„Der Regisseur des Lebens ist der Zufall“ — Versuch einer - TopicsExpress



          

„Der Regisseur des Lebens ist der Zufall“ — Versuch einer Rezension des Films „Nachtzug nach Lissabon“ von Jordi Pérez Gekleidet in eindrucksvolle Bilder und nachdenklich stimmende Poesie schickt Bestseller­autor Pascal Mercier in der Verfilmung seines Romans „Nachtzug nach Lissabon“ (Regie: Bille August) den „angestaubten“ Altphilologen Raimund Gregorius (Jeremy Irons) gekonnt auf eine spannende Zeitreise hin zu seinem wahren Ich — quer durch den turbulenten Vormärz der portugiesischen Nelkenrevolution Lissabons von 1974. Der Zufall will es, dass der Eigenbrötler Gregorius an einem grau-trüben Regentag das Leben einer mysteriösen, südländischen Schönheit (Sarah Bühlmann) auf der Berner Kirchenfeld­brücke rettet. Der gleiche Zufall bringt ihn in den Besitz ihres roten Mantels, einer Fahrkarte für den Nachzug nach Lissabon sowie eines vergilbten portugiesischen Büchleins. Auf Anhieb ist der intellektuelle Einzelgänger von der mysteriösen Schönheit, dem verheißungsvollen Buchtitel „Um ourives das palavras“ (Ein Goldschmied der Worte) sowie der Sprachgewandtheit, dem analytische Scharfsinn und dem philosophischen Wissen seines Autors, Amadeu Inácio de Almeida Prado, (Jack Huston) fasziniert. Er nutzt die Chance der Stunde und beschließt spontan zu er­gründen, welche Möglichkeiten ihm „Regisseur Zufall“ eröffnet und bricht im Laufe des Films radikal mit seinem bisherigen Leben: Fasziniert von den eindrucksvollen und farbenfrohen Bildern, die die Kulisse Lissabons liefert, erlebt der Zuschauer, wie sich der in antiker Philosophie verhaftete Altphilologe langsam zu einem sympathischen, emanzipierten Bohème der Gegenwart entwickelt, der sich nach und nach Neuem sowie der Liebe öffnet. Dies alles geschieht vor dem Hintergrund der persön­lichen Aufarbeitung der Verletzungen und Schicksale, die die Reisebekannt­schaften des Endfünf­zigers während der Zeit der menschenverachtenden Salazar-Diktatur erlitten haben. 111 spannende Minuten — festgehalten in eindrucksvollen Bildern — in denen es Regisseur Bille August spielerisch und mit viel Liebe zum Detail gelungen ist, verschiedene Längen der Romanvorlage gekonnt zu kaschieren und Handlungszusammenhänge deutlicher heraus­zustellen. Ein Wermutstropfen: Mélanie Laurent erinnert in der Rolle der jungen Estefania vom Typ eher an eine trockene Sahra Wagenknecht denn an eine rassige Revolutionärin mit por­tugiesischen Wurzeln. Ein Tausch der Rollen zwischen Mélanie Laurent (junge Estefania) und Sarah Bühlmann (Catarina Mendez) hätte dem Film gut getan. Ansonsten überzeugt das Spiel der Akteure wie die Auswahl der Charaktere. Insgesamt ein sehr spannender und mit viel Liebe zum Detail gezeichneter Film, der eine reiz­volle Brücke zwischen der Geisteswelt und Denkweise der Antike zu der der Gegenwart schlägt und spannendes Hintergrundwissen zum heute beinahe vergessenem Salazar-Regime und der Nelkenrevolution Portugals des Jahres 1974 vermittelt. Prädikat: (y) (y) (y)
Posted on: Fri, 19 Jul 2013 11:01:46 +0000

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