzen. Jetzt haben wir die Chance. Daniel Ellsberg, der wichtigste amerikanische Whistleblower des 20. Jahrhunderts, half mit der Veröffentlichung der Pentagon-Papiere, den Vietnam-Krieg zu beenden. Im Juli 2013 schrieb er auf Twitter den Leitsatz für Staaten der digital vernetzten Ära: Geheimhaltung korrumpiert, genauso wie Macht korrumpiert. Die Wirkmacht und Weisheit dieses großen Satzes wird erst in den kommenden Jahren offenbar werden. Das korrumpierende Gift des Geheimen ist schon da. Es lässt sich erkennen an einer schleichenden, aber starken Wirkung des Spähskandals, dem Misstrauen. Bei allen wächst das Misstrauen gegenüber allen, die Stasi-Vertrauensschere im Kopf. Und das in der digitalen Welt, wo man wegen der Virtualität nicht viel mehr hat als Vertrauen. Denn die Gesellschaft verdatet. Alles wird zu digitaler Information, persönliche, persönlichste und intime Daten - also das, was Menschen verletzlich, angreifbar, erpressbar macht. Wie bei der Kontrolle der Macht geht es bei der staatlichen Heimlichkeit nicht um Abschaffung. Sondern darum, die monströse Ausweitung der Geheimoperationen zu bekämpfen. Eine Frage der Erpressbarkeit Ein Gedankenexperiment verdeutlicht die Dimension, mit der sich Misstrauen, Macht und Geheimhaltung zum Demokratiegift vermengen. Inzwischen ist bestätigt, dass Angela Merkels Handy abgehört wurde. Dabei sind wohl auch Gespräche aufgezeichnet worden. Wäre es wirklich undenkbar, dass darunter Informationen sind, deren Veröffentlichung für Merkel von größtem Schaden wären? Vielleicht hat sie sich ja am Telefon für ein geschenktes Bobby-Car bedankt. Und was würde das für zukünftige Verhandlungen bedeuten? Durch das heimliche Abhören von Merkels Handy ist die Frage der Erpressbarkeit keine hanebüchene mehr. Das ist zwar nur ein Gedankenspiel, aber es zeigt, wie gefährlich eine Überwachungsmaschinerie für die Demokratie ist, wenn sie sich ohne Schranken ausdehnen kann - weil sie durch Geheimhaltung der demokratischen Kontrolle entgeht. Wenn die Bundesregierung mit Großbritannien und den USA verhandelt, ist deshalb das wahrscheinlichste Ergebnis zugleich das schlimmste: ein Betritt zur angelsächsischen Spionage-Union Five Eyes, ein simpler Seitenwechsel von den scheinbar eher Belauschten zu den eher Lauschenden. Für eine Teilnahme an der Späh5-Gruppe wäre auch egal, mit welchen Worten dieser Vorgang wolkig umschrieben würde. Auf dem EU-Gipfel im Oktober 2013 hat Merkel mit einem Halbsatz gezeigt, dass das ihr präferierter Lösungsansatz wäre. Bezogen auf den britischen Premierminister und die Five Eyes erklärte sie: Anders als David sind wir ja leider nicht Teil dieser Gruppe. Leider nicht Teil einer radikalen Geheimdienst-Gruppe, die ungefähr sämtliche Verfassungen und Grundrechte ignoriert? Ernsthaft: leider? Geheimdienstmaschinerie ist außer Kontrolle Anfang November 2013 wurde bekannt, dass der BND tief verstrickt ist in die Überwachung der digitalen Sphäre. Der Guardian schreibt zudem, die Briten hätten den deutschen Diensten Hilfestellung darin gegeben, wie man gesetzliche Beschränkungen umgehen oder weglobbyieren kann. Die gesamte Geheimdienstmaschinerie ist außer Kontrolle geraten - ausdrücklich inklusive der deutschen Dienste. Politiker-Empörung, die sich allein gegen die NSA richtet, ohne die Frage nach der deutschen Kooperation zu stellen, steht deshalb unter Kosmetikverdacht. Und billig erscheint sie auch: Ein paar Ressentiments lassen sich immer preisgünstig mitnehmen. Die Wahrheit ist: Politiker quer durch alle Parteien sind auf die heimliche Bürgerüberwachung fixiert. Auf eine quasireligiöse, irrationale Weise, die sie immun gegenüber Argumenten wie Effizienz oder Rechtsstaatlichkeit macht. Zwischenzeitlich wurde seitens des CSU-geführten Innenministeriums der Plan bekannt, den deutschen Netzknoten in Frankfurt einfach direkt anzuzapfen. Das ist heimliche Bürgerüberwachung im NSA-Style, das Innenministerium beweist ein Fingerspitzengefühl wie Godzilla auf Crack. Es geht darum, die unersättliche Überwachungsmaschinerie zu stutzen und sich nicht bloß in Symbolpolitik zu verheddern. Deshalb ist so essentiell, die Vorratsdatenspeicherung zu beerdigen: Sie ist die deutsche Entsprechung der Bürgerüberwachung. Die #VDS ist der erste Schritt Richtung Spähhölle, weil sie sich verdachtslos gegen Bürger wendet. Das ist die rote Linie. Verdachtslose Überwachung im Verbund mit Geheimhaltung, das eint die Mindestspeicherfrist oder tafkav (the abuse formerly known as Vorratsdatenspeicherung) mit dem Prism-Komplex, also dem geheimen Programm zur Überwachung der Datennetze durch die NSA. Das Gift der Geheimhaltung verwandelt eine kluge und notwendige Skepsis gegenüber dem System Staat in schieres Misstrauen. Und Misstrauen wiederum ist das beste Argument für noch mehr Geheimhaltung. Die westliche Welt ist in einen antidemokratischen Teufelkreis der Geheimhaltung geraten. Edward Snowdens Leaks bieten eine vielleicht einmalige Chance, dem Teufelskreis zu entfliehen. Dazu muss man sie aber nutzen wollen. tl;dr David Ellsbergs großer Satz gehört ins Stammbuch der digitalen Gesellschaft: Geheimhaltung korrumpiert, genauso wie Macht korrumpiert.
Posted on: Tue, 05 Nov 2013 17:32:09 +0000

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