Schleswig-Holstein und der Mega-Tunnel Drei gegen das - TopicsExpress



          

Schleswig-Holstein und der Mega-Tunnel Drei gegen das Großprojekt: In Schleswig-Holstein rührt sich nur wenig Widerstand gegen die geplante Untertunnelung des Fehmarnbelts. Kapitän i. R. Bernhard Ketels überlegt einen Augenblick. "Drei", sagt er dann. "Ja, ich würde sagen: drei." Vor Jahren war Ketels Kapitän auf der "Theodor Heuss", einem großen Eisenbahnfährschiff zwischen Puttgarden auf der schleswig-holsteinischen Insel Fehmarn und Rodby auf der dänischen Insel Lolland. Tausende Male ist er die 18 Kilometer zwischen den beiden Häfen hin- und hergefahren. Nun ist er pensioniert und Landratte. Er lebt seit 30 Jahren mit seiner Frau Ingegärd in Burg auf Fehmarn. Dort betreiben beide im Erdgeschoss eines roten Backsteinhauses das Infocenter des dänischen Konzerns Femern A/S, der an der Ostseeküste ein Bauprojekt durchziehen will, das es mit den milliardenteuren Vorhaben Stuttgarter Bahnhof oder dem Flughafen Berlin-Brandenburg locker aufnehmen kann. Die Dänen wollen einen 18 Kilometer langen Tunnel unter der Ostsee bauen, die Fehmarnbeltquerung, eine Eisenbahn- und Autoverbindung von Puttgarden nach Rodby, fast sechs Milliarden Euro teuer, bezahlt von den Dänen allein, refinanziert durch Mautgebühren. "Also drei", sagt Kapitän i. R. Ketels. Es gebe auf ganz Fehmarn etwa 12 400 Einwohner und davon seien drei echte Gegner der Querung. Man könne auch sagen Wutbürger. Er steht in seinem Infocenter neben einer Vitrine mit dem Tunnelmodell. Kein Mensch kommt, sich das einmal anzusehen oder sich die kommende Megabaustelle erklären zu lassen. Das Inselwetter ist zu schön. "Vielleicht nach dem Eisessen", sagt Ketels vergnügt. Hypermodern ist alles um ihn herum. Im Fahrsimulator kann man schon durch den Tunnel Richtung Kopenhagen fahren. An den Wänden Bildschirme, auf denen Videos laufen, die den 2015 beginnenden Bau zeigen: Tunnelstücke mit jeweils vier Röhren, zwei für Autos, zwei für Züge, zusammen 70 000 Tonnen schwer, werden in einen Graben am 30 Meter tiefen Ostseeboden abgesenkt. Alles sieht so einfach aus. Die Dänen wollen den Tunnel, wollen ihr Inselland enger anbinden an Mitteleuropa. Den Deutschen ist das Bauwerk eher schnuppe. "Eine bekloppte Idee", meinte Sigmar Gabriel, als er noch Bundesumweltminister war. Ginge es nach den Dänen, sie würden morgen früh losgraben. Aber in Deutschland ist noch einiges zu klären. Zwar haben Bundestag und Folketing zugestimmt und es gibt einen Staatsvertrag, 2009 von Dänemark und Deutschland ratifiziert. Aber in Schleswig-Holstein muss der deutsche Anteil, die Anbindung an den Tunnel, gebaut werden: bis 2021 eine elektrifizierte, bis 2028 zweigleisige Bahntrasse für deutlich mehr Güterverkehr, eine autobahnähnliche Straße, außerdem eine neue Brücke oder ein Tunnel zwischen Festland und Fehmarn. Denn die denkmalgeschützte und bei starkem Wind kaum noch passierbare Fehmarnsundbrücke muss ersetzt werden. Alles zusammen kostet gut eine Milliarde Euro. Mitte Juni gab es noch einmal großen Protest gegen das Vorhaben – für holsteinische Verhältnisse jedenfalls. Bahnchef Rüdiger Grube und Ministerpräsident Torsten Albig (SPD) waren nach Timmendorfer Strand gekommen, in einen der Badeorte an der Ostsee, durch die in Zukunft täglich 70 und mehr kilometerlange Güterzüge rauschen sollen, eine Horrorvorstellung für Bürgermeister, Hoteliers und Campingplatzbetreiber. "Wir sind in einer Phase, in der wir Bedenken und Wünsche der Bevölkerung noch gut berücksichtigen können", verkündete Grube. Aber das beruhigte niemanden. "Wir wollen überhaupt keine Querung über den Belt", hielt die Sprecherin einer Bürgerinitiative dagegen. In Westermarkelsdorf auf Fehmarn wohnt Hendrick Kerlen. Er ist 75 und einer der drei Wutbürger auf der Insel, von denen Kapitän i. R. Ketels spricht. Die beiden kennen sich seit Langem, beide sind Mitglied im Nautischen Verein. Kerlen war Bau- und Wirtschaftsingenieur, jahrelang im Ausland unterwegs, war Fachmann für Großprojekte. Der alte hagere Herr in dem kleinen Haus ist also jemand, der sich bestens auskennt mit Megabaustellen. Er kann rechnen, er hat Erfahrung, er wäre jemand, der die Fehmarnbeltquerung bauen könnte. Über den geplanten Tunnel unter der Ostsee sagt er allerdings: "Alles Mumpitz!" Irgendwann juckte es ihn. Es ist Jahre her. Er glaubte den Versprechen aus Kiel und Kopenhagen nicht. Er besorgte sich Studien, Berechnungen, Gutachten, Verkehrsschätzungen und machte sich seine eigenen Gedanken. So kam er zum Ergebnis: Das Zahlenwerk für den Bau sei nicht belastbar, die Berechnungen zweifelhaft, die negativen Folgen des Tunnels größer als der Nutzen. "Das Ganze wird niemals für sechs Milliarden Euro gebaut werden können", sagt er. Zwölf Milliarden seien realistischer. Ein Projekt für die dänische Bauindustrie, sonst niemanden. Vielleicht hat Kerlen ja recht, vielleicht explodieren demnächst die Kosten wie bei der Hamburger Elbphilharmonie oder dem Stuttgarter Bahnhof. "Fehmarn 21" hatten Umweltverbände den Bau im Norden getauft und damit ihren Widerstand legitimiert. Doch mit den wütenden Protesten vor drei Jahren am Stuttgarter Hauptbahnhof ist das nicht annähernd vergleichbar. Auf ganz Fehmarn gibt es nicht einmal Protestschilder an den Straßen. "Es fehlt einfach die kritische Masse", sagt der Ingenieur Kerlen und macht eine kleine Pause. "Wir müssen das Thema in Zukunft eskalieren." Wie das gehen könne, darüber muss er noch ein bisschen nachdenken.
Posted on: Sat, 13 Jul 2013 07:34:54 +0000

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