AOK und MEDI – Abgestimmter oder unbeabsichtigter - TopicsExpress



          

AOK und MEDI – Abgestimmter oder unbeabsichtigter Generalangriff? Öffentlich kaum wahrgenommen findet in BW derzeit ein Umbruch statt. Ob es die Protagonisten so beabsichtigten oder ob es eher ein (un?)erwünschter Nebeneffekt sein wird, weiß man nicht. Aber mit der Ausweitung der Selektivverträge im fachärztlichen Bereich und beflügelt durch den neuen Hausarzt-EBM mit seinen negativen Honorareffekten für Hausärzte, wird es in BW zu Veränderungen kommen. Ob am Ende der Veränderungen die KV nur noch als Papiertiger übrig bleiben wird, ob die Patienten in großem Umfange mit Kassenwechsel reagieren werden, ob irgendwann eine Aufsichtsbehörde eingreift oder ob es so gut wie keine Reaktion geben wird, lässt sich nicht sicher vorhersagen. Aber es spricht einiges dafür, dass „im Ländle“ die ambulante Versorgung schon mittelfristig anders organisiert sein wird. Die AOK BW wird dabei als Player deutlich an Gewicht gewinnen, MEDI gleichfalls. Verlierer werden andere Kassen sein – und natürlich das KV-System. Was passiert derzeit in BW? AOK BW (und auch Bosch BKK) haben in BW Verträge nach SGB V § 73 b (Hausarztzentrierter Versorgung – HzV) mit MEDI und dem HÄV abgeschlossen. Alle Beteiligten stufen diese Selektivverträge derzeit als Erfolg ein. Rund 40% aller Praxen nehmen aktuell teil. Nun haben die beiden Partner einen weiteren, zusätzlichen Selektivvertrag geschlossen, dieses Mal für Orthopäden. Für Kardiologen, Gastroenterologen, Neurologen und noch einige andere Fachgruppen, existierten solche Verträge bereits. Wenn heute (geschätzt) 60% der AOK-Patienten (einer an HzV teilnehmenden Praxis) eingeschrieben sind, dann haben sich diese Patienten verpflichtet, vor Besuch beim Facharztes zuerst zum Hausarzt zu gehen. Ein Patient, der an der HzV teilnimmt, ist aber auch automatisch in die Selektivverträge eingeschrieben. Und ein am Selektivvertrag teilnehmender Arzt (73 b und 73c) ist gehalten, Patienten nur an Ärzte zu überweisen, die ebenfalls an Selektivverträgen teilnehmen. Es wird sich also innerhalb aller KV-Mitglieder eine Untermenge an Hausärzten, Orthopäden, Kardiologen, Gastroenterologen, …. bilden, die Patienten ausschließlich zu Ärzten innerhalb dieses Kreises an Selektivvertragsärzten überweisen. Ist es dann beispielsweise den Mitarbeiterinnen einer Hausarztpraxis zu viel Aufwand zu prüfen, ob der Patient jetzt in der HzV ist, und daher nur an einen Neurologen mit Selektivvertrag überwiesen werden darf, oder eben nicht in der HzV, und somit für alle Neurologen geeignet, werden die Mitarbeiterinnen ausschließlich Neurologen mit Selektivvertrag wählen, weil das immer die „sichere Seite“ ist. Das ist schlicht das Ergebnis einer Kosten-Nutzen-Analyse der Mitarbeiterinnen. Damit verliert ein Nicht-73c-Arzt Patienten, weil er nicht zur Subgruppe Selektivvertragsarzt gehört. Vor dem Hintergrund, dass die AOK auch für die Gruppe der „jüngeren“ Mitglieder Anreize schaffen will, um die in die HzV zu schleusen, dürfte die absolute Einschreibequote bei AOK-Versicherten aus zwei Gründen steigen: Mehr teilnehmende Praxen (es gibt dort deutlich mehr Honorar, der Anreiz wird wirken) und eine höhere Quote von teilnahmebereiten Patienten. So können aus 10% HzV-Teilnehmern (unter allen Patienten) innerhalb kurzer Zeit über 30% werden. Bei 30% und einem einzigen Player, denkt man als Volkswirt sofort an „marktbeherrschende Stellung“ dieses Players. Und genau davon sollte man ausgehen, vor allem, wenn der Player über "Beherrschungsverträge" 90% (der Hausärzte) kontrolliert. Das kann einem Nicht-Selektivvertragsart eigentlich vollkommen egal sein, wie es bei den anderen Ärzten aussieht, da es bei Wartezeiten auf einen Facharzttermin halt eben andere Patienten von anderen Kassen gibt, die ja auch irgendwo unterkommen müssen. Außerdem machen bisher sowieso nur rund die Hälfte aller Ärzte mit. Allerdings haben AOK und Bosch einen Marktanteil von ca. 40 50%. So ganz egal kann es ihm also nicht sein. Zudem besteht die Gefahr, dass Kollegen mit Selektivvertrag auf Kosten der Kollegen ohne Selektivvertrag in der Fallzahl wachsen. Und die Honorare im Selektivvertrag sind eindeutig höher als die in der KV. Würde der Prozess „sauber unter Laborbedingungen“ ablaufen, würden sich bei Ärzten im Selektivvertrag Patienten ansammeln, für die der Arzt deutlich besser honoriert werden würde. Komplementär würde ein Arzt ohne Selektivvertrag nur über KV, also zu niedrigeren Honoraren abrechnen. Es gäbe damit zwei, ziemlich gut gegeneinander abzugrenzende, Honorarklassen unter Ärzten mit identischen Leistungen: die schlechter verdienenden Ärzte im Kollektivvertrag und die gut verdienenden Ärzte im Selektivvertrag. Es ist unwahrscheinlich, dass ein Arzt, hat er diese Systematik erst einmal verstanden, auf Dauer nicht dem Selektivvertrag beitreten wird. Abgesehen von notorischen Querulanten, Ärzte werden also beim Selektivvertrag mitmachen. Wenn alle mitmachen, dann gibt es keine Patientenwanderung hin zu HzV-Praxen. An der Ärztefront gibt es keinen Grund für Unruhe, da sich honorartechnisch Ärzte nicht groß von einander unterscheiden. Bei den Kassen kann allerdings von Ruhe keine Rede sein. Während Patienten der AOK (Bosch BKK zählt immer dazu, aber die vernachlässige ich aus Vereinfachung) immer innerhalb kurzer Frist einen Behandlungstermin (bei den Selektivvertragsärzten) bekommen, müssen kompensatorisch die Patienten anderer Kassen länger auf einen Termin warten. Liegt die durchschnittliche Wartezeit auf einen Termin der Fachgruppe A bei 6 Wochen (in einer bestimmten Region), sinkt sie für AOK-Patienten auf unter 14 Tage. Kompensatorisch steigt die Wartezeit für Versicherte anderer Kassen auf 12 Wochen an. So etwas nennt man gemeinhin einen Wettbewerbsnachteil für die Patienten der anderen Kassen. Wird DAS zu einem öffentlichen Thema, nimmt die Wahrscheinlichkeit für einen Kassenwechsel hin zur AOK zu. Vermutlich werden binnen eines Jahres von heute an eher 90% als 70% der Hausärzte in BW bei HzV mitmachen und auch die Quote innerhalb der Patienten wird in Richtung 90% gehen. Die Fachärzte werden aus o. g. Gründen auch weitgehend mitmachen, so dass es über kurz oder lang für die Patienten spürbar wird, ob sie bei der AOK oder irgendeiner anderen Kasse versichert sind. Solange nur 3% der Patienten bevorzugt waren, war das kein Problem, die gingen bei den 97% einfach unter, obwohl das gefühlte Wissen von Kassenpatienten bei Privaten mit „die werden auch bevorzugt und das finde ich (häufig) nicht richtig“ auch schon "als Kassenpatient bin ich benachteiligt" war. Sind es künftig über 30% aller Kassenpatienten, dann ist das keine zu vernachlässigende Größe mehr. Bisher verlief die Trennlinie zwischen Kasse und Privat, künftig wird es noch eine dritte Klasse geben – AOK. [Lauterbach und Konsorten haben bisher auf die Ungleichbehandlung zwischen Kassenpatienten und Privatpatienten verwiesen. Bleibt abzuwarten, wie sie auf die Schaffung einer zusätzlichen Klasse, nämlich der Selektivvertragpatienten, reagieren werden. Wenn jemand mit dem Ziel antritt, Klassengrenzen abzuschaffen und am Ende statt zwei Klassen eben drei Klassen existieren, dann ist das Ziel leicht verfehlt worden.) Tritt dieser Fall ein, werden die anderen Kassen nicht umhin können, zu reagieren. Andernfalls werden sie mit Mitgliederverlusten rechnen müssen. Eine bundesweit aufgestellte Kasse wie TK oder Barmer kann aber gar nicht regional reagieren, weil man einen so bedeutenden Vertrag für alle Versicherte gleich gestalten muss bzw. will – bundesweit. Und damit haben diese Kassen ein Problem. Lassen sie die AOK gewähren, dann werden sie in BW Marktanteile verlieren. Ziehen sie mit der AOK gleich, dann werden am Ende eines solchen Prozesses alle Kassen solche Selektivverträge schließen (müssen) und die AOKen in anderen Bundesländern auch. Damit wäre das Kollektivvertragssystem ziemlich geschwächt, große Honoraranteile würden an den KVen vorbei an die Ärzte verteilt. Ob sich eine Kasse traut, auf eine andere Strategie zu setzen, bleibt abzuwarten. Nach den Erfahrungen mit den Zusatzbeiträgen, die einigen Kassen nach Erhebung Mitgliederverluste im zweistelligen Prozentbereich beschert haben, dürfte der Mut zu einer Strategie des „das sitzen wir aus und lassen es auf uns zukommen“ nicht mehr so besonders hoch sein. Greifen die Marktmechanismen, könnten solche Kassen bei einer Strategie des Nichtstuns sehr schnell zu einem Problem werden. Problem heißt, dass die anderen Kassen dafür einstehen müssen und im nächsten Schritt die Übernahme der Aussitzer-Kassen durch Mitmach-Kassen ansteht. Für die Ärzte wäre ein solches Szenario, so es denn so kommen würde, nicht à priori des Teufels. Nun gut, eine kleine Einschränkung. Die Ärzte, die an Selektivverträgen teilnehmen können, werden mit höheren Honoraren leben können. [Und dass die zusätzlichen Pflichten nicht zu hoch sind, davon gehe ich stillschweigend aus, ansonsten hätten sich die Ärzte mit der Entscheidung zur Teilnahme irrational verhalten.] Was aber mit den Ärzten, die aus der GOUDAH-Fraktion übrig bleiben, also die GUDAHs? Große Honoraranteile fließen an der KV vorbei, aber der Wasserkopf der KV wird deswegen nicht geringer. Damit müssen automatisch die Verwaltungskostenumlagen der KVen steigen und die bisher schon äußerst bescheidenen Honorare der GUDAH (und aller anderen) werden noch stärker gekürzt. Verhalten sich die GUDAH-Ärzte dann still, passiert nix. Macht zufälligerweise irgendein GUDAH-Arzt so richtig Stress, animiert also viele andere GUDAHs zum Mitmachen, dann könnte es ein Problem werden. Zu einem Problem für die KV und auch für MEDI. Bei der KV werden sie vorstellig, weil sie schon wieder noch weniger Geld erhalten, obwohl sie schon bisher völlig unzureichend honoriert wurden. Und bei MEDI werden sie vorstellig, weil MEDI seine Mitglieder genau so schlecht (= ungleich) behandelt wie die KV. Wie kann MEDI für einige / viele MEDI-Mitglieder eine Honorarverbesserung über 73ff erzielen und dabei die GUDAHs außen vor lassen? Das ist ja ein ganz ähnliches Verhalten wie in der KV. Und selbst wenn MEDI wollte, so schnell scheint man nicht in der Lage zu sein, einen 200-Seiten-Vertrag für jede Fachgruppe abschließen zu können. Dazu benötigt man Management-Ressourcen und die stehen nun mal nur in beschränktem Umfange zur Verfügung. Was auch immer GUDAHs daraus machen werden, sollte es jemals so weit kommen, ist offen. Sicher ist bei einer solchen Entwicklung nur eines: Am Ende ist der gesamte Markt völlig neu geordnet. Sollte sich jemand fragen, warum die AOK BW auf solche Selektivverträge setzt, während die anderen AOKen eher zurückhaltend reagieren oder nur deutlich niedrigere, und damit weniger attraktive, Honorare anbieten, dem sei die Auswertung der HzV ans Herz gelegt (Homepage des HÄV BW). Die Quote der DMP-Einschreibungen ist in der HzV viel höher als außerhalb. Die DMP-Anzahl hat direkten Einfluss auf die Mittelzuweisung aus dem Gesundheitsfonds. Unterm Strich investiert die AOK damit Geld in Selektivverträge, welches einen "return on investment" bringt. Zumindest zwei Kassen in BW, AOK und Bosch BKK, verhalten sich damit rational. ____________ Sind Sie anderer Auffassung, schreiben Sie mir Ihre Gegenargumente an volkswirtfjm@facebook Finden Sie den Beitrag lesenswert, sagen Sie es weiter. Dies ist ein Beitrag, den jedermann frei lesen kann, sofern er über ein Konto bei Facebook verfügt.
Posted on: Fri, 23 Aug 2013 06:44:58 +0000

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