Die 85-jährige Mutter eines befreundeten Schauspielers sei am frühen Nachmittag nach dem Essen im Flur plötzlich mit einem leisen Seufzer umgesunken und auf der Stelle tot gewesen. Dieser sogenannte "Sekundentod" habe sich durch nichts angedeutet. Sie sei nicht krank gewesen, auch hätte es keinerlei Auffälligkeiten oder Unpässlichkeiten gegeben. Täglich fuhr ihr Sohn mit dem Rad zu ihr, um mit ihr das Mittagessen einzunehmen. Suppe habe sie seit einigen Jahren nicht mehr gekocht. "Suppe hat sie nicht mehr INTERESSIERT", sagte der frühpensionierte Schauspieler. Auch eigens lange ein Essen zuzubereiten, habe sie "nicht mehr interessiert", das Essen wurde von nebenan geholt. Diese Wortwahl gefiel mir, und es gefiel mir, sie ironisch aufzufassen, obwohl sie nicht ironisch gemeint war, sondern größtmöglich sachlich. Ich dachte mir, wie viele Dinge, die man schon lange loswerden möchte, obwohl andere erwarten, dass man sich wegen ihrer Vernachlässigung durch einen selbst einen Kopf und ein zerknirschendes Gewissen machen sollte, Dinge, die andere oft gar nichts angehen, man gleich loswerden könnte, indem man sagt (und sei es zu sich): "Das interessiert mich nicht (mehr)." So wie Karl Lagerfeld sagt, er interessiere sich nicht für Kochen, er könne lediglich eine Dose Cola-light aufmachen, das sei auch schon seine ganze Kochkunst. - Die Mutter Hilda starb vielleicht deshalb so glatt, weil sie das Leben nicht mehr so übertrieben "interessiert" hatte. "Der schönste Tod, den es geben kann", sagte der Arzt dann.
Posted on: Thu, 20 Jun 2013 08:25:55 +0000
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