Am Sonnabend eröffnet die Deutsche Oper ihre neue Saison, die - TopicsExpress



          

Am Sonnabend eröffnet die Deutsche Oper ihre neue Saison, die erste unter dem Intendanten Udo Zimmermann, mit der Berliner Erstaufführung von Luigi Nonos Oper "Intolleranza 1960" (1961). Nonos Werk wurde noch nie in Berlin inszeniert, auch der Regisseur Peter Konwitschny und der Dirigent Peter Rundel arbeiten erstmals an einem Berliner Opernhaus. Angesichts der Bedeutung des Werks, das zu den eindrücklichsten Leistungen des Musiktheaters nach dem Zweiten Weltkrieg zählt, angesichts des künstlerischen Rangs der Interpreten und der Signalwirkung, die diese Premiere für die Intendanz Zimmermanns hat, wird damit ein programmatischer erster Schritt getan. Die Deutsche Oper soll nicht länger nur ein Objekt des unwürdigen Gezerres sein, das in Berlin als Kulturpolitik bezeichnet wird, auch nicht nur ein Gegenstand West-Berliner Nostalgie, sondern sie tritt als Subjekt auf, das dem Kultur-Betrieb und seiner Krise etwas entgegensetzt, Ernst und Engagement und Arbeit an der Sache. Ein zunächst anekdotisch wirkender Bericht vermag das zu verdeutlichen. Bei einer der ersten Orchesterproben ist der Regisseur Peter Konwitschny vor die Musiker getreten und hat ihnen in einer zwanzigminütigen Ansprache erklärt, worum es in dieser Oper geht. Er hat die Musiker nicht als Objekte genommen, die ihren Dienst nach Tarifregelung abzuleisten haben, sondern als Subjekte, die entscheidenden Anteil haben am Gelingen des Ganzen. Die Musiker, hört man, sollen tief beeindruckt gewesen sein: So etwas hätten sie noch nicht erlebt. Bei den Proben, erzählt Peter Rundel, ist mit großer Konzentration gearbeitet worden, und das hat sich auch im Resultat niedergeschlagen. Worum geht es also in "Intolleranza 1960"? Erzählt wird die Geschichte eines Gastarbeiters in einem Bergwerk, der, von der Sehnsucht nach seiner Heimat getrieben, sich von einer Frau trennt, die ihn halten will, und die Heimreise antritt. Unterwegs gerät er in eine antifaschistische Demonstration, wird, obgleich nur Zuschauer, von der Polizei verhaftet und gefoltert. Er flieht, sein Verlangen nach seiner Heimat wandelt sich in den Willen zur Freiheit. Er trifft auf eine Gefährtin, die ihn in seiner politischen Sache unterstützt, aber in einer durch die Nachlässigkeit der Regierung ausgelösten Flutkatastrophe kommen sie beide ums Leben. Diese scheinbar lineare Geschichte wird nun multiperspektivisch aufgelöst und erweitert: Präsent sind alle Schrecken des 20. Jahrhunderts, vom Spanischen Bürgerkrieg über die Konzentrationslager der Nazis bis zum Indochina- und Algerienkrieg, die unter dem Namen "Intoleranz" zusammengefasst werden können. In das Textbuch von Angelo Maria Ripellino arbeitete Nono Texte des von den Nazis ermordeten Julius Fucik, des Algerien-Kämpfers Henri Alleg, von Sartre, Brecht und anderen ein. Nono wollte auch den traditionellen Bühnenraum auflösen, er schlug räumlich verteilte Lautsprechergruppen vor, die die großen Chorsätze des Werkes aus allen Richtungen senden sollten, berief sich auf das Theater der sowjetischen Avantgarde (Meyerhold, Majakowsky). Der politischen Anklage, dem Aufruf zum Handeln entspricht eine musikalische Sprache, die aus der Erfahrung des seriellen Komponierens gespeist ist und besonders in den Chören große, teils lyrische, teils appellatorische Kraft entwickelt. Bei ihrer Uraufführung im venezianischen Teatro La Fenice am 13. April 1961 hat "Intolleranza 1960" einen beispiellosen Skandal entfesselt; bei der Folterungsszene rief man "Viva la polizia!", es lebe die Polizei. Damit wurde eine Jahrzehnte währende Diffamierung Nonos als Agit-Prop-Komponisten von rechts und als dekadenten Avantgardisten von links eingeleitet, eine Diffamierung, die der musikalischen und dramaturgischen Komplexität auch dieses Stücks nicht entspricht. Gerade in seiner Verknüpfung von Intimität und politischer Öffentlichkeit spricht ein Thema an, das später von den Studentenrevolten wieder problematisiert wurde. Im vergangenen Jahrzehnt ist "Intolleranza 1960" in Stuttgart und Köln wieder aufgeführt worden (von der Stuttgarter Aufführung liegt ein Mitschnitt auf CD vor); das entspricht einem zunehmenden Interesse am "politischen" Nono, während in den achtziger und frühen neunziger Jahren zunächst der späte, (scheinbar) unpolitischere Nono in und für Deutschland intensive Zuwendung erfahren hat. Gewiss nicht zufällig ist auch wieder ein neu erwachtes Interesse an politischem Handeln - genauer: am politischen Protest - wahrzunehmen. Peter Konwitschnys Inszenierung jedenfalls, das war von diesem Regisseur auch nicht anders zu erwarten, sieht ihre Aufgabe nicht in einer Historisierung oder gar einer Ironisierung des Stücks. Folter, Unterdrückung, durch Gewinngier verursachte "Naturkatastrophen" gibt es nach wie vor. So sehr Nonos Werk der italienischen Nachkriegssituation verpflichtet ist - die Gefahr eines faschistischen Putsches ist ebenso in das Stück eingegangen wie die Überschwemmung des Po-Deltas - so wenig mutet seine Thematik überholt an; und dass der Wille zur Veränderung, der Glaube an die Massen, das Bekenntnis zur Freiheit heute seltsam pathetisch wirken, diskreditiert eher unsere Gegenwart als das Werk. Nun ist aber eine neue Situation entstanden durch die terroristischen Anschläge auf die USA. Neben der menschlichen Tragödie hat ja der Anschlag auf das World Trade Center, diese Leuchttürme des globalen Kapitalismus, auch eine starke symbolische Bedeutung, der von Bundeskanzler Gerhard Schröder als Anschlag auf die freiheitliche Welt gedeutet worden ist. "Morte al fascismo! Libertà ai popoli!" zitiert Nono in der Demonstrations-Szene die Parole der kommunistischen Partisanen: "Tod dem Faschismus! Freiheit den Völkern!", und später wendet sich der Chor direkt an das Publikum: "Und ihr? Seid ihr taub? Herdenvieh!" Ob Konwitschny in letzter Minute - heute Abend findet die Generalprobe statt - noch etwas ändern, auf die neue Situation reagieren wird können, bleibt abzuwarten. Dass das Bekenntnis zur Freiheit heute seltsam pathetisch wirkt, diskreditiert eher unsere Gegenwart als das Werk. DEUTSCHE OPER Probenfoto aus der Deutschen Oper: Chris Merritt, Tom Erik Lie und Peter Klaveness in "Intolleranza 1960".
Posted on: Mon, 23 Sep 2013 19:34:35 +0000

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