Wed, October, 9, 2013 Neue Zürcher Zeitung «Wird es blaue - TopicsExpress



          

Wed, October, 9, 2013 Neue Zürcher Zeitung «Wird es blaue Augen haben?»; Gentestfirma berechnet Wahrscheinlichkeit für sechs Merkmale sowie Krankheiten Aus den Erbgutdaten eines Elternpaares lassen sich Wahrscheinlichkeiten dafür berechnen, dass dessen Kind bestimmte Merkmale besitzt. Eine US-Firma hat sich eine solche Berechnungsmethode nun patentieren lassen und weckt so Ängste. «Unser Kind sollte blaue Augen haben, kräftige, für Sprints geeignete Muskeln entwickeln und ein niedriges Brustkrebsrisiko haben» - viele Eltern wünschen sich vor der Geburt ihres Kindes das eine oder andere dazu, zur immer heiss ersehnten Gesundheit. Bis vor kurzem waren solche «Extrawünsche» aber vor allem Traum und Spekulation, basierend auf einer wenig wissenschaftlichen «Familienanalyse» per Auge und Erinnerung. Doch nun hat die amerikanische Gentestfirma 23andMe vor wenigen Tagen in den USA ein Patent erhalten, das einen komplexen Algorithmus beschreibt, der auf Grundlage genetischer Daten der Eltern die Wahrscheinlichkeit für sechs Merkmale berechnet: jene für die Augenfarbe, eine Laktoseintoleranz, die Stärke der Muskeln, die Fähigkeit, bitter zu schmecken, sowie die Beschaffenheit des Ohrenschmalzes und das Ausmass von Hautrötungen nach Alkoholgenuss. Zudem können mit der Methode auch die Risiken für diverse Krankheiten bestimmt werden. Das Patent weckt aufs Neue Befürchtungen: Werden auf diesem Weg nun «Designer-Babys» erzeugt? Um herauszufinden, mit welcher Wahrscheinlichkeit der Nachwuchs all diese Merkmale aufweist, wird zuerst das Erbgut von Mutter und Vater analysiert; diese beiden Datensätze werden dann durch den Computer miteinander verglichen. Je mehr genetische Daten von weiteren Verwandten man zusätzlich eingibt, desto besser wird die Vorhersage. Es wird also keine Analyse an Embryonen oder Samen- und Eizellen vorgenommen. Und man bekommt keine absolute Aussage, sondern erfährt nur, mit welcher Wahrscheinlichkeit ein noch zu zeugendes Baby diese Merkmale aufweisen und die untersuchten Krankheiten bekommen wird. Selbst wenn Paare ihr Erbgut haben analysieren lassen, dürften auch für sie solche Berechnungen allenfalls Spielerei sein. Denn kaum einer wird sich einen anderen Partner suchen, nur um ein Kind mit einer hohen Wahrscheinlichkeit für weiches Ohrenwachs und Sprintermuskeln zu bekommen. Selbst ein gewisses Risiko für Brustkrebs dürfte nicht zu einer Scheidung führen, sondern allenfalls zu mehr Aufmerksamkeit im Erwachsenenleben des geplanten Kindes. Brisant ist der Algorithmus trotzdem. So wurde er offenbar entwickelt, um Frauen oder Paaren, welche sich Spendersamen von einer Samenbank aussuchen, zusätzliche Auswahlhilfen an die Hand zu geben. Allerdings wolle man den Algorithmus weder zukünftig dafür einsetzen, noch habe man ihn in der Vergangenheit je dafür verwendet, betont ein Sprecher von 23andMe. Doch im Patent wird genau das beschrieben. Demnach könnte man das genetische Profil von beispielsweise zehn in der Spenderkartei verfügbaren Männern mit dem der zukünftigen Mutter vergleichen und dann den Vater auswählen, der mit der höchsten Wahrscheinlichkeit die Wunscheigenschaften liefert. Ganz neu ist eine zielgerichtete Auswahl des Samenspenders nach gewissen Merkmalen allerdings nicht. Auch jetzt schon spielen Aussehen, Universitätsabschluss, die Krankengeschichte oder auch die Hautfarbe des Spenders oft eine entscheidende Rolle bei der Auswahl von Samenspenden. In der Schweiz wie auch in anderen Ländern wird zudem seit längerem jeder potenzielle Spender auf Chromosomenanomalien hin untersucht und der Samen dann gegebenenfalls nicht verwendet. Allerdings bedeuten solche Anomalien schwere, oft lebensbedrohliche Krankheiten. Sorgen bereitet der Algorithmus (nicht nur) Ethikern noch aus einem zweiten Grund: Er zeigt, dass es bereits möglich ist, nicht nur Krankheiten, sondern auch medizinisch völlig wertfreie Merkmale mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit vorherzusagen. Es steht daher zu erwarten, dass je mehr Forscher und Gentestfirmen über das Erbgut herausfinden, desto mehr solcher Algorithmen erstellt werden. Ist also der Weg hin zu einem echten «Designer-Baby» gar nicht mehr so weit wie oft gedacht? Mithilfe solcher Methoden ein «Designer-Baby» zu erzeugen, hiesse, aus diversen zur Verfügung stehenden Embryonen denjenigen mit den meisten gewünschten Merkmalen auszusuchen. Brutal formuliert: Man müsste also mehrere Kinder zeugen und nur eines am Leben lassen. Das ginge heutzutage, wenn überhaupt, nur im Rahmen einer künstlichen Befruchtung in der Kulturschale samt einer genetischen Analyse aller sich entwickelnden Embryonen. In einigen Ländern - nicht in der Schweiz - dürfen genetische Untersuchungen an Embryonen durchgeführt werden. Dafür wird dem Embryo im Acht-Zell-Stadium eine Zelle entnommen und anhand dieser das Erbgut untersucht. In diesem frühen Stadium kann sich der Embryo trotz der Zellentnahme normal weiterentwickeln. Aber bis anhin ist die Präimplantationsdiagnostik ausschliesslich erlaubt, um sehr schwere Erbkrankheiten wie beispielsweise die zystische Fibrose aufzuspüren. Laut Peter Miny, ärztlicher Leiter der medizinischen Genetik am Universitätsspital Basel, ist mit den zurzeit verfügbaren Methoden ein echtes «Designer-Baby» auch weiterhin Zukunftsmusik. Zum einen enthalte eine embryonale Zelle zu wenig genetisches Material, um damit nicht nur die Veranlagung für einige schwere Krankheiten abzuklären, sondern zugleich auch noch nach anderen Merkmalen zu suchen. Wenn ein Paar die Strapazen einer künstlichen Befruchtung auf sich nehme, dann sicher nicht, um Augenfarbe oder Muskelstärke testen zu lassen, sagt er, sondern um Informationen über schwere Krankheiten zu erhalten. Viele Experten gehen daher davon aus, dass nur die Anzahl an Erkrankungen, die man im Rahmen einer PID abklärt, in der nächsten Zeit zunehmen wird. Zum andern ist das grosse Hindernis für ein «Designer-Baby», das auch der Algorithmus nicht beseitigen wird, für Miny die Tatsache, dass die meisten der von Eltern gewünschten Eigenschaften vom Zusammenspiel vieler Gene abhängen. So werde schon die Augenfarbe von diversen Genvarianten bestimmt. Und bei Intelligenz, Schönheit, Ausgeglichenheit, Neugier oder was immer Eltern gerne hätten, wisse man noch gar nicht, welche Gene in welcher Ausprägung verantwortlich wären. Viele Genetiker halten es für fraglich, ob man in absehbarer Zeit überhaupt wird vorhersagen können, welcher Embryo beispielsweise mathematisch begabt ist. Miny macht denn auch eine andere Neuerung auf dem Gentestmarkt viel mehr Sorgen. Mittlerweile könne man nämlich an dubiose Internetfirmen ohne reale Adresse etwas Blut einer schwangeren Frau einschicken und bekomme zwei Wochen später die Antwort: «Knabe» oder «Mädchen». Und dass solch ein Service weltweit genutzt werde, um das «Unerwünschte» nicht zu bekommen, davon ist er überzeugt. © Besuchen Sie die Website der führenden Schweizer Internationalen Tageszeitung unter nzz.ch
Posted on: Wed, 09 Oct 2013 08:13:18 +0000

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