Straßenhunde in Rumänien: Schon sieben Mal kastriert Von - TopicsExpress



          

Straßenhunde in Rumänien: Schon sieben Mal kastriert Von Norbert Mappes-Niediek Bukarest – Gegen die Plage der Straßenhunde in Bukarest hat noch nichts geholfen. Nun sollen die Tiere getötet werden. Tierschützer sind entsetzt. Noch mal davongekommen: Ein Hund in Bukarest entwischt seinem Fänger. Noch mal davongekommen: Ein Hund in Bukarest entwischt seinem Fänger. Foto: REUTERS/Bogdan Criste Diese Hunde sind elend dran, sagen die einen, sie können doch nichts dafür, sind ja an nichts schuld. Wie kann man ihnen da so übel mitspielen? Diese Hunde sind nicht nur eine Schande für eine moderne Großstadt, sondern eine regelrechte Bedrohung sagen die Anderen, sie machen Parks und selbst Wohngebiete unsicher. Recht haben sie alle beide. Was also tun? Als am 2. September im Lindenpark in Bukarest der vierjährige Ionut Anghel von Hunden totgebissen wurde, reagierte die Regierung sofort und brachte ein Gesetz zur „Hunde-Euthanasie“ auf den Weg. Seither tobt in Europa zwischen Hundefreunden und Hundefeinden ein ideologischer Krieg. Über nichts sind sich die Streitparteien einig: nicht über das Problem und schon gar nicht über die Lösungen. Besonders heftig tobt der Kampf im Internet, wo kein Moderator und kein Schiedsrichter zur Mäßigung mahnen. Auf Rumänisch, auf Englisch, auf Deutsch prallen die Argumente, die Vorwürfe und die Beschimpfungen aufeinander. Umbringen erlaubt. Quälen verboten Das Verfassungsgericht in Bukarest hat am Mittwoch ein Gesetz bestätigt, das die massenhafte Tötung von Straßenhunden erlaubt. Eine Klage von Tierschützern gegen das Gesetz wurde abgewiesen. Das Gesetz verlangt von den Kommunen nur, eingefangene Hunde zwei Wochen lang in Tierheimen zu versorgen. Werden sie danach getötet, darf dies nur mit Methoden geschehen, die die Tiere nicht quälen. Bisher galt, dass die herrenlosen Tiere nur dann eingeschläfert werden dürfen, wenn sie nachweislich unheilbar krank oder aggressiv sind. Diese Beschränkung wurde nun aufgehoben. Ceausescu hat mal wieder Schuld Eine Tierschützer-Organisation polemisiert gegen „blutige Massensäuberungen“ in Rumänien. Eine Website, die vornan ein Bild von einem Dutzend toter Welpen zeigt, verzeichnet Hunderte Postings. Ein besonders abstoßendes Video zeigt Männer, die einen kleinen Hund anzünden und sich an dessen Qualen ergötzen. „Ich wünsche diesem Mob in Rumänien einen grausamen Tod“, schreibt eine Kerstin K. aus Haßfurt in Bayern. „Wieder eine Nation, die ich nicht leiden kann“, pflichtet ihr Vona C. aus Ballymahon in Irland bei. „Wenn die mich wieder mal auf der Straße anbetteln, dann schrei ich es ihnen ins Gesicht.“ Man mag sie, oder man mag sie nicht: die Hunde ebenso wie die Rumänen. Immer läuft es darauf hinaus. Im Krieg sei die Wahrheit stets das erste Opfer, heißt es, und in ideologischen Kriegen gilt das erst recht. Jede Erklärung der einen Seite wird von der jeweiligen Gegenseite bestritten. Der kleine Anghel sei gar nicht im öffentlichen Raum totgebissen worden, sondern auf einem umzäunten Privatgelände, widersprechen Tierschützer der Darstellung der Staatsanwaltschaft. Wie viele Straßenhunde es in Bukarest gibt, lässt sich schon gar nicht festestellen: 25000, schätzen die Tierschützer; 60000, gibt die Stadtverwaltung an. Die ewig hungrigen Tiere leben in Rudeln, ihr Lager haben sie vorzugsweise in Grünanlagen und an den Straßenecken, wo die Müllcontainer stehen. Jeder macht einen Bogen um sie. Trotzdem mussten im vergangenen Jahr allein in Bukarest 16162Menschen nach einem Hundebiss gegen Tollwut geimpft werden, wie das Institut für Infektionskrankheiten „Matei Bals“ dokumentiert hat. Das sind 44 am Tag, rund ein Viertel mehr als im Jahr zuvor. Ein Fünftel derer, die eine Impfung benötigten, waren Kinder. Die Schuld an der Hundeplage soll – wie an so ziemlich allem in Rumänien – Nicolae Ceausescu tragen. Anfang der 1980er-Jahre ließ der Diktator für sein pompöses „Haus des Volkes“ ein ganzes Stadtviertel mit vielen kleinen Gärten abreißen. Die Besitzer wurden in Wohnblocks umquartiert, durften ihre Hunde nicht mitnehmen und ließen sie frei. In Wirklichkeit reicht das Problem jedoch viel weiter zurück als nur bis in die Zeit des Realsozialismus. Und Rudel von Straßenhunden gibt es überall in der Region. Wenn es dunkel wird, meidet man nicht nur in Bukarest die Parks; nicht nur in Bukarest bricht man Ausflüge an den Stadtrand lieber ab, wenn eine verängstigte Hündin mit ihren Welpen den Weg verstellt. Die gleiche Verhaltensregel wird auch in Belgrad beherzigt, in Sarajevo und Sofia, in Pristina und in Istanbul. Dort hat schon vor rund hundert Jahren einmal der Sultan – ob anno 1905 oder 1912, darüber sind die Quellen nicht einig – 5000Straßenhunde auf eine der unbewohnten Prinzeninseln vor der Stadt deportieren lassen, wo sie elend verhungern mussten. Gott, so besagt die Legende, habe zur Strafe ein Erdbeben geschickt. In ganz ähnlicher Weise, wie im Westen gern mit dem Klischee von dem angeblich brutalen, primitiven Ostvolk hantiert wird, das einen sadistischen „Hundemord“ zelebriere, haben viele Rumänen ihr eigenes Zerrbild von den vermeintlich heuchelnden Snobs im Westen, die ständig als Morallehrer auftreten, ohne von den wirklichen Verhältnissen eine Ahnung zu haben. Die wohl prominenteste Hassfigur ist Brigitte Bardot. Schon 2001 kam die tierschutzbewegte Schauspielerin das erste Mal nach Bukarest und brachte umgehend den Volkszorn gegen sich auf. Es war die Zeit, in der die Behörden schon einmal in großem Stil Straßenhunde töten ließen. Treibende Kraft war der damalige Bukarester Bürgermeister Traian Basescu. Die Bardot verschaffte sich einen Termin bei dem hartherzigen Hundekiller und küsste ihn öffentlich, um ihn zu erweichen. Fassungslos verfolgte die ganze Nation, wie die Bardot vier gerettete Straßenhunde mit in ihr Hotelzimmer im exklusiven Athenée Palace nahm. Als sie gemeinsam mit ihren neuen vierbeinigen Freunden ins Flugzeug nach Paris stieg, höhnte ihr die Presse hinterher: „Ach, hätte sie doch viel mehr mitgenommen!“ Bürgermeister Basescu blieb (natürlich) hart, ließ in zwei Jahren mehr als 80000 Straßenhunde töten und wurde dabei so populär, dass er wenig später sogar zum Staatspräsidenten gewählt wurde. Doch so hart er auch durchgriff, es entkamen genug der Tiere, um bald neue Rudel zu bilden. 2006 zerfleischten sie einen 68-jährigen Fabrikdirektor aus Japan, 2011 starb eine 49-jährige Frau an Hundebissen. Und nun Ionut Anghel. Adoptivherrchen gesucht Nach der ersten großen Tötungskampagne vereinbarten pragmatische Tierschützer mit den Behörden ein alternatives Programm: Die Straßenhunde sollten eingefangen, kastriert und dann in Tierheimen untergebracht werden. Vereine sprossen aus dem Boden, die sich dieser Aufgabe zu widmen versprachen. Die meisten von ihnen aber stehen im Verdacht, von der Stadt nur das Geld für Kastration und Unterbringung zu kassieren und die Hunde dann entweder zu töten oder wieder auszusetzen. Einer der Hunde, die den kleinen Anghel totbissen, war tatsächlich von einer Tierschutzorganisation namens Kaleidoskop adoptiert worden. Manche Hunde, so hat eine Zeitung recherchiert, wurden schon sieben Mal kastriert. Als Lehre aus diesem Misserfolg sollen nun wieder mehr Hundefänger losgeschickt und mehr Tiere getötet werden. So hat es das Parlament mit großer Mehrheit beschlossen. Den Tierschützern wurde zugestanden, dass eingefangene Hunde eine vierzehntägige Gnadenfrist erhalten. Weil die Stadtverwaltung annimmt, dass die meisten Straßenhunde der jüngeren Generation von Herrchen oder Frauchen ausgesetzt wurden, wird den Besitzern zunächst eine Woche Zeit eingeräumt, ihre Tiere zurückzufordern. In der zweiten Woche können Tierfreunde, auch aus dem EU-Ausland, die Hunde adoptieren. Binnen einer Woche wurden in Bukarest jetzt 25 Hunde auf diese Weise vermittelt. Im Westen geht der Kampf gegen die „blutigen Massensäuberungen“ indessen weiter. In Wien hat es eine Demonstration gegeben, vor der rumänischen Botschaft wurden brennende Kerzen aufgestellt. Die internationale Tierschutzorganisation „Vier Pfoten“ will das Geld zurückfordern, das sie für Kastrationen aufgewendet hat, und erwägt eine Klage. Nur das strafende Erdbeben lässt noch auf sich warten.
Posted on: Sat, 28 Sep 2013 12:08:57 +0000

Trending Topics



Recently Viewed Topics




© 2015