Freude :)) Donnerstag, 04.07.13 • Kulturradio am Mittag • - TopicsExpress



          

Freude :)) Donnerstag, 04.07.13 • Kulturradio am Mittag • 13:30–13:50 • CD-Kritik mit B. Morbach Oswald von Wolkenstein • Reflektionen Sabine Lutzenberger: Mezzosopran, Glocken • Bernd Oliver Fröhlich: Te-nor, Sopran- & Tenorsaxophon, Percussion • Joel Frederiksen: Bass, Laute deutsche harmonia mundi – sony music 8876541682 LC 00761 Beispiele: 1. Francesco Landini: Questa fanciull‘ amor [13] 2‘29 2. Oswald (nach Landini): Mein Herz das ist versert [14] 5‘50 3. Oswald: Ave mutter kuniginne [15] 6‘14 Oswald von Wolkenstein – der Vielgereiste! Zu den musikalischen Mitbringseln nach Tirol gehörte internationales Liedgut. Die entsprechenden Noten hat er nun keineswegs aus dokumentarischen Gründen seiner Bibliothek einverleibt. Viel-mehr hat er sich die Musik kompositorisch zueigen gemacht, in dem er den Tonsätzen neue Text unterlegte und diese bisweilen auch modifizierte. Der Fachausdruck für eine solche Verfahrenswei-se lautet »Kontrafaktur« (kontrafazieren = etwas »dagegen machen«). An etlichen Beispielen wird dieses Verfahren des Wolkensteiners durch die Gegenüberstellung von Vorbild und Nachbild ver-anschaulicht. Allein dies macht die Einspielung wertvoll. Andererseits hat offenbar gerade die Be-arbeitungsfreude Oswald das Ensemble dazu motiviert, seine Lieder zum Gegenstand eines eigenen Anverwandlungsprozess zu machen, der so originell wie individuell ist und gewiss zu kontroverser Diskussion motiviert. Das Saxophon in der Alten Musik Da einerseits von der melodischen Faktur her die Musik des Mittelalters und der Renaissance grundsätzlich den Charakter von Vokalmusik hat und die menschliche Stimme als des beste um vollkommenste Musikinstrument galt und andererseits dem Saxophon eine deutliche vokale Klang-qualität eignet, scheint es für den Einsatz in der Alten Musik geradezu prädestiniert zu sein – inso-fern man eine solche Erweiterung bzw. Modernisierung der klanglichen Perspektive überhaupt für legitim hält. Jan Garbarek versus Bernd Oliver Fröhlich Kommerziell geradezu gigantisch erfolgreich war das Projekt »Officium«, das der Jazz-Saxophonist Jan Garbarek gemeinsam mit dem Hilliard-Ensemble realisierte. Grundlage des gemeinsamen Tuns war geistliche Musik der spanischen Renaissance. Aber vor Ohren steht kein wirkliches gemeinsa-mes Tun im Sinne er kreativen Kooperation. Vielmehr sang das Ensemble schlicht die überlieferten Tonsätze – und Garbarek improvisierte dazu. Solches ist auf der vorliegenden CD nur ganz am Rande zu hören. Vielmehr entfernen sich allen MusikerInnen improvisierend mehr oder weniger weit von den historischen Tonsätzen. Die Wege, die sie dabei beschreiten sind begrifflich schwer zu umreißen; man vernimmt Einflüsse aus Jass, Pop und der »Neuen Musik« unserer Zeit. Aber immer wieder findet man zurück zur kompositorischen Substanz der Sätze Wolkensteins (und seiner Vor-bilder). In vokal-instrumentalen Klanggestaltung derselben leistet das Ensemble hier wirklich vor-zügliches. Und zumindest für meine Ohren verschmelzen Wolkenstein »original« und die Reflek-tionen des Ensembles über seine Musik auf ideale Weise. Man hat nie das Gefühl, dass der eine Be-reich um des anderen willen instrumentalisiert würde. Ästhetik versus Ethik In Zusammenhang mit der musikalischen Interpretation – insbesondere wenn ihr (wie im vorliegen-den Fall) eine deutliche eigenschöpferische Dimension eignet – wird oft die Frage gestellt, welche Freiheiten sich der Musiker nehmen darf. Generell muss man anmerken, dass man sich hier im Be-reich der Ästhetik und nicht der Ethik befindet. Solche begrifflichen Polarisierungen wie »darf man« oder »darf man nicht«, bzw. »gut« oder »schlecht«, sind hier eigentlich nicht angebracht (vorausgesetzt, gut/schlecht bezieht sich nicht grundsätzlich auf den bloß technologischen Aspekt des Musizierens). Das auf der vorliegenden CD »Angebotene«, dass sich musikalische auf höchsten Niveau befindet, entzieht sich grundsätzlich einer objektiven Kritik. Die musikalische Botschaft ist eine höchst subjektive; und ebenso wird die Reaktion in Hörerkreisen beschaffen sein. Alte Musik als kreativer Dialog mit der Geschichte Alte Musik kann immer nur zum Teil wirklich alte Musik sein. Auch wenn man sich noch so sehr um historische Korrektheit bemüht (was auch notwendig ist), bleibt immer ein großer Freiraum für die Kreativität des Musikers der Gegenwart. In die Nutzung dieses Freiraums wird er zwangsläufig seine viel weiteren musikgeschichtlichen und neueren Erfahrungen einbringen. Nur durch diese Synthese von Altem und Neuem ist die Alte Musik heute aktuell – wobei man sich hier auch den Begriff der Reflektion nutzbar machen kann. Qualität und Quantität derselben bleiben letztlich dem Geschmack bzw. der »ästhetischen Verantwortung« der Musiker überlassen.
Posted on: Fri, 12 Jul 2013 07:49:16 +0000

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