Halina Birenbaum - Deutsch von Helmut Pientka - TopicsExpress



          

Halina Birenbaum - Deutsch von Helmut Pientka jeder zurück gewonnene tag Erinnerungen 8.08.66 Überall Unordnung. Und ich, statt mit der Arbeit anzufangen, setzte mich zum Schreiben nieder, als ob ich von meinen Pflichten und der mich umgebenden Atmosphäre in eine andere Welt flüchten wollte. Ich kann mich nicht über das Erlangte freuen, ich sehe nur das bisher Unerreichte. Ich möchte anders werden. Ich handle nach Gefühlen. Obwohl ich schnell und meistens treffend Situationen und Menschen einschätze, kann ich nicht entsprechend folgern. Meine Emotionen beherrschen alles und ich finde niemals Ruhe. Aus welchem Beweggrund schreibe ich darüber? Eine reife Frau, seit siebzehn Jahren verheiratet, Mutter zweier Söhne! Es ist Zeit, vernünftig zu werden und aufzuhören sich in fruchtlosen Reflexionen zu verwirren. Ist es vielleicht gerade meine Auslese – Individualität? Zuletzt rede ich viel über mein Buch. Ich erzähle, wie es zu dessen Schreiben kam und von der bald zu erwartenden Herausgabe. Die Leute überraschen mich mit ihren Reaktionen. Im Laufe der Jahre ergründete ich nicht so viel Wissen über sie, wie in dem einen Jahr, in dem das Schreiben zu meiner Realität wurde. Mein Gatte würde sich keinem anvertrauen bis zum Tag, an dem das gedruckte Buch in seinen Händen läge. Ich verfüge nicht über so viel Bescheidenheit und Geduld. Das, was ich hier niederschreibe, ist vielleicht nur eine Zeitverschwendung, aber zur Zeit kann ich nicht über Konkretes, „Reelles“ nachdenken, ich muss meinen Eindrücken freien Lauf lassen, man erwartet doch nicht jeden Tag die Herausgabe eines Buchs, das zwischen dem Kochen, Putzen, Wäschewaschen ...Und zwischendurch bereitete ich die Handschrift des nächsten vor und mich quält schon eine neue Unruhe bezüglich dessen Herausgabe und die Angst davor, dass ich ein drittes zu schreiben wohl nicht imstande sein werde... Und woher habe ich überhaupt den Schreibeifer? Diese Tatsache erschreckt mich wiederholt, weil sie unverhofft ein so wichtiger Faktor in meinem, unserem Leben wurde. Und ist sie wirklich begründet? Die Worte fließen aus mir heraus aufs Papier. Die Hand kommt der Feder, den Gedanken nicht nach. Vorher beschäftigte mich das wenig, einzig und allein in der Kindheit, im Ghetto, im Lager. Danach gab ich mich schon mit aufgeräumter Wohnung, gebügelter Wäsche und wohlschmeckend gebackenem Kuchen zufrieden. Ich wollte eine Hausfrau nach Vorbild meiner Mutter werden: Pullover häkeln, den Haushalt führen. Überhaupt ein Haus haben, eigenes Haus, Familie! Dagegen überfiel mich im Alter von siebenunddreißig Jahren der Schreibwahn... Ich erschrak vor mir selbst, wie ein Neugeborenes, das schüttelnd, ungeordnet mit den Händchen reagiert, sie plötzlich hoch zu den Augen hebt und zitternd vor Angst, ein Wunder entdeckt – die eigenen Hände! Manchmal betrachte ich mich ungewollt mit den Augen derer, die über das, was ich mache, spotten, es missachten oder dem misstrauen. In solchen Zeiten bin ich zu gar nichts fähig. Zum Glück traf ich auch solche, die mich mit Zuversicht und Glaube an den Sinn meiner Anstrengungen erfüllten. Ich lernte neue Menschen kennen, deren Freundschaft ich gerade dadurch erwarb, das ich schrieb. Mein Leben rollt eigenartig. Ich wuchs inmitten schrecklicher Ereignisse auf. Manchmal, als wir in den Verstecken des Warschauer Ghettos saßen, brachte ich meiner Mutter Vorwürfe entgegen, dass sie mich gebar. Um die Zeit tot zu schlagen und von dem Grauen der Razzien abzulenken, antwortete die Mutter , sie wünschte sich sehr eine Tochter, nach dem sie schon einen elfjährigen und einen siebenjährigen Sohn hatte. Als ich auf die Welt kam, hüllte sie mich in all die phantastischen Kleidchen ein, von denen sie träumte, sie wird irgendwann ihre Tochter-Püppchen in diese aufputzen, und sie sang zu sich selbst auf jiddisch: „ Hab ´ne Tochter, hab“!... Sie bekam damals als Geschenk ein Fläschchen Parfüm mit Fliederduft. Sie bewarte es zur Erinnerung auf. Ich erinnere mich, dass ich noch vor dem Krieg um Erlaubnis bat, mit dem schönen Fläschchen aus dickem Glas mit Muster eines Korbweidengeflechts spielen zu dürfen. Ich glaubte, der Fliederduft blieb immer noch drin, obwohl es schon längst leer war. Lieblingsduft eines Parfüms meiner Mutter! Ich träumte damals, im stinkenden Versteck, dass ich irgendwann nach dem Tod erneut in einer anderen, ruhigen und glücklichen Welt geboren werde. Die Kriegshölle überlebte ich, aber Ruhe genoss ich selten. Und Glück? Glück erlangen und sich glücklich fühlen ist wohl nicht das selbe... Man muss lernen, glücklich zu sein, wie alles andere im Leben. Es gibt Menschen, die es können. Ich gehöre nicht zu denen, mein Ehegatte – ja. Gibt sich mit seinem Schicksal zufrieden und erleidet nicht so viele Enttäuschungen wie ich. Er bringt mir aber Geduld und Verständnis entgegen. Eine nahe Bekannte erwähnte mal mit schadenfrohem Lächeln: „Du beschreibst nur die eigenen Erlebnisse und solche düsteren, traurigen, die Leute mögen dagegen heitere, angenehme Sachen. Jeder hat genug eigener Betrübnisse...“ Ich versuchte Ruhe zu bewahren. Die Röte stieg mir ins Gesicht. Ich konnte mir selbst nicht verzeihen, dass ich ihr überhaupt diesen Abschnitt zu lesen gab. Ich kann mir nicht etwas Heiteres, etwas Phantastisches ausdenken, wie die „richtigen“ Schriftsteller... Ist es die Pflicht eines Schriftstellers die Leser zu amüsieren? Die glühenden Tage des israelischen Sommers drücken nieder. Wie die einen, so die anderen, gleiche Glut, schwüle Feuchtigkeit. Ein Knäuel Sorgen, aus dem ich mich nicht losbinden kann. Die verschwitzte Gegenwart frisst die Menschen mit Leidenschaft auf, voll von ewigen Sorgen und angespannten Nerven. Manchmal kommt es mir vor, als ob der Ärger zum Reiz wird, der den Menschen in der austrocknenden Glut vorwärts treibt und aus der Lethargie entreißt. Vielleicht übertreibe ich. Ich möchte sogar, es zeige sich, die Gegenwart sei gar nicht so schlecht und ich weiß nicht, wie ich mit dem steinernen „Nein!“ zu allem, was mich manchmal beherrscht, umgehen soll. Keiner schafft es, mich da herauszureißen. Eher gelingt es mir die Anderen zu beeinflussen, meine Energie und meinen Enthusiasmus auf sie zu übertragen. Ich bekomme weniger zurück, veröde. Dazu materielle Schwierigkeiten, mit Kindern, das Gewicht der vielen Hausarbeit. Ich stelle stets Ansprüche an mich selbst, dass ich zu wenig arbeite, den Kindern zu wenig Zeit widme und daher die Konflikte. Wenn ich schreibe, bin ich auf mich wütend, weil ich nicht die Wohnung putze - und umgekehrt. Ich entfremde mich von mir selbst. Alles ist so verwirrt! Auss mein Buch "Jeder zurickgewonene Tag"
Posted on: Fri, 09 Aug 2013 17:59:05 +0000

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