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adhs-deutschland.de/ ADHS Deutschland · 737 gefällt das 5. Juni um 15:51 · .. Frontal21 hat es wieder geschafft. Die Damen und Herren vom öffentlich-rechtlichen Sponsorenfernsehen (wir erinnern uns sendungsspezifisch u.a. an die dezente Automobilwerbung im Antipharmafilm vom Dezember 2008; über das Gottschalk’sche Produktmarketing in „Wetten dass“ sowie das Sportsponsoring mag man gar nicht mehr reden) haben sich einmal mehr der ADHS, den Kindern und dem Geld gewidmet. In der Sendung „Psychopillen für Kinder – Ruhigstellen mit Nebenwirkungen“ vom 04. Juni 2013 hat der dilettantische pseudoinvestigative Journalismus erstaunliche neue Höhen erreicht. Einzig die Moderatorin Frau Petersen ist sich gleich geblieben: ein bildgewordenes Fräulein Rottenmeier, wie Johanna Spyri sie als gleichermaßen übellaunige wie besserwisserische Gouvernante in „Heidi“ nicht besser hatte beschreiben können. Monate, nachdem sich das Feuilleton und die Massenmedien mit der fünften umfassenden Neufassung des „Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders“ (DSM) der American Psychiatric Association (APA) befassten, springen die munteren Politreporter von Frontal21 auf den inzwischen lahmen Zug monotoner Psychiatrieschelte auf. Dazu schufen Sie ein rund neunminütiges Filmchen, das nette Kinder und betroffene Eltern mit einer selektiven Auswahl von Fachleuten zusammenschneidet, alles unterlegt durch einen polemisch-naiven Kommentar. Doch geht es den gnadenlosen Internet-Rechercheuren nicht um das neue Diagnosemanual im Allgemeinen, sondern einmal mehr um die ADHS im Besonderen. Auf diesem Feld hat die Frontal21-Redaktion leidlich Erfahrung und offenkundig bereits ein Archiv immergleicher Bilder von pillenschluckenden Kindern und mitleiderregenden Eltern, die fixe Rollen verkörpern: die tablettenverteilende Mutter als willfährige Handlangerin in den Fängen des fiesen Kartells von unmotivierten Lehrern und geldgeilen Pharmabossen; und die rebellischen Eltern, die gegen alle Widrigkeiten einer desinteressierten Gesellschaft ihr Kind erfolgreich vor den bösen Machenschaften dieses fiesen Kartells bewahren. Höhepunkt: Die Lehrer der Dorfschule in Doberlug-Kirchhain (liegt irgendwo bei Posemuckel, Landkreis Hintertupfingen), die vom Sohn der Rebellen einst besucht wurde, wollen sich nicht von den Frontal21-Cuttern durch sinnentstellenden Zitatschnipsel bloßstellen lassen, weshalb des Zuschauers Blick ein paar Sekunden auf dem Zaun des Schulgeländes ausruhen darf. Inszeniert, als stünde man wie Jerry Thompson in Orson Welles „Citizen Kane“ vor dem geheimnisumwitterten Xanadu und dürfte das Zauberschloss nicht betreten, hinter dessen Mauern die Wahrheit zu finden ist – die Wahrheit über böse Lehrer, böse Schulräte, böse Ärzte, böse Konzernbosse. Aber es geht noch manipulativer. Die im Frontal21-Beitrag gezeigten US-Psychiater Peter Breggin und Allen Frances sind beide ausgewiesene Psychiatriekritiker, allerdings ganz unterschiedlicher Qualität. Breggin verdient seit Jahrzehnten viel Geld damit, gegen so ziemlich alles in der US-amerikanischen Psychiatrie zu sein; das ist so legitim und unabhängig und neutral wie die Mitarbeit in einem Pharmaunternehmen oder der Vorsitz einer psychoanalytischen Fachgesellschaft. Er war der wissenschaftliche Kronzeuge der Sammelprozesse wegen Verschwörung, die im Jahr 2000 gegen die Hersteller von Methylphenidat (MPH) sowie die amerikanische ADHS-Selbsthilfeorganisation CHADD angestrengt wurden. Keines dieser Verfahren wurde jemals vor Gericht verhandelt, da es Breggin und seinen Anhängern schlicht an Fakten fehlte. Breggins Aussage zur Wirkung „eines solchen Medikaments“ auf das Spielverhalten von Schimpansen – von Frontal21 als Kommentar zur Medikation von ADHS dargestellt – machte dieser in Wahrheit allerdings bereits in den 1990er Jahren zum Einsatz von Antidepressiva. Tatsächlich gibt es durchaus Tierstudien zur Wirkung von MPH, jedoch keine, welche die von der Frontal21-Redaktion in einen falschen Zusammenhang montierte Aussage von Breggin stützen würde. Allen Frances hingegen war bis 1994 der Leiter einer Arbeitsgruppe, welche das DSM-IV vorbereite und herausgab, den Vorläufer der nun veröffentlichten aktuellen Version des psychiatrischen Manuals. Erst gegen Ende der langjährigen Entstehungsgeschichte des DSM-V wurde er eher widerwillig zum prominentesten Kritiker einer Ausweitung der psychiatrischen Diagnosen v.a. im Kindesalter, nicht aber der Psychiatrie insgesamt. Er ist ein Fachmann für Persönlichkeitsstörungen, Depression, Angst, Schizophrenie, AIDS und Psychotherapie. Im letzten Jahr hat er sich im Hinblick auf die Pathologisierung von Kindern – wie beispielsweise auch Alan Sroufe (hallo Frontal21-Team: damals war die Diskussion aktuell) – kritisch zur Zunahme der ADHS-Diagnosen geäußert. Er tat dies besonnen und ohne die Gültigkeit der ADHS als Störungsbild infrage zu stellen. Von Frontal21 werden seine aus dem Zusammenhang herausgelösten Aussagen zur Medikation von Kindern (nicht ausschließlich der ADHS) mit der Polemik Peter Breggins in einen Topf geworfen, mit einer Prise vorurteilsgetränkter Ideologie abgeschmeckt und dem Publikum als unzweifelhaftes Wissen serviert. Journalistisches Fastfood eben, geschmacksverstärkt durch das Glutamat der Pharmakritik und die zuckrigen Bilder medial missbrauchter Kinder. Nimmt es da Wunder, dass Prof. Glaeske einmal mehr ein Stelldichein bei Frontal21 gibt?! Ihn kennen wir bereits aus früheren Produktionen der Phrasenregisseure in der Frontal21-Redaktion. Was er sagt, wirkt, als habe man sich bei Frontal21 nicht nur die aktuelle Recherche, sondern auch neue Fernsehaufnahmen gespart, denn die Aussagen zu vermehrten Herz-Kreislauf-Problemen unter der Medikation mit den in der ADHS-Behandlung üblichen Substanzen (MPH, Amphetamin, Atomoxetin) sind entweder veraltet oder bewusst falsch, wie eine 2011 veröffentlichte Kohorten-Studie mit über 240.000 medikamentös behandelten Kindern und Jugendlichen in den USA aufzeigte (pediatrics.aappublications.org/content/127/6/1102.full). Die Annahme absichtlicher Irreführung gilt auch für den Reportage-Kommentar: „Wer den Ritalin-Wirkstoff Methylphenidat viel verschreibt, verdient auch viel. Denn das wird extra vergütet.“ Wie dies abrechnungstechnische Husarenstück funktioniert, dürfte für zahlreiche Kinderärzte, die aufgrund der ihr Budget überschreitenden Verordnung von ADHS-Medikamenten nun Regressforderungen der gesetzlichen Krankenkassen ausgesetzt sind, durchaus interessant sein … „Die Leidtragenden sind Kinder – vielfach Opfer einer falschen Diagnose“, schließen die Frontal21-Redakteure ihr Musterfilmchen eines investigativen Journalismus auf dem Niveau der „Drei Fragezeichen“ – obwohl dieser Vergleich den Hobbydetektiven aus dem Kinderbuch im Grunde Unrecht tut, deren Geschichten mehr Logik eignet als der albernen Montage von Frontal21. Eher sollte es heißen: Die Leidtragenden sind Zuschauer – vielfach Opfer falscher Darstellungen in den Medien! Fürchten muss man die Wirkung eines solchen Fernsehbeitrags nichts als ADHS-Betroffener, sondern als Beitragszahler des öffentlichen-rechtlichen Fernsehens. Oliver Kalkofe hat das in einem FOCUS-Interview zum neuen Rundfunkbeitrag in Abgrenzung vom Privatfernsehen trefflich formuliert: Wir bezahlen das öffentlich-rechtliche Fernsehen nicht für eine höhere Qualität des Programms, sondern dafür, „dass sie uns einfach nur auf altmodischere und niedlichere Art verblöden“. Ihr lieben Frontal21-Redakteure, darin seid ihr spitze! Dr. Johannes Streif
Posted on: Mon, 10 Jun 2013 16:07:51 +0000

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