Volkstrauertag ... Gedenktag im November ... nur etwas für die - TopicsExpress



          

Volkstrauertag ... Gedenktag im November ... nur etwas für die Vergangenheit, oder auch etwas für die Zukunft ? Ein persönlicher Versuch ... Gedenkrede am Volkstrauertag 2013 Ehrenmal am Höberück / Rotenburg a.d.F., 17.11.2013, 11.00 Uhr Sehr geehrter Herr Landrat Dr. Schmidt, sehr geehrter Herr Bürgermeister Grunwald, sehr geehrter Herr Kommandeur, liebe Soldaten, verehrte Gäste der Gedenkstunde ! Erinnern - das tut jeder und jede von uns immer auf ganz persönliche Weise. Gedenktage wie heute und Gedenkorte wie dieser können dabei eine Hilfe sein. Doch jede Generation muss Gedenktage jeweils für sich neu erschließen – kirchliche genauso wie weltliche – auch den Volkstrauertag. 68 Jahre sind inzwischen seit dem Zweiten Weltkrieg vergangen. Bis heute wohnen auch in unserer Stadt Menschen, die ihn noch direkt erlebt haben. Dieser Krieg war für die damalige Bevölkerung eine kollektive Schicksalserfahrung. Es gab wohl keine Familie, die von ihm nicht direkter betroffen war: Durch Tod, Verwundung und Verkrüppelung an den Fronten und daheim. Durch Zerstörung, Gefangenschaft, Vergewaltigung, Vertreibung, Flucht und Hunger. Durch Massenvernichtung in Konzentrationslagern und Gefängnissen. Durch mühsamen Wiederaufbau - und durch die bittere Erkenntnis: Wir haben einer zutiefst verbrecherischen Führung gedient. In den meisten Dörfern & Städten stehen Kriegsdenkmäler - auch hier am Höberück. Es mahnt still und unaufdringlich, und doch markant und eindeutig. Und auch hier in Rotenburg werden die Namen der Opfer bewahrt - durch die Steintafel hier oben, und durch die Stolpersteine unten in der Stadt. Wir verneigen wir uns in stillem Gedenken vor allen Opfern dieses bitteren Krieges. Wir wissen aber auch: Die Weltkriegsgeneration wird von Jahr zu Jahr weniger. Und so beschäftigt hoffentlich nicht nur mich die Frage: Wie werden wir den Volkstrauertag begehen, wenn sie nicht mehr dabei sein kann ? Welche Bedeutung kann er auch für jüngere und künftige Generationen haben ? Ich will einige Antworten versuchen – als Anstoß für uns alle, weitere zu finden. Krieg und seine Folgen – das ist nicht nur ein Thema der Vergangenheit. Doch seine Wahrnehmung hat sich verändert - an mehr als einer Stelle. 103 Bundeswehrsoldaten sind seit den 1990er Jahren in Auslandseinsätzen gefallen. Für sie steht ein zentrales Ehrenmal auf dem Gelände des Verteidigungsministeriums in Berlin. Doch das werden die wenigsten von uns jemals direkt zu Gesicht bekommen. Landesweit werden für gefallene Bundeswehrsoldaten keine Denkmäler errichtet. Das passt nicht mehr so recht in die Zeit – dieser Gedanke ist verständlich. Doch damit wandert das konkrete Gedenken an Bundewehrsoldaten natürlich aus – heraus aus unserer Bevölkerung insgesamt, hinein in den Kreis nur der Angehörigen. Dort werden die Namen der Gefallenen präsent bleiben – nicht aber im Alltag. Es sei denn, dass wir dafür neue Formen des Erinnerns finden und finden wollen. Weiter: Aus den Auslandseinsätzen kommen unsere Soldaten oft verändert zurück. Wie beim letzten Weltkrieg, so tragen auch heute manche Verletzungen davon. Wie damals sind auch heute manche hinterher ein Leben lang kriegsversehrt. Und auch heute tragen viele Bilder in sich, die ihnen schwer auf der Seele liegen. Die Angehörige eines Soldaten aus unserer Region sagte mir vor einiger Zeit: „Ich bin heilfroh, dass er unverletzt aus Afghanistan zurück ist. Doch im Moment mäht er den Rasen, schraubt viel am Auto und am Haus –aber reden über das, was er erlebt hat, das will er nicht“. Dass manche Heimkehrer psycholog. Betreuung erst einklagen müssen / müssen – das ist meiner Meinung nach eine Schande. Unser demokratischer Rechtsstaat sollte sie selbstverständlich ermöglichen. Gemeinsames Mitfühlen auch mit ihnen, die heutzutage aus Einsätzen kommen – und Unterstützung ihrer berechtigten Forderungen: Sollte das nicht auch zum festen Inhalt dieses Tages gehören ? Und schließlich, vergessen wir auch das nicht: Flüchtlinge, Kriegs – Flüchtlinge, gibt es auch in der heutigen Zeit – auch hier in unserem Land, und auch hier in unserer Region. Im HKZ wurden und werden Bürgerkriegsflüchtlinge aus Libyen behandelt. In Kassel-Calden landen derzeit monatlich Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien. An die Bilder der Bootsflüchtlinge vor Lampedusa hatten wir uns fast schon gewöhnt. Die Begegnung von Fremden und Einheimischen löst oft gemischte Gefühle aus. Das war, wie Berichte von damals zeigen, auch nach dem Weltkrieg so. Die Flüchtlinge aus den damaligen sog. „Ostgebieten“ waren deutsche Mitbürger, ja. Aber wer war schon froh, wenn Flüchtlinge bei ihm zwangseinquartiert wurden ? Und welchen Flüchtlingen war das eben nicht zumindest auch unangenehm ? Flüchtlinge werden heute meist in leeren Kasernen oder Heimen untergebracht. Dass Einheimische und Fremde da erst einmal unsicher sind, ist verständlich. Doch warum musste es wieder zu solchen Bildern kommen wie in Hellersdorf ? Polizisten mussten die Flüchtlinge im Gebäude schützen. Da riefen Leute fremdenfeindliche Parolen – manche zeigten gar den Hitlergruß. Werben um Miteinander traf unmittelbar auf Vorurteile und Ängste. Für Begegnung, Verständigung, Mitgefühl war da zunächst keinerlei Raum. Wenn Flüchtlinge in sichtbarer Zahl hier in unsere Gegend gebracht würden – wie würde jeder und jede von uns darüber denken, reden und handeln ? Fremdheit, Unsicherheit überwinden – das kann nur gemeinsam gelingen. Alle Seiten müssen das wollen - und dafür ehrlich das beitragen, was sie können. Und alle Seiten müssen natürlich auch sagen, wo jeweils die Grenzlinien liegen. Kann, soll hier in Zukunft auch der Volkstrauertag ein wichtiger Impulsgeber sein ? Meine Damen und Herren, mitten im letzten Weltkrieg hat Schalom Ben Chorin ein Gedicht geschrieben – er, ein in Deutschland geborener, nach Jerusalem emigrierter Jude. Sein Text steht als Lied inzwischen auch im Evangelischen Gesangbuch: Freunde, dass der Mandelzweig wieder blüht und treibt, ist das nicht ein Fingerzeig, dass die Liebe bleibt ? Dass das Leben nicht verging, so viel Blut auch schreit, achtet dieses nicht gering in der trübsten Zeit. Tausende zerstampft der Krieg, eine Welt vergeht. Doch des Lebens Blütensieg leicht im Winde weht. Freunde, dass der Mandelzweig sich in Blüten wiegt, bleibe uns ein Fingerzeig, wie das Leben siegt. Ich wünsche uns, dass wir den Volkstrauertag in solchem Geiste begehen -heute und auch in Zukunft: Stellen wir uns den Wahrheiten, Auswirkungen und Folgen von Kriegen - in der Vergangenheit, aber auch in Gegenwart und Zukunft. Treten wir mitfühlend und ehrenvoll an die Seite der Opfer – derer, die nicht mehr unter uns sind, und genauso derer, die bei und mit uns leben. Sorgen wir gemeinsam dafür, dass der Volkstrauertag seinen Wert behält – so, dass jede Generation ihn sich auf ihre Weise erschließen kann.
Posted on: Sun, 17 Nov 2013 11:55:52 +0000

Trending Topics



Recently Viewed Topics




© 2015