Die Manipulation der Geschichte - zum Monatszitat des - TopicsExpress



          

Die Manipulation der Geschichte - zum Monatszitat des Novembers. Das Monatszitat ist ein Auszug aus Orwells berühmten "Big Brother" Roman 1984. Das wichtigste Organ des totalen Diktaturstaates, der darin beschrieben wird, ist das Wahrheitsministerium, das den Auftrag hat, die Geschichte permanent umzuschreiben und den Bedürfnissen der Partei anzupassen. Niemand soll aufgrund historischer Dokumente die gegenwärtigen Behauptungen der Partei widerlegen können. Ich habe das Zitat gewählt, weil ich in der letzten Zeit gleich zweimal im Kontext der Bibelwissenschaft darauf gestossen bin: - Herbert Klement, "Narrative Historie und Identität des Gottesvolkes: Zur Bedeutung von Geschichte und Geschichten im Alten Testament", in: Siegbert Riecker, Julius Steinberg (Hg.), Das heilige Herz der Tora (FS H. Koorevaar), Aachen: Shaker, 2011, 3-22. Klement befasst sich u.a. damit, dass in der historisch-kritischen Bibelwissenschaft, die den historischen Anspruch der Bibel auf der einen Seite relativiert, auf der anderen Seite aber stets betont, das Historische sei nicht relevant, es komme nur auf die Theologie an. Orwell dient als eines der Beispiele dafür, dass die Identität eines Volkes eben sehr wohl damit verbunden ist, ob etwas historisch ist oder nicht: "Die Auffassung darüber, ob es sich bei der Lektüre um historische Information oder um fiktive literarische Aussagen handelt, verändert die Relevanz der Texte grundlegend" (S. 16). - Joshua Berman, "Histories Twice Told: Deuteronomy 1–3 and the Hittite Treaty Prologue Tradition", in: JBL 132 (2013) 229-250. In der heutigen Pentateuchforschung ist die "Replacement-Theorie" (meine eigene Namensgebung) weit verbreitet. Sie geht davon aus, dass sowohl in den narrativen wie in den legislativen Texten dort, wo Geschichten oder Gesetze zwei- oder mehrmal vorkommen, geschrieben wurden, um die alten Versionen zu ersetzen. Die Schreiber sollen also nichts anderes beabsichtigt haben, als das, was bei Orwell das Wahrheitsministerium macht: Texte aus dem Verkehr ziehen und durch manipulierte Texte ersetzen. Berman zeigt, u.a. mit Heranziehen ausserbiblischer Vergleichstexte aus den hethitischen Verträgen, dass diese These nicht zutrifft. Wo dieselbe Geschichte nochmals erzählt wird, steht nicht die Absicht dahinter, die andere zu ersetzen. Vielmehr wird die Bekanntheit der alten Version vorausgesetzt.
Posted on: Tue, 01 Oct 2013 06:07:08 +0000

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