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Dieser Text, den ich schreiben muss, formierte sich, als ich gestern Abend auf Twitter eine Diskussion las, in der ich viele Missverständnisse orten konnte. Menschen und Meinungen wurden in einen Topf geworfen, vermanscht, zerkaut und – ja – auch verdreht. Am Ende blieb in mir das Gefühl, Gast in einer Inszenierung gewesen zu sein, die mir ein wenig Angst macht. Als ich heute beim Frühstück saß, wusste ich plötzlich, woher diese Angst kommt. Und ich begann um 7 Uhr morgens zu schreiben. (Was jetzt folgt, ist eine sehr persönliche Geschichte, die – und das ist mir wichtig – meine Geschichte ist.) Die Angst wurzelt in der Erinnerung an mich. An mich als junge Frau. Und an ein unglaublich dominantes Gefühl, das mich damals durchs Leben trug. Das Gefühl hieß Wut. Unsagbare Wut. Diese Wut übermalte alles, was sich mir – so dachte ich – entgegenstellte. Viel war das. Es waren Männer, es waren Frauen, es waren Worte, es waren Werte, es waren Geste, es waren Meinungen, es waren Gefühle, es waren Momente. Ich nahm eigentlich das ganze Leben als Anlass, um mich zu empören, mich zu kränken, mich angegriffen zu fühlen. Vor allem aber: Um – dermaßen auf Schiene – andere anzugreifen. Ich habe Menschen vor den Kopf gestoßen, ich habe mich in Diskussionen verloren, ich habe beleidigt, verstoßen, angegriffen. Auch jene, die ich glaubte, zu lieben. Gerade die! Und, ja, ich habe Tatsachen so verdreht, um mich in meinem Lebensmuster bestätigt zu fühlen: Ich bin Opfer. Die Wut war lange Zeit mein ständiger, unsichtbarer Begleiter. Sie saß mir im Nacken und flüsterte mir zu, weiterzutun, mit dem Ziel möglichst viel kaputt zu machen, zu zerstören. Dazu zählten – und das bedauere ich heute immer noch – Versuche anderer Mitmenschen, mir Gutes zu tun, versöhnlich auf mich zuzusteuern, mir die Hand zu reichen. Der Dalai Lama sagt: „In der Wut verliert der Mensch seine Intelligenz.“ Die Frage, die ich mir eines Tages stellte, ja stellen musste (in der Erkenntnis, dass ich mich mit dieser Wut selbst zerstöre bzw. alles was mir lieb ist, bzw. nicht im Leben weiterkommen werde) war: Warum? Warum so viel Lust daran , stets Projektionsflächen für meinen Unmut, für meinen latenten Hass, für meine Wut, suchen zu müssen? Das Thema wurde immer dringlicher für mein Frau-sein, vor allem aber: für mein Mutter-sein. Ich begann mich auf die Suche zu machen – nach den Wurzeln der Wut. Ein schmerzhafter Weg, der mich durch die Stationen meines bisherigen Lebens führte. Mir nochmals in aller Intensität darbot, was ich erlebt hatte. Einen Vater, der jedes Wochenende versprach, nicht betrunken heim zu kommen, aber sein Versprechen nicht hielt. Eine Mutter, die darunter litt und – ebenfalls durch ihre eigene Geschichte – erfüllt von Wut, zuschlug. Der frühe Tod dieser beiden Menschen, die mich mit dem Gefühl zurückließen, immerzu verlassen worden zu sein. Ohne jemals verstehen zu dürfen, weshalb. Ein So-sein (ich schielte sehr stark), das mir das Gefühl gab, von Kindern ausgeschlossen zu sein. Drei Spitalsaufenthalte (Augen-OPs in den 60er-Jahren), bei denen man mich mit den Händen ans Bett gefesselt hat. Ich musste erkennen, dass all dies meine vertraute Welt war und ich sie mir immer wieder von neuem zu inszenieren versuchte. Ich musste noch so viel anderes erkennen, es hier zu schreiben, würde allerdings den Rahmen und meine Privatsphäre sprengen. Wesentlich wichtiger ist, was ich aus diesem Prozess des „Erkennens“ für mich ins Leben mitnehmen konnte: Ich bin durch die Transformation meiner Wut weiter geworden. Ich wäge ab, bevor ich urteile. Ich versuche eher, einem anderen Menschen entgegen zu kommen als ihn – einem inneren Automatismus folgend – sofort wegzustoßen. Ich höre die Argumente meiner „vermeintlichen“ Gegner, um sie (halbwegs empathisch) zu verstehen. Ich habe verstanden, dass Krieg nichts bringt. Kein Krieg für mich, kein Krieg gegen etwas, kein Krieg, kein Krieg, kein Krieg. Das alles hat auch dazu geführt, dass ich meinen Eltern, trotzdem ich mich aufgrund ihres Nicht-mehr-da-seins mit ihnen nicht mehr von Angesicht zu Angesicht unterhalten konnte, annäherte. Nicht völlig verzeihend, aber verstehend. Vor allem aber habe ich gelernt, mir selbst zuzuhören. Zu spüren, wann etwas gut ist für mich, oder schlecht. Ich gehe mit mir behutsamer um und dazu gehört auch, dass ich mich nicht mehr mit aller Gewalt gegen etwas stemme und mir mit aller Gewalt Lebens-Settings suche, in der ich meine Verletzungen immer wieder von neuem erleben kann. Das heißt nicht, dass ich alles hinnehme. Das heißt vor allem, dass ich aufgehört habe, mir Situationen herzuzoomen, die meine potenzielle Lust am Verletztsein triggern. Ich bin dankbar für alles, was mir passiert ist. Weil ich mein Leben unglaublich liebe und ich lernen konnte, Menschen zu lieben.
Posted on: Tue, 08 Oct 2013 11:32:41 +0000

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