UNSER LEBEN IN THÜRINGEN UND LITAUISCHE VOLKSGEMEINSCHAFT IN - TopicsExpress



          

UNSER LEBEN IN THÜRINGEN UND LITAUISCHE VOLKSGEMEINSCHAFT IN THÜRINGEN e. V. Sehr geehrte Damen und Herren, bevor ich zum Thema komme, vorab einige Fakten zu meiner Person und Familie, damit man die Zusammenhänge besser verstehen kann. Ich heiße Aušra Friedt (Aušra ist ein litauischer Vorname, Friedt - ein deutscher Name, da mein Ehegatte deutscher Nationalität -durch seinen Vater- ist). Ich bin 52 Jahre alt, bin 30 Jahre verheiratet, habe 4 Söhne im Alter von 25, 18, 14 und 9 Jahre alt. (Der älteste Sohn Eduard ist hier anwesend. Von Beruf bin ich Lehrerin für Deutsch und Schwedisch als Fremdsprache, Hochschulabschluss: Diplom-Germanist. Ich wurde geboren und wuchs in der zweitgrößten Stadt Litauens, in Kaunas, auf. Litauen gehörte zu der Zeit zu Russland und offiziell hieß Litauische SSR. Aber in Litauen ,wie in zwei anderen baltischen Republiken, durfte man die eigene Sprache zu Hause und in der Schule sprechen, es gab litauischen Rundfunk, Fernsehprogramm, sowie Theater und Bücher. Mit 18 Jahren beendete ich die Mittelschule mit Abitur, habe 4 Aufnahmeprüfungen an der Vilniuser Universität bestanden und studierte dort 2 Jahre Germanistik. Dank dem Studentenaustausch (damals lief er über Moskau) wurde ich im Jahre 1977 für das Vollstudium (4 Jahre) an die Humboldt-Universität zu Berlin (Ostberlin) delegiert. Ein Jahr vor dem Ende des Studiums habe ich in Litauen geheiratet. Nach dem Studium kehrte ich nach Litauen zurück, es gab keine Arbeit für mich, wo ich meine gute Deutschkenntnisse anwenden konnte, deshalb arbeitete ich zwei Jahre in einem Museum für litauische Literatur als wissenschaftliche Mitarbeiterin, dann zwei Jahre in einer Mittelschule als Deutschlehrerin und nach der Geburt unseren ersten Sohnes Eduard bis zur Ausreise als Redakteurin für Deutsch in einem Schulbuchverlag in Kaunas. Mein Mann wurde im Frühjahr 1990 als Bürgermeister in der kleinen 3 Tausend-Seelen Stadt Vilkija (30 km von Kaunas entfernt) gewählt. 1990 war ein sehr unruhiges Jahr, voll Ungewissheit und Angst: es war die Wendezeit. In Litauen war der Geist der Unabhängigkeit zu spüren nach 50 Jahren der russischen Okkupation. Auf den Straßen in Vilnius und Kaunas war die sowjetische Armee mit Panzern präsent. In der unruhigen Zeit war ich nachts mit dem kleinen Eduard in unserer Wohnung meistens alleine (schwanger mit dem 2. Sohn) zu Hause, nachdem ich viele Brote für meinen Mann und seine Helfer und große Thermoskannen mit Kaffee und Tee gefüllt hatte. Nachts war er in der Stadtverwaltung oder in Kaunas, verteidigte die Rundfunkstation in der Nähe von Kaunas, oder übernachtete woanders, da es zu Hause zu gefährlich war. Die Unruhen in Jahren 1990 (am 11. März 1990 erklärte Litauen seine Unabhängigkeit) und 1991 (am 13. Januar die Besetzung des Fernsehturmes in Vilnius mit 13 Todesopfern aus der zivilen Bevölkerung), ökonomische Blockade (75 Tage wurde Öl nicht geliefert!), Augustputsch in Moskau haben uns zur Ausreise in die BRD bewegt. Von einer Mitarbeiterin im Verlag habe ich die Adresse des Bundesverwaltungsamtes in Köln erhalten. Mit meinem Mann haben wir im Sommer 1991 das Amt angeschrieben und bald eine Antwort erhalten, dass mein Mann samt seiner Familie ausreisen kann, sobald Reisepässe und Visa vorhanden sind, da seine Registriernummer aus dem Jahre 1957 noch gültig sei! Mein Schwiegervater hat je 2 Jahre Anträge für eine Ausreise in die BRD gestellt, sie wurde immer von den sowjetischen Behörden in Litauen abgelehnt. Ein Jahr nach unsrer Heirat ist mein Schwiegervater im Alter von 56 Jahren verstorben. Im Herbst 1991 haben wir unsere Arbeitstellen gekündigt, unsere russischen Pässe bei der Miliz in der Passabteilung abgegeben und erst dann in Vilnius (130 km vom Wohnort entfernt) unsere Reisepässe erhalten (beide minderjährige Söhne waren in meinem Reisepass eingetragen).Anfang Dezember fuhren wir von Vilnius über die Nacht ca . 1000 km nach Moskau, zur Deutschen Botschaft, um Visa zu erhalten. Alles dauerte in der Botschaft etwa eine halbe Stunde! Ende Dezember wollten wir starten mit unserem reparierten und neu lackierten alten Opel Rekord, aber unser Baby erkrankte an Windpocken. Wir haben von unseren Verwandten am 23. Februar 1992 Abschied genommen und nach einer langen 30 Stunden Fahrt ohne Übernachtung ganz müde den Aufnahmelager in Friedland bei Göttingen erreicht. Das war die einzigste Adresse, die wir hatten. In Friedland sind wir 3 Wochen lang geblieben, wohnten in einer Baracke und teilten ein Zimmer mit einer anderen 4-Personen Familie. Beide Kinder wurden dort krank, litten an Bronchitis, einige Nächte konnten weder wir, noch die andere Familie schlafen. Kranke Kinder haben uns große Sorgen bereitet. In der Zeit haben wir beide Tanten meines Mannes und den Onkel in Stuttgart besucht, mit der Hoffnung, dass sie für uns eine Wohnung finden. Wir wollten zu unseren Verwandten, anders konnten wir uns unser Leben im noch fremden Land Deutschland damals gar nicht vorstellen. Mit der Wohnung hat es so schnell leider nicht geklappt, unsere Enttäuschung war groß. Der Sachbearbeiter in Friedland hat uns erklärt, dass wir 9 Monate zu spät gekommen sind, es gibt keinen Platz mehr in den alten Bundesländer, hat vor uns auf dem Tisch eine große Karte ausgebreitet und gesagt, dass wir sofort ein beliebiges Ex-DDR Land aussuchen sollten, ansonsten können wir gehen wohin wir wollen ohne Papiere und Geld. Mit dem kranken und weinenden Baby auf den Armen mit Tränen in Augen haben wir gesagt, dass es uns egal ist. Im letzten Moment ist mir eingefallen, dass Vilnius und Erfurt viele Jahre Partnerstädte sind. Die spontane Entscheidung war: das Land Thüringen, Mitte Deutschlands. Bereits am nächsten Tag wurden Papiere ausgestellt und ausgehändigt und am 18. März 1992 fuhren wir wieder in dieselbe Richtung, woher wir gekommen sind, nämlich nach Osten. Am Nachmittag erreichten wir mit unserem Auto die graue Stadt Eisenberg mit dem Aufnahmelager für Thüringen. Dort blieben wir 1 Wochen lang, die Verpflegung war sehr gut, die Mitarbeiter nett und hilfsbereit. Ich war die ganze Woche nur damit beschäftigt, zahlreiche Anträge und Formulare auszufüllen und rechtzeitig sie abzugeben. Wir waren froh, in die Landeshauptstadt Erfurt fahren zu dürfen. Zuerst wohnten wir in einem Wohnheim für Aussiedler, alle 4 Personen in einem kleinen Zimmer und schliefen in Doppelstockbetten aus der Kaserne. Ein kleiner Tisch, 3 Stühle und ein Schank standen im Zimmer und das war alles. In den anderen 2 Zimmern wohnten vier Personen. Alle 8 Personen teilten eine Dusche mit WC und eine schmale Küche. Es war ein sehr heißer Sommer. Tag und Nacht zeigte unser Thermometer im Zimmer 29 Grad. Das Leben wurde unerträglich auch wegen der alten Nachbarschaft und unserem Baby, das gerade laufen lernte und immer lauter auch im Flur wurde. Mein Mann hat für ein halbes Jahr einen Sprachkurs bekommen, Eduard ging ab Anfang April 1992 in die Schule, gleich wieder in die erste Klasse, die er bereits in Litauen 3 Monate früher absolviert hatte. Beide mussten auf einem Tischchen lernen, Hausaufgaben machen, der kleine Tisch diente uns auch als ein Esstisch. Im Herbst bin ich mit dem Baby mehrere Male zum Wohnungsamt gegangen und den Antrag auf eigene größere Wohnung gestellt. Wir sollten warten, es gab keine Wohnungen, außerdem hatten wir eine bestimmte Punkzahl nicht erreicht. Ende November hat es doch geklappt mit einer 3-Zimmer-Wohnung und einer Ofenheizung fast in jedem Raum. Wir waren glücklich! Genau 3 Monate später: von Otto-Benecke-Stiftung in Bonn habe ich als Akademiker ein Schreiben für ein zweijähriges betriebswirtschaftliches Ergänzungsstudium an der Fachhochschule für Wirtschaft in Köln erhalten. Ich habe mich beworben und wurde angenommen. Ich habe verstanden, dass eine Umschulung in Deutschland für mich notwendig ist, um später eine Arbeit zu finden. Die Umschulung sollte Mitte April beginnen. Das Problem war unser Kleinkind. Wir fuhren die ganze Familie Anfang April zu Ostern nach Litauen und ließen schweren Herzens unseren gerade 2 Jahre alt gewordenen Sohn für 2 Jahre bei meiner Schwiegermutter. In der Zeit beendete mein Mann seine Umschulung als KfZ - Mechaniker in Erfurt, absolvierte bei Georg von Opel sein Praktikum und kümmert sich um unseren 9-järigen Sohn Eduard. Noch 2 Jahre später: am 13 März bestehe ich meine letzte Prüfung in Köln, mein Mann holt mich mit dem Auto nach Erfurt in der Nacht zum 14. März zurück, am 15. März früh bin ich mit Eduard zum Gespräch beim Direktor des Kath. Gymnasiums wegen der Aufnahme in die 5. Klasse. Einen Tag später am Morgen erblickt in Erfurt unser 3. Sohn das Licht der Welt. Glücksgefühl: alles gerade noch geschafft! Aber mein Mann hat keine Arbeit! Im April beginnt unser vierjährige Sohn Edmund in den Kindergarten zu gehen, er sprich kein Wort Deutsch, spricht im Kindergarten nicht und bastelt nicht. Alles, was er im Kindergarten gesehen hat, setzt er zu Hause um. Unsere 5-Köpfige Familie lebt ein halbes Jahr von der Sozialhilfe, ich bin ständig mit unserem Baby mit Behördenwegen beschäftigt. Im August 1995 bewirbt sich mein Mann bei der Stadt Erfurt, er wird zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Dann kommt die Absage: er ist überqualifiziert. Einen Monat später bekommen wir den Anruf vom Personalamt, Herr Friedt wird gebeten Seine Unterlagen wieder ins Personalamt zu bringen, er kann sofort mit der Arbeit anfangen. Was für ein Glück für die ganze Familie! Unser Leben verändert sich, die Sicherheit ist da, mein Mann ist endlich zufrieden, dass er seine Familie ernähren kann und unseren Kindern wenigstens einige neue Kleider sowie Schuhe im Jahr gekauft werden können. Ab und zu bekommen Kinder ein neues Spielzeug (vorher konnten wir nur vor dem Schaufenster stehen und uns mit den Kindern Spielzeug anschauen, jede Bitte unserer Kinder endete mit der Antwort „Nein, wir haben kein Geld“. Einige Jahre später war es klar, dass wir in Erfurt wohnen bleiben. Am 3. Januar 1998 beginne ich in einer Telefonfirma (Callcenter) in Erfurt in Schichten zu arbeiten. Im Juni 2000 wurde unser 4. Sohn geboren. Nachdem ich 2,5 Jahre im Erziehungsurlaub war, beginne ich im Dez. 2002 wieder voll zu arbeiten aus der Angst, dass ich gekündigt werden kann, da es dem Unternehmen nicht gut ging, es gab bereits einige Kündigungen.. Ende Dez. 2004 finde ich im Schaukasten unserer kath. Gemeinde eine Stellenausschreibung. Mein Mann ermutigt mich, sich zu bewerben. Ich bewerbe mich insgesamt das 3. Mal und werde eingestellt für 20 Stunden ab 1.3. 2005 als Pfarrsekretärin im kath. Pfarramt. Die Arbeit bereitet mir viel Spaß, es ist nie langweilig, die Arbeitszeit vergeht wie im Fluge. Jetzt, 18 Jahre später, kann man sagen, dass unsere Integration gelungen war. Die ersten 3 Jahre waren die schwierigsten. Natürlich hatten wir ein größeres Startkapital im Vergleich mit den anderen Aussiedlern das waren meine landeskundliche Kenntnisse aus meiner Studiumszeit, ich kannte die Mentalität der Ostdeutschen und nicht zuletzt ziemlich gute Kenntnisse der deutschen Sprache. . Natürlich musste ich auch sehr viel lernen, die neue Behördensprache, die neuen Gesetze und sehr viel lesen.. Was ist aus unseren zwei ältesten Söhnen geworden? Meines Erachtens sie haben sich gut in Deutschland integriert. Für meinen Mann und mich stand immer auf der Prioritätsliste Nr. 1 eine gute Ausbildung der Kinder. Eduard und Edmund haben ein gutes leistungsstarkes katholisches Gymnasium in Erfurt absolviert, Eduard war 9 Monate bei der Bundeswehr, jetzt ist er Student, 2. Semester Masterstudium an der Fachhochschule Erfurt. Der Edmund ist seit Oktober für 9 Monate bei der Bundeswehr in Thüringen, will dieses Jahr beginnen zu studieren. Marius ist in der 9. Gymnasialklasse in derselben Schule. Der jüngste Sohn Lukas ist in der 4. Klasse, im neuen Schuljahr geht er in dasselbe Gynmasium, in die 5. Klasse. Alle 4 Söhne spielen Schach, drei von Ihnen in Schachvereinen, Lukas spielt ab 6. Lebensjahr im Verein Fußball. Marius spielt auch Gitarre, ministriert in der Kirche. Alle Kinder haben sich gut in Erfurt eingelebt, sprechen unter einander viel deutsch, die Muttersprache bleibt zu Hause Litauisch. Um litauische Sprache, Kultur, Literatur und Bräuche in Deutschland nicht zu vergessen und dies zu pflegen, zu erhalten und zu fördern wurde am 11.03.2006 in Erfurt der Verein „Litauische Volksgemeinschaft in Thüringen e.V. gegründet. Zweck dieses Vereines ist es auch, die Mitarbeit zur Vertiefung der Beziehungen zwischen Thüringen und Litauen. Unser Verein mit 18 Personen ist jährlich im Thüringer Landtag am Tag der offenen Tür präsent, wo wir Litauen den Thüringern vorstellen. Wir feiern litauische Feste /Sonnenwendetag, Weihnachten/ zusammen, singen litauische Lieder, kochen litauische Gerichte. Es gibt litauische Sprachschule für unsre Kinder. Mit der Schule waren unsere Kinder in den Herbstferien 2008 eine Woche in Vilnius bei Gastfamilien, sie gingen in die litauische Schule zum Unterricht. So haben sie die ganze Woche nur litauisch gehört und natürlich gesprochen, das war eine große Bereicherung für unsere Kinder. Unser Verein unterstützt die Stadt Erfurt sowie Landtag, wenn Besuch aus Litauen kommt, z. Bsp. Chöre, wie der akademische Mädchenchor aus Vilnius „Liepaites“. In Thüringen gibt es in Wormstedt bei Apolda eine Grundschule, wo litauische Sprache fakultativ für deutsche Schüler unterrichtet wird. Die Schule pflegt langjährige Kontakte zu einer Schule in Litauen, es gibt einen Schüleraustausch. Die Lehrerin für Litauisch an dieser Grundschule ist ein Mitglied unsres Vereines. Vor einigen Jahren wurde diese Schule für den Unterricht einer „exotischen“ (litauischen) Sprache bundesweit ausgezeichnet. Vielleicht sollte man noch erwähnen, dass sich seit einigen Jahren in Erfurt das Honorarkonsulat der Republik Litauen für Thüringen und Sachsen-Anhalt mit dem Honorarkonsul Bernd Moser befindet. Ausra Friedt Erfurt-Bad Kissingen, 31.01.2010
Posted on: Tue, 08 Oct 2013 00:22:35 +0000

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