Da lacht der sympathische junge Mann, „der Kinderpsychiater vom - TopicsExpress



          

Da lacht der sympathische junge Mann, „der Kinderpsychiater vom Marktplatz“, in die Kamera des SPIEGEL-Fotografen und das Gesicht des Lesers. Und fast so sympathisch kommt der Artikel „Psychopille & Pausenbrot“ daher – abgesehen vom albernen Titel und dem Blech, das der Autor zur ADHS stets reden muss, denn er hat ja einen Namen zu verlieren als arrivierter Gegner des etablierten Medizinwesens und der Pharmaindustrie. Immerhin stehen sich da Geschäftsleute gegenüber: Die einen verdienen ihr Geld mit Krankheiten und Tabletten, der andere mit der Leugnung von Krankheiten und Tableaus zum Untergang der Zivilisation durch APA und MPH. Dabei muss man Jörg Blech im Fall des SPIEGEL-Artikels aus Heft 26/2013 zugute halten, dass die drei Seiten für seine Verhältnisse erstaunlich ausgewogen ausgefallen sind. Immerhin werden mit den Professoren Warnke und Lesch ausgewiesene Fachleute zur ADHS zitiert, die sagen, was sie stets schon sagten: dass man sich nachgerade angesichts der genetischen Befunde auch des Nicht-Genetischen besinnen müsse. Früher blendete Blech solche Aussagen stets aus, mussten die Befürworter der Diagnose ADHS doch als industriehörige Profiteure einer gewissenlosen Vermarktung von Kindern inszeniert werden. Diesmal hat der SPIEGEL-Protagonist auf die Wiederholung seiner Eisenberg-Totenbett-Geständnis-Schmonzette von der Erfindung der ADHS in den USA der 1960er Jahre verzichtet. Er lässt den diagnosekritischen Sympathieträger der Artikeltitelseite sagen, der kleine Max, Sohn einer Physiotherapeutin, die „selbst lieber sanfte Verfahren anbietet“ und sich mit der medikamentösen Einstellung ihres Vorschulkindes durchaus schwer getan habe, sei „ein Beispiel für eine biologisch begründete Erkrankung“. Und verzichtet auf die Schaffung eines Kosmos artifizieller Antipoden, in dem die eingängigen Phrasen eines Göttinger Konsalik der Laienpädagogik oder von Frankfurter Therapierelikten aus der Steinzeit der wissenschaftlichen Psychologie den Aussagen monströser Ärzte und dem unendlichen Profit fieser Konzerne gegenüber gestellt werden. Ganz verzichten auf ein bisschen Polemik mag Jörg Blech dennoch nicht. Da wird dem Chef der Würzburger Kinderpsychiatrie vorgeworfen, dieser habe im Interview verschwiegen, dass er auf der Payroll zweiter Pharmakonzerne stehe. Leider folgt der Feststellung keine Erklärung, wie diese Tatsache mit der Haltung Prof. Romanos zur ADHS zusammenhängt. Dasselbe gilt für den Hinweis, Warnke und Lesch hätten die „World Federation of ADHD“ gegründet, was ein bisschen daher kommt, als hätten die beiden die „National Rifle Association“ ins Leben gerufen. Was der ADHS-Weltverband für die ADHS-Forschung bedeutet, welche Meinungen und Tendenzen seine Mitglieder vertreten, welche gesellschaftliche Wirksamkeit die Vereinigung beansprucht oder gar hat, verrät Herr Blech leider nicht. In einem Punkt enttäuscht der SPIEGEL-Artikel jedoch vor allem. Er beantwortet gerade jene spannende Frage nicht, welche der Barmer GEK-Arztreport 2013 Anfang des Jahres aufgeworfen hatte: Warum gibt es in Unterfranken überdurchschnittlich viele ADHS-Diagnosen und medikamentöse Behandlungen? Der Umstand, dass die Würzburger Universität seit zwei Jahrzehnten deutschlandweit führend in Forschung und Lehre zur ADHS sei, ist keine schlüssige Antwort, denn es braucht mehr als ein Angebot medizinischer Dienstleitung, um Kinder einer spezifischen Diagnostik und Therapie zuzuführen. Warum sollten Lehrer und Erzieher in Würzburg intoleranter gegenüber dem Verhalten von Kindern sein als in anderen Städten der Republik? Was bringt unterfränkische Eltern dazu, Diagnose und Therapie der ADHS eher zu suchen und zu wollen als Eltern in Oberbayern oder Nordhessen? Ähnliche lokale Bedingungen liegen mutmaßlich auch für andere Störungsbilder wie auch andernorts rund um Zentren der Psychiatrie in der Schweiz, in Norwegen, in den USA vor – mit denselben Effekten? Der SPIEGEL und sein Autor Jörg Blech sind auch diesmal eher kurz gesprungen und arg früh gelandet. Aber – und das muss man würdigen! – sie sind gesprungen und haben so erstmals über den Tellerrand blicken können. Liest man den Schlusssatz des Artikels, möchte man ironisch anmerken: „Die Wartezeit für eine ADHS-Untersuchung betrage zwei bis drei Wochen“ in der Praxis des neuen Kinder- und Jugendpsychiaters Dirk Knapp. Das ist doch eine überschaubare, ja fast schon knappe Zeitspanne, um die Würzburger ADHS im Auftrag des SPIEGEL nochmal untersuchen zu lassen. Vielleicht ist sie ja virulenter, sichtbarer oder gar (sozial) ansteckender als andernorts … DER SPIEGEL 26/2013 S.142ff. "Psychopille & Pausenbrot" - obwohl man in dem ganzen langen Artikel kein einziges weiteres Wort zum Pausenbrot findet, ein Umstand, der v.a. vom "Weltverband der Ökotrophologen und Schulernährungsberater (WÖS)" mit Enttäuschung aufgenommen wurde.
Posted on: Tue, 25 Jun 2013 06:17:06 +0000

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