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File name: Das_Selbst_und_das_Nicht_Selbst.doc | File type: application/octet-stream Save to Yahoo! Briefcase - Download File - Need Help? Vivekananda - Wanderer zwischen den Welten Mit der „World’s Columbian Exposition 1893“, der amerikanischen Weltausstellung in Chikago, war noch ein anderes Ereignis verbunden, das „Parlament der Weltreligionen“. „Da die Religion die Basis der amerikanischen Freiheit bildet und es sonnenklar ist“, wie es in der Geschichte des Parlaments heißt, „daß die Religion Christi zu vielen der großartigsten und edelsten Entwicklungen der modernen Zivilisation geführt hat, dürfte neben Elektrizität und den Errungenschaften der modernen Technik und Naturwissenschaft die Religion von der Kolumbus Weltausstellung nicht ausgeschlossen werden“. Einige christliche-theologische Befürworter der Veranstaltung hofften, sie werde die Gelegenheit bieten, die Überlegenheit des Christentums über die anderen Glaubensbekenntnisse darzulegen. Am 11. September 1893 wurde im Kristallpalast, einem der Ausstellungsgebäude, das „Parlament der Welteligionen“ mit 7000 Teilnehmern unter dem Vorsitz Kardinal Gibbons feierlich eröffnet. Neben den christlichen Gruppen waren Delegierte des Buddhismus, Shintoismus, Hinduismus, Konfuzianismus, Jainismus, Mazdaismus und des Islam vertreten. Aus Indien war auch der 30- jährige Mönch Vivekananda, Lieblingsschüler eines der berühmtesten indischen religiösen Lehrers, Ramakrishna (1836 - 1886) angereist. Seit dessen Tod hatte er, alter Hindutradition folgend, als Wandermönch den ganzen Subkontinent durchquert. Der hochgebildete Absolvent eines englischen Colleges in Kalkutta war durch seine Universitätsstudien ebenso mit europäischer Philosophie und Geschichte vertraut, wie er in der jahrtausendealten indischen Geistestradition verwurzelt war und beherrschte das Englische wie seine Muttersprache. Durch die Berührung mit dem Elend und der Armut der indischen Bevölkerung während seiner Pilgerschaft entschloß er sich, sein Leben nicht in einer „Höhle im Himalaya“ zu verbringen, sondern zum Wohl seines Landes zu arbeiten, das seit 1858 an die Krone Englands übergegangen war. Die Teilnahme an dem im neuen Erdteil Amerika geplanten Religionskongreß würde ihm Gelegenheit bieten, einem aufgeschlosseneren Publikum, als es in Europa zu erwarten war, die philosophischen und spirituellen Weisheiten Indiens zu verkünden und Kenntnisse der Wissenschaft und Technik der neuen Welt zum Nutzen und Austausch nach Indien zu bringen. Der Maharaja von Khetri, einer seiner Freunde und Anhänger, schenkte ihm die Schiffskarte erster Klasse und stattete ihn mit einem Gewand aus orangefarbener Seide und einem gelben Turban aus. Bereits die ersten Worte seiner ersten Ansprache, mit der er alle bei ähnlichen Kongressen üblichen steifen Formelkonventionen umstieß, wurden von minutenlang anhaltendem Beifall unterbrochen, bei dem sich tausende von ihren Sitzen erhoben. „Es erfüllt mein Herz mit unsagbarer Freude, mich in Antwort auf das warme und herzliche Willkommen, das Sie mir entboten haben, zu erheben. Ich danke Ihnen im Namen des ältesten Möchnsordens; ich danke Ihnen im Namen der Mutter aller Religionen; ich danke Ihnen im Namen der Millionen und Millionen Hindus aller Klassen und Sekten. Ich bin stolz, daß ich einer Religion angehöre, die der Welt sowohl Duldsamkeit wie Annahme aller Religionen gepredigt hat. Wir glauben nicht nur an eine alle umfassende Duldsamkeit, sondern wir erkennen auch alle Religionen als wahr an. Ich bin stolz, daß ich einer Nation angehöre, welche Verfolgte und Flüchtlinge aller Religionen und aller Nationen der Erde, z.B. die Israeliten und die Anhänger Zarathustras, aufgenommen hat.“ Und er unterstrich das Gesagte durch ein Gleichnis aus den Upanishaden: „Wie die verschiedenen Ströme, welche ihre Quellen an verschiedenen Plätzen haben, ihre gesamten Wassermassen im Ozean vermischen, so führen, o Herr, die verschiedenen Wege, welche die Menschen infolge ihrer verschiedenen Neigungen einschlagen, unterschiedlich, wie sie auch erscheinen mögen, krumm oder gerade, alle zu dir.“ Aber er deutete auch an, wogegen diese Botschaft der Versöhnung sich unversöhnlich zeigen würde. „Sektentum, blinder Glaube, und deren schrecklicher Abkömmling, der Fanatismus, haben diese schöne Erde lange genug besessen. Sie haben die Erde mit Gewalttätigkeiten erfüllt, sie immer wieder mit menschlichem Blut durchtränkt, Zivilisationen vernichtet und ganze Nationen ins Unglück gestürzt. Ohne diese schrecklichen Dämonen wäre die menschliche Gesellschaft schon viel weiter fortgeschritten, als sie jetzt ist. Aber ihre Zeit ist gekommen; und ich hoffe, daß die Glocke, welche an diesem Morgen zu Ehren dieses Kongresses erklang, die Totenglocke für allen Fanatismus, für alle Verfolgungen mit dem Schwert oder der Feder und für alle lieblosen Gefühle zwischen Personen sein möge, die sich dem gleichen Ziele zuwenden.“ Als hätten die Zuhörer auf diese Botschaft universaler Harmonie gewartet, erhob sich stürmischer Beifall und so mancher unter den Delegierten wurde sich bewußt, daß Vivekananda als einziger nicht über seine eigene Religion, sondern über die sie alle umgreifende Einheit gesprochen hatte, die er selbst unter der spirituellen Leitung seines Lehrers Ramakrishna erfahren und verwirklicht hatte. Ein jüdischer Teilnehmer des Kongresses schildert seinen Eindruck: „Als ich Vivekanada hörte, habe ich zum erstenmal erkannt, daß meine eigene jüdische Religion wahr ist und daß der Swami nicht nur für seine eigene Religion, sondern für alle Religionen der Welt sprach.“ Dies machte Vivekananda noch deutlicher, als er bei der letzten Sitzung des Parlaments der Religionen in seiner Schlußansprache betonte: „Der Christ soll weder Hinduist oder Buddhist werden, noch soll der Hinduist oder Buddhist ein Christ werden. Aber jeder muß den Geist des anderen in sich aufnehmen und doch seine Eigenart bewahren und gemäß seinem eigenen Wachstumsgesetz wachsen. Wenn das Parlament der Religionen der Welt etwas gezeigt hat, so ist es dies: es hat der Welt bewiesen, daß Heiligkeit, Reinheit und Barmherzigkeit nicht der ausschließliche Besitz einer Kirche in der Welt ist und daß jedes System Männer und Frauen von erhabensten Charakter hervorgebracht hat. Wenn angesichts dieses Beweises jemand davon träumt, daß nur seine eigene Religion weiterleben wird, die anderen aber zerstört werden, so bedaure ich ihn aus dem Grunde meines Herzens. ...“ Seine Botschaft religiöser Toleranz, die „Universale Religion“ Ramakrishnas fand begeisterte Zustimmung. Die Weltreligionen widersprächen sich nicht, sondern jede verkörpere einen Teil der Wahrheit, keine sei zu verurteilen, vom niedrigsten Götzendienst bis zu den höchsten Gedankenflügen des Vedanta, sei alles ein Ausdruck des Einen Absoluten. Wie er von Ramakrishna gehört hatte, seien selbst Formen der Religionsausübung nicht zu tadeln, die sich dabei sinnlichen Ausschweifungen hingaben. „Warum mußt du diese Leute kritisieren“, hatte Ramakrishna gesagt, „auch ihr Weg führt zu Gott. Ein Herrensitz hat viele Türen.Der Kehrer kommt durch die Hintertür herein. Du aber brauchst diese ja nicht zu benutzen.“ Sein Erscheinen vor dem Parlament der Religionen hatte ihn über Nacht berühmt gemacht und die Wellen dieser Berühmtheit flossen zurück in sein Heimatland, das er als völlig Unbekannter verlassen hatte und später im Triumph wieder betreten sollte. In den Straßen Chikagos wurden Porträts von ihm aufgestellt, „Der Mönch Vivekananda“ stand darunter und Passanten verbeugten sich vor ihnen. Seine Reden wurden in den Zeitungen abgedruckt, und die Menschen drängten sich um ihn, wo sie ihn erblickten. Der New York Herald schrieb: „Er ist zweifellos die bedeutendste Gestalt des Parlaments der Religionen. Nachdem wir ihn gehört haben, fühlen wir, wie töricht es ist, Missionare zu einer so gelehrten Nation zu schicken.“ Und die Boston Evening Post: „Ihm fliegen die Herzen des Parlaments zu wegen der Größe seiner Gefühle und der Würde seiner Erscheinung. Wenn er nur die Rednertribüne betritt, schallt ihm der Beifall entgegen; und er nimmt diesen betonten Beifall der Tausende mit kindlicher Einfalt und Dankbarkeit entgegen ohne eine Spur von Überheblichkeit.“ Ihn selbst ließ seine wachsende Bekanntheit unbeeindruckt, denn er wird empfunden haben, daß der Ruhm nichts ist gegen einen Mann, der eine ganze Welt im Kopf hat, denn nun sah er sich der gewaltigen Aufgabe gegenüber, diese Welt des Vedanta mit allen ihren in Jahrtausenden gewachsenen Wissenschaftszweigen wie Metaphysik, Psychologie, Erkenntnistheorie, Religionsphilosophie, Kosmologie und Ethik in eine Form zu gießen, die seiner aus allen Bildungsschichten bestehenden Zuhörerschaft und deren Verständnisniveau angepasst war. Dann wieder mußten jene altindischen Lehren bestimmten philosophischen Grundauffassungen der europäischen Geistesgeschichte konfrontiert werden, aber auch den naturwissenschaftlichen Theorien der Moderne war Rechnung zu tragen, konnte er doch in ihnen die „Trommeln“ der Upanishaden hören mit den ungeheuren Zeiträumen, in denen gerechnet wurde, der beginnenden Auflösung der „Materie“und ihre Zurückführung auf den Energiebegriff. In einem Brief schrieb er: „Ich arbeite jetzt emsig an der Kosmologie und Eschatologie des Vedanta. Ich sehe deutlich ihre völlige Übereinstimmung mit der modernen Wissenschaft, und der Aufhellung der einen wird die der anderen folgen.“Schließlich galt es, die Einheit aller Religionen nicht nur durch den Nachweis von Textstellen der verschiedenen heiligen Schriften mit dem gleichen geistigen Gehalt und Wortlaut darzustellen, sondern das Wichtigste zu leisten, nämlich ausgewählte Schüler in die Wissenschaft des Yoga und ihrer systematischen Methoden einzuweihen, welche die Erfahrung dieser Einheit des Selbst ermöglicht und gewährleistet. Vivekananda selbst hat wenig geschrieben, seine Werke sind von Schülern überliefert und nur sein bekanntes Werk „Raja-Yoga“ mit der Übersetzung und dem Kommentar der Aphorismen des Patanjali hat er selbst redigiert. Bedenkt man, daß er manchmal mehrere Vorträge über verschiedene Themen an einem Tag halten mußte, ist diese geistige Leistung nur einem Eidetiker möglich.Gelesenes erfasste er mit einem Blick und konnte gewaltige Stoffmengen ordnen, systematisieren, interpretieren und in faßlicher Form gestaltet aus sich herausstellen. So verfügte er selbst über das, was er von seinen Schülern erwartete, den „messerscharfen Verstand eines Shankara und das Herz eines Buddha“, aber auch die „stählernen Muskeln“ von Athleten. In seinen ausgedehnten Vortragsreisen unternahm er nun , wie er in einem Brief schrieb „die unermeßlich schwere Aufgabe , die hinduistischen Ideen aus trockener Philosophie, verwickelter Mythologie und sonderbarer Psychologie ins Englische zu übertragen und in Übereinstimmung mit der modernen Wissenschaft zu interpretieren“. Hierzu schien die Empfänglichkeit der Amerikaner für geistig-religiöse Botschaften, die in ihrer noch kurzen Geschichte immer schon ausgeprägt war, das geeigneteste Forum zu bieten. In die Transzendentalbewegung des Philosophen, Dichters und Essayisten Emerson und seines Schülers Thoreau war schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts - der Transcendental Club in Concord bei Boston wurde 1842 zur Zeit der Blüte der Bewegung - indischer Geist geströmt. Emerson kannte die Bhagavad Gita, die Heilige Schrift der Hindus und Schriften der Vedantaphilosophie sowie die Upanishaden und veröffentlichte religiöse und philosophische Texte aus orientalischen Sprachen. Auch Thoreau las die Klassiker der Hindus und hatte geschrieben: „Ich bade meinen Intellekt in der höchst bewundernswerten und kosmologischen Philosophie der Upanishaden“, von denen Schopenhauer bekannt hatte, sie sei die „belohnendste und erhabenste Lektüre, die auf dieser Welt möglich“ sei und in seinem Hauptwecrk prophezeite, daß der Einfluß der „Sanskrit-Literatur nicht weniger tief eingreifen“ werde „als im 15. Jahrhundert die Wiederbelebung der griechischen“. Der Transzendentalismus in Amerika wich aber bald dem Empirismus, Pragmatimus und Utilitarismus und Walt Withman sah im Gesellschaftsleben seiner Zeit „Seichtigkeit, Rohheit, kraftlose Glaubenslosigkeit, kleinliche Ziele“ und behauptete, daß die Demokratie „unserer Neuen Welt ... ein Fehlschlag in geistig sozialer Hinsicht“ sei. In den drei folgenden Jahren seines Aufenthaltes in Amerika besuchte Vivekananda die großen Städte des Ostens und mittleren Westens. Dabei lernte er das Land, in dem er Anerkennung und Bewunderung gefunden hatte, auch von seinen Schattenseiten kennen, Rassimus gegen Schwarze und Indianer, die allgegenwärtige Gier nach Macht und Einfluß und die blinde Anbetung des Geldes, an dem der Wert von allem und jedem gemessen wird. Aber auch die Amerikaner lernten Vivekananda von einer anderen Seite kennen, denn er war nicht gekommen, um die Schwächen der westlichen Zivilisation und ihrer geistigen Hohlheit mit Rosen zu bedecken und zu beschönigen. Seine Warnungen davor, die materialistische Zivilisation könne „den Keim der eigenen Zerstörung in sich tragen“ und der Westen „sich im Netz seiner unaufhörlichen Tätigkeit in nicht endender Bewegung ohne spirituelle Ziele verfangen“ stießen verständlicher Weise auf Mißfallen. Und sicher rief auch seine Ansicht, daß die „Wahrheit keiner Gesellschaft zu huldigen“ habe, sondern die „Gesellschaft der Wahrheit zu huldigen“ habe oder untergehen müsse, nur bei den wenigsten Begeisterung hervor. Seine mitunter schroffen Urteile und geistvoll-ironisch vorgetragenen Angriffe gegen die westliche Lebenseinstellung und religiöse Heuchelei sowie sein Verdikt, daß die Grundlage dieser Gesellschaft und ihres wirtschafltlichen Erfolges der Betrug sei, sein manchmal aufbrausendes Temperament, entsprachen so gar nicht der Vorstellung, die man sich von einem „sanften Hindu“ machte, so daß man ihn bald den „stürmischen Hindu“ nannte.Jedoch charakterisiert er sich selbst in einem Brief an einen amerikanischen Freund anders. Er zeigt auch, wie leid er der ständigen Vorträge war, die seine Gesundheit ruinierten. „Ich weiß nicht - seit ich hier bin, ist mein Herz voller Traurigkeit. Ich weiß nicht, warum. Ich bin der Vorträge und all diesen Unsinns müde. Diese Umgebung von Hunderten menschlichen Viehs - männlich und weiblich, bedrängt mich. Ich will Ihnen sagen, was mir vorschwebt. Ich kann nicht schreiben, kann nicht sprechen - aber ich kann tief denken, und wenn ich in Hitze gerate, kann ich mit feuriger Glut sprechen. Aber nur zu einigen Auserwählten, einigen wenigen Auserwählten. Sie sollen meine Ideen mit sich tragen und weit und breit ausstreuen, wenn sie mögen - aber nicht ich. (...) Ich bin wirklich kein Sturmwind, weit entfernt davon. Was ich brauche, ist nicht hier. (...) Meine Idee, Gutes zu tun, ist diese - einige wenige Männer und Frauen auszubilden und nicht Perlen vor die Säue zu streuen und Zeit, Gesundheit und Kraft zu vergeuden. Wie gern möchte ich einige Jahre lang stumm werden und überhaupt nicht mehr sprechen. Ich wurde nicht für diese weltlichen Kämpfe und Streitigkeiten geschaffen. Von Natur bin ich träumerisch und träge. Ich bin ein geborener Ideenmensch und kann nur in einer Welt der Träume leben. Die Berührung mit materiellen Dingen stört meine Visionen und macht mich unglücklich.“ Jedoch war er auch eine ausgesprochen kämpferische Natur, stammte er doch aus der Krieger-Kaste im geistigsten Sinne der Bhagavad Gita verstanden, der „sanft wie eine Blume“ war, wenn es um Liebe ging, aber „hart wie ein Diamant“ wenn es die Wahrheit galt, die sich oft genug der Rohheit, Kleinlichkeit, Unfreundlichkeit, Hochnäsigkeit und anmaßender Unwissenheit einiger Mitglieder der amerikanischen Gesellschaft gegenübersah. So stellten ihm manche Leute beleidigende Fragen über Indien, die auf entsprechenden boshaften und falschen Berichten gründeten und Vivekananda fiel über solche Fragesteller mit schonungsloser Offenheit her. Eine Zeitung schrieb: „Wehe dem Mann, der sich erkühnt, den Mönch auf seinem eigenen Gebiet anzugreifen, und das versuchen die, welche es überhaupt wagen, nur einmal. Seine Antworten kommen wie flammende Blitze, und der tollkühne Frager kann sicher sein, auf der blitzenden intellektuellen Lanze des Inders aufgespießt zu werden. ...“ Wenn er auch viele Anhänger unter den gläubigen Christen fand, die sicher von den gleichen Sorgen um die religiöse und spirituelle Zukunft der Menschheit bewegt waren, so richtete er allerdings seine harsche Kritik gegen das bigotte und verlogene Christentum mancher seiner führenden Persönlichkeiten. Von heftigem Zorn ergriffen fuhr er seine Kritiker bei einer Versammlung in Detroit an. „Ihr schult, kleidet und bezahlt Männer, um in mein Vaterland zu kommen und alle meine Vorfahren, meine Religion, mein Ein und Alles zu beschimpfen und zu verfluchen. Diese Leute gehen an einem Tempel vorbei und sagen:’Ihr Götzendiener, ihr werdet zur Hölle fahren.’ Aber der Hindu ist sanft; erlächelt, geht vorbei und sagt zu sich: ‘Laßt die Narren reden.“ Aber ihr, die ihr Menschen ausbildet, um zu beschimpfen und zu kritisieren, ihr zuckt zusammen, wenn ich nur die geringste wohlmeinende Kritik an euch vorbringe, und schreit:’Rührt uns nicht an! Wir sind Amerikaner; wir kritisieren, verfluchen und beschimpfen alle Heiden der Welt; aber tasten Sie uns nicht an, wir sind empfindsame Pflanzen.“ Und er ließ es noch lange nicht dabei bewenden:“Und wenn eure Missionare uns kritisieren, so mögt ihr euch merken: Wenn ganz Indien aufsteht und allen Schmutz, der auf dem Boden des Indischen Ozeans liegt, nimmt und die westlichen Länder damit bewirft, so tut es nicht einen Bruchteil dessen, was ihr uns antut.“ Und er erinnerte an die für uns beschämende geschichtliche Wahrheit: „Die militärischen Eroberungen der westlichen Nationen gehen eigenartigerweise oft Hand in Hand. Die meisten Leute wurden aus weltlichen Gründen bekehrt.“ Er schloß mit der Warnung: „Aber solche Gebäude stürzen zusammen; sie sind auf Sand gebaut; sie können nicht dauern. Alles, was Selbstsucht als Grundlage, Wettbewerb als rechte Hand und Genuß als Ziel hat, muß früher oder später zu Grunde gehen. Wenn ihr leben wollt, so kehrt zu Christus zurück. Ihr seid keine Christen. Nein, als Nation seid ihr es nicht. Geht zurück zu Christus. Kehrt zurück zu ihm, der nicht wußte, wohin er sein Haupt legen sollte. Ihr habt eine Religion, die im Namen des Luxus gepredigt wird. ... Wandelt euch, wenn ihr leben wollt. Ihr könnt nicht Gott und dem Mammon zur gleichen Zeit dienen. All dieser Wohlstand - ist das alles von Christus? Christus würde all diese Irrlehren verworfen haben. Wenn ihr diese beiden, diesen wundervollen Wohlstand und das Ideal Christi vereinbaren könnt, so ist es gut; aber könnt ihr es nicht, so gebt besser diese eitlen Bestrebungen auf. Seid lieber bereit, mit Christus in Lumpen als ohne ihn in Palästen zu leben.“ Wie man sich leicht vorstellen kann, riefen solche harten Worte Feindschaft hervor, so wie sein wachsender Ruhm den Haß derjenigen heraufbeschwören mußte, die sich um den ihnen zustehenden eigenen Ruhm betrogen fühlten. Wenn es schon nicht gelang, Vivekananda mit seinen eigenen Waffen zu schlagen, so mußte eine Diskreditierung dadurch geschehen, daß man Geschichten über ihn in Umlauf brachte, die zeigen sollten, daß er sich selbst nicht an die von ihm aufgestellten Ideale hält. Es waren nicht nur christliche Fanatiker, sondern auch neidische indische Delegierte des Parlaments der Religionen, die sich an der Verleumdungskampagne beteiligten. Als besonders niederträchtig erwiesen sich die Theosophen, die kurz nach seiner Ankunft in Amerika, als er ohne einen Cent auf der Straße saß, ihm finanzielle Unterstützung zusagten, allerdings unter der Bedingung, daß er sich zu ihren Prinzipien bekennen sollte, was er nicht nur aus dem Grund zurückwies, daß sie ja ihre Prinzipien aus der Verkehrung und Verkürzung indischer Grundsätze zusammengesetzt hatten. Sie behaupteten etwa, Vivekananda verletze in Amerika klösterliche Regeln, indem er verbotene Nahrung zu sich nehme und die Kastengesetze übertrete. Andere Berichte behaupteten, eine seiner Gastgeberinnen habe wegen des Swamis eine Bedienstete entlassen müssen. Diese Gastgeberin selbst war es, die diesen Bericht aufs Schärfste dementierte. Seinen über all diese Gerüchte entsetzten Anhängern in indien schrieb Vivekananda, daß er nie von seinem Mönchgelübde, in Keuschheit und Armut zu leben, abgewichen sei, er sich allerdings bei den Nahrungsfragen an die Gewohnheiten des Gastlandes anpassen müsse. Er wies in der ihm eigenen Radikalität seine Schüler in Indien zurecht:„Wollt ihr mir sagen, daß ich geboren bin, als einer dieser abergläubischen, unbarmherzigen, scheinheiligen, gottlosen und feigen Kastenknechte, die es nur unter den gebildeteten Hindus gibt, zu leben und zu sterben? Ich hasse Feigheit. Ich will nichts mit Feiglingen zu tun haben. Ich gehöre ebenso der Welt wie Indien an; kein Mißverständnis darüber. Welches Land hat einen besonderen Anspruch auf mich? Bin ich der Sklave einer Nation?Ich verspüre eine größere Macht als Mensch oder Gott oder Dämon hinter mir. Ich brauche niemandes Hilfe.“ Wie allerdings nicht anders zu erwarten ist, hatte er in den Agnostikern, den Atheisten, Rationalisten und Materialisten die einflußreichsten Widersacher, die natürlich der Überzeugung waren, durch Logik, Vernunft und aus Beweisen der westlichen Philosophie und Wissenschaft, alles in Frage stellen und widerlegen zu können, was sich auf Religion oder Gott bezog. Sie veranstalteten eine Versammlung, zu der sie Vivekananda einluden, damit er seine Auffassungen darlegen konnte. „Ich werde nie den denkwürdigen Abend vergessen“, schrieb ein amerikanischer Schüler, „als der Swami ganz allein erschien, um sich den vereinigten Kräften des Materialismus entgegenzustellen, die die schwerste Rüstung angelegt hatten, gespickt mit Schlagworten wie Vernunft und Logik, Gesetz und gesunder Menschenverstand, Energie und Materie, Vererbung und natürlicher Auslese, tönende Phrasen, die dem Unwissenden Scheu einflößen und ihn erschrecken sollen. Und nun ihre Überraschung, als sie fanden, daß der Swami, nicht im geringsten eingeschüchtert durch diese großen Worte, sich als Meister in der Führung ihrer eigenen Waffen erwies und mit den Argumenten des Materialismus ebenso vertraut war, wie mit denen der Advaita-Philosophie. Er bewies ihnen, daß ihre vielgerühmte westliche Wissenschaft die wesentlichsten Fragen des Lebens und des Seins nicht beantworten konnte, daß ihre unwandelbaren Gesetze, von denen sie soviel Aufhebens machten, keine eigene Existenz unabhängig vom menschlichen Denken und Verstand hatten, daß selbst die Idee der Materie ein metaphysischer Begriff sei und daß es die vielgeschmähte Metaphysik war, auf der letzlich ihr ganzer Materialismus basierte. Mit unwiderstehlicher Logik zeigte er, daß ihre Erkenntnisse falsch waren - und zwar nicht durch Vergleich mit dem, was wahr ist - sondern gerade infolge der Gesetze, auf denen diese Erkenntnisse aufgebaut waren. Er bewies, daß die reine Vernunft ihre eigene Grenzen zugeben muß und auf etwas jenseits der Vernunft hinweist und daß der Rationalismus, wenn bis zu den letzten Konsequenzen durchdacht, uns schließlich zu etwas führen muß, das über der Materie, über der Energie, über den Sinnen, über dem Denken ... ist, von dem all diese nur Manifestationen sind.“ Auch Christus, Buddha oder Krishna bezeichnet Vivekananda als „Wellen in dem Ozean des Unendlichen Bewußtseins, das Ich bin.“ Wir sehen dabei sich das gewaltige Sendungs - und Selbstbewußtsein darstellen, dessen Ursprung in der Lehre des Vedanta zu suchen ist, wie wir später verstehen werden. Vivekanandas oft krasse Urteile und seine für Europäer unnachvollziehbare Einschätzung seiner Bedeutung, wie sie etwa auch Albert Schweitzer erschreckt, gipfeln schließlich in Bemerkungen wie, er habe „bei seinem jetzigen Besuch auf der Erde der Menschheit für die nächsten 1500 Jahre genug gegeben“, und die Bemerkung Schweitzers, Nietzsches Übermensch sei gegen den indischen Yogi ein armer Wicht, ist sicher gerechtfertigt. Aber wir kennen auch Aussprüche europäischer Mystiker, die auf gleicher Linie liegen, sagte doch Jakob Böhme, er sei so groß wie Jesus, nur „heller“. Währenddessen absolviert er ein ungeheures Pensum an Vorlesungen und Vorträgen, es erscheinen seine von den Schülern und seinem Stenographen festgehaltenen Vorlesungen unter dem Titel „Raja-Yoga“, „Jnana-Yoga“, „Karma-Yoga“ und „Bhakti-Yoga“, welche die Gesamtschau indischen Denkens nach Art der philosophischen Systeme in Europa eingeteilt in Logik, Erkenntnistheorie, Psychologie,Ontologie, Kosmologie sowie der Ethik enthalten und über Amerika hinaus Verbreitung finden und auch die Bewunderung Tolstois hervorrufen. Nach seinen mitreißenden Vorträgen zur Philosophie des Vedanta bietet man ihm Lehrstühle für östliche Philosophie in Harvard und Columbia an, die er ablehnt. In New York schließt er eine seiner letzten Veranstaltungen schon nach kurzer Redezeit und zieht sich mit einer Verbeugung zurück. Als Freunde ihn fragten, ob er vielleicht den Faden verloren hätte, antwortete er: „Ich fühlte plötzlich, daß ich zuviel Macht hatte. Ich bemerkte, daß die Zuhörer derart von meinen Ideen gepackt wurden, daß sie ihr eigenes Wesen verloren, gleichsam Ton in meinen Händen wurden , und ich ihnen jede gewünschte Form geben konnte. Das entspricht nicht meiner Philosophie. Ich will nicht die Eigenart irgendeines Menschen ändern oder zerstören. Deshalb mußte ich aufhören.“ In Deutschland trifft er auf einer Europareise 1896 mit dem Indologen und hervorragendsten europäischen Sanskritkenner Paul Deussen, einem Schulfreund Nietzsches, zusammen und in London mit Max Müller, dem berühmten Indologen und Übersetzer der „Kritik der reinen Vernunft“, der an einem Werk über Ramakrishna arbeitete. Vivekananda äußert sich tief bewegt über die Liebe dieser beiden Gelehrten zu Indien. Wenn er auch keine finanzielle Unterstützung des Westens für sein Land hatte erwirken können, so hatte er doch die Aufmerksamkeit und Anteilnahme weiter Kreise für Indien geweckt. Indische Studenten wurden in wachsendem Umfang zu technisch-wissenschaftlichen Studien an westliche Universitäten gesandt und westliche technische Fachleute kamen nach Indien. Ein halbes Jahrhundert nach Vivekanandas Auftreten in Amerika erlangte Indien seine Unabhängigkeit. 1902 starb Narendranath Datta, genannt Vivekananda, im Ramakrishna-Kloster Belur Math, 39 Jahre alt. Die Ärzte stellten Herzversagen fest.Seine Ordensbrüder waren überzeugt, daß er seinen Körper im „Mahasamadhi“, dem letzten und bewußten Austritt des Yogi aus seinem Körper, aufgegeben hatte, so wie es von Ramakrishna und ihm selbst prophezeit worden war. Drei Jahre vor seinem Tode hatte er seinen Schülern erklärt: „Meine Lebensaufgabe ist es, an euer Wohlergehen zu denken. An dem Tage, an dem sie erfült ist, werde ich diesen Körper verlassen und auf direktem Wege nach oben gehen“. Vielleicht meinte er jenen „Ort“, an dem ihn Ramakrishna gesehen hatte, bevor Vivekananda ihn als 17-jähriger zum ersten Mal aufsuchte. Von diesem Besuch berichtet Ramakrishna: Eines Tages sah ich in Samadhi (Zustand des Überbewußtseins) , wie mein Geist einen leuchtenden Pfad emporglitt, immer weiter hinauf, jenseits der grobmateriellen Welt und ihrem Firmament, besät mit Sonne, Mond und Sternen, und so in eine feinere Gedankenregion einging. Je mehr er sich zu immer höheren Schichten dieser Region erhob, desto wunderbarer wurden die Götter und Göttinnen, die ich zu beiden Seiten des Pfades erblickte. So gelangte mein Geist zum äußersten Ende dieses Bereiches. Dort trennte eine Scheidewand aus Licht die Region des Teilbaren von der des Unteilbaren. Mein Geist schwang sich über diese Scheidewand hinweg und drang langsam weiter in die Sphäre des Unteilbaren vor. Hier gab es keinerlei Formen mehr, weder menschliche noch sachliche. Aber schon im nächsten Moment gewahrte ich sieben weise Rishis mit Leibern nur aus Licht, die in Samadhi versunken waren. Ich fühlte, daß sie an Vortrefflichkeit und Erkenntnis, an Liebe und Entsagung nicht nur Menschen, sondern selbst Götter und Göttinnen übertrafen. Während ich über ihre Erhabenheit und Vortrefflichkeit nachsann, verdichtete sich vor meinen Augen ein Teil der vollkommen einheitlichen Lichtflut der „Stätte“ des Unteilbaren, ohne jegliche Spur eines Unterschiedes und verwandelte sich in die Gestalt eines göttlichen Kindes. Es ließ sich zu einem der Rishis nieder, schlang seine Arme um ihn und wollte ihn aus dem Samadhi wecken. Sie schienen sich von Ewigkeit her vertraut. Das göttliche Kind sagte zu ihm: „Ich gehe jetzt, Du mußt mir folgen.“ Der Rishi erwiderte nichts. ... Dann sah ich verwundert, wie ein Teil vom Körper und Geist des Rishis sich in strahlendes Licht verwandelte und auf die Erde herabsenkte. Kaum erblickte ich Narendra zum ersten Mal, als ich in ihm den Rishi erkannte.“ (Ramakrishna, Ausgewählte Texte, München 1986, S. 107 ff.) In seiner Gedenkrede in New York zum 100. Geburtstag Vivekanandas 1963 würdigte ihn der damalige Un-Generalsekretät U-Thant als den „größten geistigen Botschafter Indiens, großen Weisen und Kämpfer für religiöse Toleranz“. Jetzt, im 20. Jahrhundert“ fügte er hinzu, „haben wir religiöse Toleranz“. Check MailCompose
Posted on: Sat, 09 Nov 2013 10:31:51 +0000

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