Gastbeitrag von Patrick Spät: Zur Würde der Tiere – Skizze - TopicsExpress



          

Gastbeitrag von Patrick Spät: Zur Würde der Tiere – Skizze für eine philosophische Ethik, die alles Lebendige schützt 18/08/2013 | Veröffentlicht unter: Bücher Tags: Albert Schweitzer, Autor, Berlin, Ethik, Moral, Patrick Spät, Tierrechte, Würde “Heute gilt es als übertrieben, die stete Rücksichtnahme auf alles Lebendige bis zu seinen niedersten Erscheinungen herab als Forderung einer vernunftgemäßen Ethik auszugeben. Es kommt aber die Zeit, wo man staunen wird, dass die Menschheit so lange brauchte, um gedankenlose Schädigung von Leben als mit Ethik unvereinbar einzusehen. Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt.“ Diese Zeilen, die ihrer Zeit weit voraus waren und sind, stammen von Albert Schweitzer. Für den Vegetarier Schweitzer stand fest: Alle tierischen Lebewesen haben ein Recht auf Leben. Für alle Veganer steht darüber hinaus fest: Tiere dürfen niemals Mittel zum Zweck sein für menschliche Interessen. Denn Lebewesen haben ihre eigenen Interessen. Wie kann eine philosophische Ethik aussehen, die die Würde aller Lebewesen schützt? Versuch einer Skizze: (1) Alle Tiere verfolgen Zwecke. Das heißt, sie streben bestimmte Ziele an. Tiere wollen fressen, um zu überleben. Tiere wollen Wärme, um nicht zu erfrieren. Diese elementaren Verhaltensweisen zeigen einen Drang zum Leben, eine Lebensbejahung, die zugleich eine ethische Dimension enthält, wie Hans Jonas in Das Prinzip Verantwortung (1979) festhält: „Handeln als solches (tierisches darunter) ist geleitet von Zwecken, auch vor aller Wahl, da elementare Zwecke […] uns durch die Bedürftigkeit unserer Natur eingepflanzt sind. Und durch die Begleitung der Lust werden sie auch subjektiv “wertvoll‘“ Da Tiere Zwecke anstreben, setzen sie auch Werte, denn das Nichterreichen eines (wünschenswerten) Zwecks stellt ein Übel dar. Indem Tiere überhaupt Zwecke verfolgen, bejahen sie das Sein, genauer: ihr Sein. Alles Leben strebt danach, sein Leben zu erhalten und zu entfalten. Es hat ein vitales Interesse am bloßen Überleben und darüber hinaus am lustvollen Leben. Dadurch setzt alles Lebendige das Leben und das Am-Leben-Bleiben als absoluten Wert seiner Existenz. Der Pein des Hungers steht das angenehme Gefühl der Sättigung gegenüber. Und weil dieses Gefühl lustvoll ist, wird es als ein wertvoller Zustand angestrebt. (2) Tiere tragen aktiv dafür Sorge, dass sie die Zwecke erreichen, die ihnen innewohnen. Weil alle Tiere Zwecke verfolgen, haben alle Tiere eine Würde. Der Mensch hat die Macht und daher die Pflicht, diese Würde zu achten und zu schützen. Zumindest auf nationaler Ebene gibt es erste Schritte hin zu einer verpflichtenden Achtung der Würde des Lebendigen. So ist die „Würde der Kreatur“ unter Artikel 120, Absatz 2 der Schweizer Bundesverfassung verankert: Ein Organismus hat eine Würde, d.h. er hat keinen Preis, der den Organismus zu einem beliebig austauschbaren Objekt machen würde, sondern ein gegen nichts abzuwägendes Recht, als Subjekt zu existieren. Organismen verfolgen Zwecke und sind damit schon ein Zweck an sich. Das 2005 verabschiedete Tierschutzgesetz der Schweizerischen Eidgenossenschaft beispielsweise knüpft an die „Würde der Kreatur“ wie folgt an: „Niemand darf ungerechtfertigt einem Tier Schmerzen, Leiden oder Schäden zufügen, es in Angst versetzen oder in anderer Weise seine Würde missachten.“ (SR 455, Art. 4, Abs. 2) Das Schweizerische Tierschutzgesetz gilt für Wirbeltiere. Durch die verankerte Möglichkeit, das Gesetz auch auf wirbellose Tiere auszudehnen, wird auch deutlich, dass das bewusste Erleben der tragende Grund für das Tierschutzgesetz ist. Denn es „orientiert sich dabei an den wissenschaftlichen Erkenntnissen über die Empfindungsfähigkeit wirbelloser Tiere.“ Der juristische Schutz der Tiere ist zweifelsohne ein wichtiger Schritt, der die altertümliche Sicht von Tieren als mechanische Automaten (oder juristischen Gegenständen) hinfällig werden lässt. Auch auf internationaler Ebene gibt es erste Versuche, das Lebendige zu schützen: Im Jahre 1997 verabschiedete das InterAction Council den »Entwurf einer Allgemeinen Erklärung der Menschenpflichten«. Das Dokument wurde unter dem Vorsitz des ehemaligen Bundeskanzlers Helmut Schmidt von Jimmy Carter, Michail Gorbatschow, Valery Giscard d’Estaing und vielen anderen Politikern den Vereinten Nationen vorgelegt – und bedauerlicherweise nicht angenommen. In dem Entwurf heißt es unter Artikel 7: „Jede Person ist unendlich kostbar und muss unbedingt geschützt werden. Schutz verlangen auch die Tiere und die natürliche Umwelt. Alle Menschen haben die Pflicht, Luft, Wasser und Boden um der gegenwärtigen Bewohner und der zukünftigen Generationen willen zu schützen.“ Gedruckte Worte auf Papier sind geduldig; die Realität ist noch weit davon entfernt, die Würde der Kreatur zu schützen. Und in der Praxis tauchen sicherlich ernste Probleme auf, wie diese Worte zu interpretieren sind. Problematisch ist zum Beispiel die Formulierung, dass niemand einem Tier „ungerechtfertigt“ Schaden zufügen dürfe: Denn offensichtlich sind Tierversuche und Schlachthäuser auch in der Schweiz „gerechtfertigte“ Dinge, bei denen unzählige Tiere ihr Leben lassen. Wer erklärt solche Dinge eigentlich für gerechtfertigt? Wer maßt sich an, über anderes Leben zu verfügen? (3) Dürfen wir milliardenfach Tiere töten, um sie zu essen? Dürfen wir überhaupt Tiere in ihrer Freiheit beschränken, indem wir beispielsweise Milchkühe gefangenhalten und von ihren Kälbern trennen, um sie zu melken – und nach ein paar Jahren zu schlachten? Müssen wir den Weg vor uns mit einem kleinen Besen kehren, wann immer wir einen Schritt gehen, wie es zum Beispiel die indischen Jaina-Mönche machen, um auch die kleinsten Tiere nicht zu verletzen? Der entscheidende Punkt für die Beurteilung dieser Fragen scheint das Leiden zu sein: Bis zu welchem Grad dürfen wir andere Lebewesen leiden lassen? Wenn es um unser nacktes Überleben geht, wird wohl kaum einer das Wohlergehen eines Tieres über das eines Menschen stellen: Einem Veganer, der seit Tagen Hunger leidet, wird es keiner krumm nehmen, wenn er ein Stück Fleisch isst – sofern es das einzig Essbare ist, das ihm zur Verfügung steht. Wenn wir Menschen aber ein pralles Leben auf Kosten des Leids anderer Tiere führen, hört der Spaß auf: Kein Mensch braucht Nerz-Mäntel, kein Mensch braucht tagtäglich ein Schnitzel auf dem Teller und kein Mensch braucht Elfenbein-Trophäen. Das vorherrschende abendländische Paradigma, dass Tiere reine Gegenstände oder wertneutrale Objekte sind, gehört in den Mülleimer der bürgerlich-kirchlichen Ideengeschichte. (4) Jede Kreatur hat ein Recht auf Leben, ein Recht auf den Schutz seiner Würde, die es dadurch gewinnt, dass es individuell und durch nichts in der Welt zu ersetzen ist. Kein Tier gleicht einem anderen. Kein Hundebesitzer würde es zulassen, dass man seinen Hund tötet und durch einen Artgenossen ersetzt. Ja, schon die Hundemutter, die nicht über die menschliche Ethik verfügt, würde sich einer Ersetzung ihrer Welpen massiv widersetzen. Jeder Organismus hat einen einmaligen Mix seiner Gene und einen individuellen und lebendigen Körper. Wird dieser Körper abgetötet, so ist er unwiderruflich seiner Existenz beraubt; er wird in dieser einmaligen Individualität nie wieder existieren können. Die Individualität und Zweckhaftigkeit eines jeden Lebewesens ist durch nichts in der Welt zu ersetzen, d.h. Lebewesen haben keinen Preis, sondern einen Wert, der sich nicht in ökonomischen Maßstäben ermitteln lässt, da sie sonst ein austauschbares Gut wären. Und dadurch, dass Lebewesen Zwecke anstreben und „Ja“ zum Leben sagen, haben wir schlichtweg nicht das Recht, „Nein“ zu ihrem Leben zu sagen.
Posted on: Mon, 19 Aug 2013 20:59:09 +0000

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