Leseprobe zu "Die Brennende Stadt" - mitten aus Kapitel 23 - TopicsExpress



          

Leseprobe zu "Die Brennende Stadt" - mitten aus Kapitel 23 ;) „Da ist es“, rief Alexis triumphierend aus. Das Fotoalbum war alt, das Kunstleder rissig. Und groß. Viel größer als das Mädchen es erwartet hätte. Beinahe andächtig umfasste sie das Buch mit ihren Hände und wog es ab. „Schwer“, murmelte Alexis anerkennend. Dieses Fotoalbum war definitiv nicht mit dem, das sie kannte, zu vergleichen. Das andere Album lag im Bücherregal im Wohnzimmer, enthielt aber nur eine Hand voll Bilder. Ein paar Schnappschüsse von ihrem Vater, von Alexis mit zehn Jahren und noch ein paar von Feiern in der Bank, aber nichts, das jünger als fünf Jahre gewesen wäre. Dieses Fotoalbum war anders, Alexis betrachtete es von der Seite und konnte sehen, dass es von einem Ende bis zum anderen mit Bildern gefüllt war. Ihr Kopf fühlte sich leicht an und ihr Herz schlug bis zum Hals, sie hielt einen Schatz in den Händen, eine Türe zu einer unbekannten Vergangenheit. „Vielleicht willst du gar nicht wissen, was da drin steht“, versuchte sich David noch einmal bemerkbar zu machen, aber Alexis ignorierte ihn. Sie konnte ihn hören, oh ja, aber nur aus der Ferne, das Murmeln eines Baches. Feierlich nahm sie den Deckel zwischen Daumen und Zeigefinger und schlug das Album auf. „Sie hat es angelegt, bevor ich geboren wurde“, hauchte Alexis mit atemloser Stimme, als sie die handschriftliche Signatur auf der ersten Seite las. Sie blätterte um. Da war ein Bild ihre Mutter. Jung, hübsch, in einem Kleid mit langer Dauerwelle und Schminke, die Alexis ein wenig an eine Puppe erinnerte. Sie stand vor etwas, was wie eine Disco aussah: Blaues Neonlicht bestrahlte ihr Haar. Alexis strich über das Gesicht ihrer Mutter. Auf den nächsten Bildern war ihre Mutter nicht mehr alleine, sie stand in einer Gruppe Mädchen, die übermütig in die Kamera lachten. Sie blätterte um und hielt inne. Ein junger Mann hielt ihre Mutter eng umschlungen. „Das ist mein Vater“, sagte sie zu David, der sich still und leise neben sie gesetzt hatte. „Als Kind hätte ich alles für diese Bilder gegeben.“ Ihr Vater hatte lange, dunkle Haare und einen Ziegenbart. So hatte sie ihn nie erlebt. Der Mann in ihren Erinnerungen hatte eine beginnende Stirnglatze und war meistens mit Bartstoppeln herumgelaufen. „Sie waren so normal“, stellte sie verblüfft fest. „Das waren die meisten Eltern“, entgegnete David mit einem Schulterzucken. Alexis betrachtete noch mehr Bilder ihrer Eltern. Ihre ganze Teenagerzeit schien dokumentiert zu sein. Das Ausgehen mit Freunden, Geburtstage, fröhliche und traurige Anlässe. Ein ganzes Leben in Bildern. Schweren Herzens überblätterte das Mädchen einige Seiten der Chronik der Eltern, die sie nie gekannt hatte. Trotz allem war Zeit kostbar und sie war hierhergekommen, um etwas Bestimmtes zu finden. Alexis überflog einige Bilder, nahm eine ganze Seite mit einem einzigen Blick auf, und blätterte weiter. Bis …. „Das ist zu früh.“ Stirnrunzelnd betrachtete sie die Seite. David neben ihr war angespannt, atmete bewusst langsam und kontrolliert, doch sie konnte es spüren. Da war ihre Mutter, ihr langes Kleid spannte sich um einen Bauch, der ein paar Bilder vorher noch nicht da gewesen war. Die Mode passte nicht und die Frau im Bild war viel zu jung. Alexis blätterte weiter, kam zum Bild eines Babys, ein kleines Mädchen, das nicht sie war. Beinahe hätte Alexis das Fotoalbum zuklappen lassen. Bilder füllten ihren Kopf, nahmen alle ihre Gedanken ein und formten sie, bis nichts anderes mehr da war. Wie unter Schock sah sie zu David hinüber.
Posted on: Thu, 18 Jul 2013 15:08:56 +0000

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