Türkei: Die „Freikaufsregelung“ – Ein - TopicsExpress



          

Türkei: Die „Freikaufsregelung“ – Ein Milliardengeschäft von Gürsel Yıldırım und Julian Irlenkäuser (...) Seit Jahrzenten verdient die Türkei mit im Ausland lebenden männlichen Staatsbürgern jährlich Millionen von Euro, indem sie diese vor die Wahl stellt: entweder zahlen oder 15 Monate Militärdienst. Die Erpressung bleibt von Politik und Medien in Deutschland weitgehend unbeachtet. Und das, obwohl sie gerade im Zusammenhang mit der Debatte um die doppelte Staatsbürgerschaft eine wichtige Rolle spielt. (…) Doppelstaater und Optionskinder (…) Wer die doppelte Staatsbürgerschaft hat, also einen deutschen und einen türkischen Pass, unterliegt in der Türkei der Wehrpflicht. Dabei wird die Wehrpflicht von türkischen Doppelstaatern, die in Ländern leben, in welchen auch eine Wehrpflicht gilt, meist mittels gegenseitiger Anerkennung geregelt. Wer also zum Beispiel in Österreich lebt und den dortigen Zivildienst leistet, für den entfällt die Wehrpflicht in der Türkei. Das heißt zugleich, dass mit der Aussetzung der Wehrpflicht in Deutschland 2011 nunmehr die Möglichkeit entfällt, sich mittels eines in Deutschland geleisteten Zivildienstes von der Wehrpflicht in der Türkei befreien zu lassen. Was viele hierzulande freudig begrüßt haben, das Ende der Wehrpflicht in Deutschland nach über 50 Jahren, war für all jene Doppelpass-Inhaber, deren „Zweit-Staat“ eine Wehrpflicht kennt, ein eher schmerzhaftes Ereignis. Betroffen sind neben zehntausenden „Auslandstürken“ vor allem Griechen, Finnen, Zyprioten und Russen. Die betroffenen „Auslandstürken“ werden also vor die Wahl von einer von vier Möglichkeiten gestellt: Entweder erwirken sie eine Entlassung aus der türkischen Staatsbürgerschaft, oder sie sparen bzw. leihen sich 6.000 €, oder sie dienen 15 Monate im türkischen Militär, oder aber sie verzichten ab dem Alter von 38 auf die Einreise in die Türkei. Nach der Erhöhung der Freistellungsbetrag auf 10.000 € war eine Fluchttendenz der Jugendlichen vor dem türkischen Pass festzustellen. So haben laut Süddeutscher Zeitung in München „von 199 Betroffenen inzwischen 188 eine Entscheidung gefällt. Nur vier von ihnen haben sich bisher gegen den deutschen Pass entschieden. Diese Quote deckt sich in etwa mit den bundesweiten Zahlen.“7 Zu Recht. Ob diese Fluchttendenz der „Optionskinder“ mit dem neuen Freikaufsbetrag von 6.000 € nachlässt, wie die AKP-Regierung sich erhofft, ist ungewiss. Jedenfalls bedeutet auch der neue Freikaufsbetrag besonders für ökonomisch schwache Migranten eine große Belastung. Denn wer möchte einen Pass, der 6.000 € kostet? Dementsprechend sollte in der weiteren Debatte über die Doppelpass-Frage das Thema der türkischen Wehrpflicht nicht einfach übergangen werden. Denn mal angenommen die deutsche Position diesbezüglich ändert sich insofern, als dass es langfristig (und eigentlich erfreulicherweise) zu einer Zulassung eines deutsch-türkischen Doppelpasses käme, dann würde das alle männlichen deutsch-türkischen Doppelpass-Inhaber zugleich zu Wehrpflichtigen in der Türkei werden lassen. Bisher haben weder jene Politikerinnen und Politiker, die sonst gerne typische „Migantenthemen“ für sich reklamieren, noch die einschlägigen Interessensverbände hier viel von sich reden gemacht. (…) Das Ergebnis der schriftlichen Anfrage Am 13. Dezember 2012 richtete (…) die militärkritische Abgeordnete der prokurdischen Partei für Frieden und Demokratie (BDP), Sebahat Tuncel, eine parlamentarische Anfrage an den Verteidigungsminister der Türkei. Sie wollte wissen, „wie hoch die Geldsumme“ im Zusammenhang mit der Freikaufsregelung sei, „die seit 1995 von männlichen türkischen Staatsbürgern im Ausland eingenommen wurde“. Am 9. Januar 2013 beantwortete der Verteidigungsminister die Anfrage mit einer Tabelle, in der die jährlichen Beträge bis auf den Cent genau aufgelistet sind.9 Das Ergebnis lässt aufhorchen: Um der Wehrpflicht zu entgehen, haben türkische Staatsbürger demnach in den Jahren 1995 bis 2012 insgesamt 2.777.239.378,80 TL (ungefähr 1,2 Milliarden €) an den türkischen Staat gezahlt. Die Tendenz ist dabei klar steigend: Flossen 1995 „nur“ gut 60 Millionen TL auf diesem Wege in die türkische Staatskasse, war es im letzten Jahr fast das Dreifache. Auffällig ist dabei, dass die Summen, die über all die Jahre hinweg bis hin zu einem Rekordwert von über 400 Millionen TL im Jahr 2011 kontinuierlich gestiegen waren, damit 2012 erstmals sanken. Die Erklärung dafür ist einfach und deckt sich mit der bereits erwähnten Änderung der Gesetzeslage. Denn, wir erinnern uns, bevor die neue Regelung zum 1. Januar 2012 in Kraft trat, bildeten sich lange Schlangen vor den türkischen Konsulaten. Tausende versuchten sich damals noch zum günstigeren Tarif von 5.100 € freizukaufen. Von den insgesamt 50.000 betroffenen „Auslandstürken“, die Ende Dezember 2011 vor den türkischen Konsulaten in Europa Schlange standen, waren laut der Tageszeitung Hürriyet 26.000 dauerhaft in Deutschland lebende türkische Staatsbürger. Die Zahlen des Verteidigungsministeriums der Türkei sollten vor allem von denen genauer in Augenschein genommen werden, die einerseits die doppelte Staatsbürgerschaft für „Optionskinder“ fordern und andererseits das Thema Wehrpflicht in der Türkei unerwähnt lassen. Denn solange diese unverändert fortbesteht, bedeutet der türkische Pass für viele der Betroffenen mehr eine Last, denn ein Gewinn. In der Konsequenz wäre es sinnvoll, beide Debatten miteinander zu verknüpfen. Wer also die Forderung nach dem Doppelpass stellt, der sollte sich auch mit den Konsequenzen für die Betroffenen beschäftigen. Diese werden nämlich zusammen mit dem türkischen Pass gleichzeitig zum Opfer der genannten Erpressung. Und dabei macht die „Freikaufsregelung“ keinerlei Unterschied zwischen den ökonomisch etablierten „Mittelschichtstürken“ oder Hartz IV-Empfängern. Betroffene Doppelstaater werden nach wie vor vor die Wahl gestellt: Entweder 15 Monate militärische Indoktrination, 6.000 € in die türkische Staatskasse oder lebenslanger Verzicht auf die geliebte „Heimat“. (…) connection-ev.org/article-1907
Posted on: Thu, 28 Nov 2013 19:41:28 +0000

Trending Topics



Recently Viewed Topics




© 2015