Eine kleine Geschichte vom Erfolg Vor vielen, vielen Jahren, - TopicsExpress



          

Eine kleine Geschichte vom Erfolg Vor vielen, vielen Jahren, während meiner Zivildienstzeit, verbrachte ich als Sanitäter für die Johanniter-Unfall-Hilfe Tage und Nächte im Krankenwagen. Tagsüber war unsere Hauptbeschäftigung, alte, gebrechliche Menschen zu Arztbesuchen und wieder zurück in ihr bescheidenes Zuhause zu fahren. Als junger Mensch, der sich nicht vorstellen konnte, was Alter überhaupt sein sollte, lernte ich bedürftige, ängstliche Menschen kennen, die nun, am Abend ihres Lebens, auf die Hilfe anderer angewiesen waren. Ohne dass ich mir wirklich darüber Gedanken gemacht hätte, vermutete ich bei den meisten alten Menschen ein Leben in Armut und ging davon aus, dass sie schon immer am Rande unserer Gesellschaft gestanden hatten. Das Leben war einfach an ihnen vorbeigezogen. Es hatte sie nicht beachtet, und genauso wenig hatten es diese Menschen geschafft, etwas aus ihrem Leben zu machen. Mit der Überheblichkeit der Jugend und meinem Erfolg als Schauspieler im Rücken lag das ganze Leben noch vor mir, und es war für mich undenkbar, dass ich jemals so enden würde. Dafür war ich doch viel zu erfolgreich. Trotz des gewaltigen Altersunterschieds mochte ich aber den Kontakt mit diesen Menschen und die Tätigkeit, die ich ausüben durfte. Ich mochte sie, die sympathischen Augen und die weichen Hände, die darum baten, beim Gehen an die Hand genommen zu werden. Ich mochte auch ihre Langsamkeit in einer beschleunigten Welt. Ich selbst war beruflich auf dem Höhepunkt meiner Karriere, drehte einen Film nach dem anderen und wurde auch von den älteren Menschen, die mich erkannten, öfters darauf angesprochen. Ihr Leben bestand ja nur noch darin, vor dem Fernseher zu sitzen, und so erzählte ich ihnen manches Mal von der Welt der Stars und den Blitzlichtgewittern. Mit der Zeit kannte ich bereits viele von diesen alten Menschen. Sie hatten ihre routinemäßigen Arztbesuche, und ich fuhr sie regelmäßig dorthin und wieder zurück. Viele von ihnen habe ich längst vergessen, und niemand von ihnen dürfte heute, nach vierzig Jahren, noch am Leben sein. Aber ein Mann ist mir noch immer im Gedächtnis geblieben. Denn er zeigte mir etwas, was mir sehr zu denken gegeben hatte. Fast jede Woche fuhr ich ihn zum Arzt. Immer am Dienstag um 10 Uhr. Seit fast drei Monaten sahen wir uns. Wir mochten uns irgendwie, aber außer „Guten Morgen“, „Wie geht es Ihnen?“, „Auf Wiedersehen“ hatten wir nie viele Worte miteinander gewechselt. Eines Tages, nach dem üblichen „Guten Morgen“ und dem Schweigen während der Fahrt, sagte er plötzlich zu mir: „Es bleibt nicht so.“ Erstaunt sah ich ihn an. Ich verstand nicht, was er meinte. „Der Erfolg“, fuhr er fort und lächelte. „Der Erfolg vergeht. Das Einzige, was bleibt, ist die Liebe, die man investiert. Dann hat man sich später nichts vorzuwerfen.“ Er lächelte weise, und ich dachte nicht weiter darüber nach. Schließlich war ich mit mir selber viel zu sehr beschäftigt. Beim Abschied rief ich ihm mein übliches „Einen schönen Tag noch“ hinterher und hakte seine Bemerkung als skurriles Gerede eines alten Mannes ab. Aber eine Woche später holte ich ihn erneut von seinem Arztbesuch ab. Ich knöpfte seine Jacke zu, die er falsch geschlossen hatte, und nannte den kleinen, hilflosen Mann „Paps“. Ich hatte es nett gemeint, aber er erkannte nur zu gut meine jugendliche Überheblichkeit. Er lachte mit seiner schwachen, hellen Stimme, ergriff meine Hände und sah mich an. „Dann weißt du ja, wohin die Reise geht. Das hier ist auch deine Zukunft.“ An meiner Reaktion konnte er sehen, für wie absurd ich diese Bemerkung hielt. „Du kleiner, liebenswerter, arroganter Kerl“, sagte er schmunzelnd. Es war ein liebes, verständnisvolles Lächeln. Er erinnerte sich an das Privileg der Jugend. Er sah mich eindringlich an, und dann erfuhr ich, dass er im Leben überhaupt nicht so hilflos gewesen war, wie es nun den Anschein hatte. Er hatte eine Firma mit 70 Angestellten gehabt und eine Familie mit zwei Kindern. Ich war erstaunt. Nie hatte ich einen erfolgreichen Mann hinter diesem alten, gebrechlichen Gesicht vermutet. Er lachte, denn mein Erstaunen war mir deutlich anzusehen. „Ja“, sagte er, mit einem weichen wehmütigen Lächeln, „ich war nicht nur erfolgreich, ich hatte auch eine Familie. Aber ich hatte einfach zu wenig Zeit für sie, weil die Firma jede Sekunde meines Lebens fraß. Nun ja, wie das Leben so läuft, meine Frau lernte jemand anderen kennen und nahm die Kinder mit.“ Ich half ihm in den Wagen und schnallte ihn an, weil seine schwachen Hände nicht mehr die Kraft dafür besaßen, und erfuhr, dass ihm nach der Scheidung nur die Firma geblieben war und einige Affären, an die er sich noch gut erinnerte. Aber die Zeiten änderten sich, die Erfolge der Firma ließen nach. Auch sein Erspartes. Nein, mittellos war er nicht, aber alt. Zu alt, um alleine zu leben. Er konnte sich das Altersheim leisten, das war für ihn in Ordnung. Aber dass seine Kinder ihn nicht besuchten, damit kam er weniger klar. „Was bleibt einem denn schon?“, sagte er, und seine Augen waren voller Trauer. „Worauf soll ich denn stolz sein? Wofür hat es sich denn gelohnt zu leben? Dass ich eine Firma hatte und beruflichen Erfolg? Nun, die Kinder besuchen jetzt wohl ihren neuen Papa, der wahrscheinlich wesentlich mehr Zeit für sie hatte.“ Eine Weile sagte keiner von uns etwas. Der Krankenwagen stand noch immer vor dem Arztgebäude, und wir saßen beide stumm auf dem Rücksitz. „Ich war also sehr erfolgreich“, fuhr er leise fort, als er bemerkte, wie nachdenklich er mich gemacht hatte. „Aber heute bin ich mir nicht mehr so sicher. Ich habe die Frau geheiratet, die ich liebte, die ich noch heute liebe, aber ich bin nicht mehr mit ihr zusammen. Sie hat jetzt Krebs, habe ich gehört. Ich spiele keine Rolle mehr in ihrem verbleibenden Leben, ein anderer sitzt an ihrem Bett und verbringt die letzten Stunden mit ihr. Und weißt du“, lachte er, und seine Augen strahlten, „ich war so glücklich, als ich Vater wurde. Als sie es mir damals gesagt hat, war ich so glücklich. Wir haben Champagner gekauft, den ich alleine getrunken habe, weil eine werdende Mutter ja nicht trinken darf. Und ihr Gesicht, das hättest du sehen sollen, es war so schön.“ Er schwieg eine Weile, lächelnd, in Erinnerungen versunken. Dann wurde sein Gesicht wieder ernster. „Aber ich hatte keine Zeit für meine Kinder. Ich hatte ja meine Firma. Wir stellten Lacke her. Sehr erfolgreich. Aber, nun ja ... Bin ich wirklich so erfolgreich gewesen? Damals hätte ich diese Frage mit einem eindeutigen Ja beantwortet, heute würde ich zögern.“ Der alte Mann, von dem ich nicht einmal mehr den Namen weiß, stützte sich auf seine dünnen Ärmchen und fragte mich traurig lächelnd, ob er mir ein Geheimnis verraten solle. „Was denn für ein Geheimnis?“ Er nahm meine Hand und zog mich an sich. „Wahrer Erfolg findet nur im Herzen statt.“ An diesem Nachmittag bestand er darauf, dass ich ihn zum Aufzug des Altersheimes bringe. Und dann noch in sein Zimmer. Dort nahm er aus einer kleinen Kunstledertasche umständlich eine Fernsehzeitschrift heraus. Auf einer Doppelseite war ein Bericht über mich mit einem großen Foto. „Auf dieses Foto“, sagte er, „bist du wahrscheinlich sehr stolz. Aber nächste Woche wird mit diesem Foto der Fisch eingepackt und jemand anders hat auf dieser Seite deinen Platz eingenommen.“ Er sah mich milde lächelnd an und setzte sich auf sein frisch bezogenes Bett. „Dieses Foto hat nur dann einen Wert, wenn es jemand in seinem Herzen trägt. Wenn es eingerahmt auf einem Schreibtisch steht, weil es jemanden gibt, der dich liebt.“ Wir aßen ein paar alte Kekse und tranken einen extrem dünnen Kaffee, den die Schwestern uns vorbeigebracht hatten, glücklich darüber, dass der alte Mann endlich einmal Besuch hatte. Ich sah ein Foto auf einer kleinen Kommode. Es zeigte eine strahlend hübsche Frau im besten Alter. Ein Mann stand neben ihr und hatte den Arm um sie gelegt. Sein Gesicht war jung und voller Stolz, und ich erkannte darin die Züge des alten Mannes. Die Frau hatte ein Baby auf dem Arm, vor dem Mann stand ein kleiner Junge, an dessen Lachen man erkennen konnte, dass er noch keine Zähne besaß. Der alte Mann nickte wehmütig. „Erfolg bleibt nicht“, sagte er leise. „Bleiben tust nur du. Erfolge verändern sich mit dir. Heute ist es ein Erfolg, wenn ich morgens meine Schuhe selber zubinde oder wenn ich den Namen einer Schwester im Gedächtnis behalte und ihn parat habe, wenn ich sie sehe. Aber auch das wird sich ändern. Wahrer Erfolg bleibt nur hier.“ Dabei tippte er sich auf sein Herz. „Meines ist gebrochen. Obwohl ich so erfolgreich war. Aber vielleicht war ich ja gar nicht so erfolgreich. Vielleicht ist dein Foto hier in der Zeitung auch gar nicht so erfolgreich. Auch wenn du das jetzt glaubst.“ Dann stand er von seinem Bett auf und ließ sich von mir in den Gemeinschaftsraum führen. Viele alte Menschen saßen an Tischen oder in tiefen Ledersesseln. Sie lasen, spielten Karten oder beschäftigten sich mit Brettspielen. Wir setzten uns an einen alten Tisch am Fenster, und er deutete in den Raum. „Hier gibt es viele einsame, vergessene Menschen. Nur wenige haben öfters oder gar ständig Besuch. So manche Herzen sind verletzt und schwer. Das Einzige, was uns heute gewiss ist: Nur wer in die Liebe investiert hat, ist wirklich erfolgreich.“ Ein Mann im Rollstuhl fuhr an uns vorbei und sah mich an. „Das ist Hans“, sagte er leise. „Er hatte ein Kanzlei. Strafrecht. Dreißig Jahre lang. Er war richtig gut. Und dann hatte er einen Schlaganfall. Besuchen tut ihn heute niemand. Aber ich wollte dir jemand anderen zeigen.“ Dann deutete er mit seinen knöchrigen Fingern auf eine alte Dame in einem der Ledersessel. Sie war im Gespräch mit einem jungen Mann. „Regina“, sagte er und nickte. „Sie hatte im Leben überhaupt keinen Erfolg. Keine Firma, kein Studium, nicht einmal eine abgeschlossene Lehre. Und dennoch hat sie jeden Tag Besuch. Na ja, sie hat eben in die Liebe investiert. Wir alle beneiden sie darum. Menschen erinnern sich an sie. Man holt sie ab. An Wochenenden, an Feiertagen, an Weihnachten. Im Sommer verbringt sie die Zeit bei ihren Enkeln. Mich besucht nicht ein einziger Angestellter. Nicht meine Kinder und nicht meine Frau, die im Sterben liegt. Ich werde sie wohl nie wieder sehen.“ Die alte Frau bemerkte, dass wir sie betrachteten, und winkte uns liebevoll zu. „Versuche in jedem alten Menschen den 16-jährigen Jungen oder das 16-jährige Mädchen zu sehen. Du wirst dich wundern. Oder noch besser: Versuche einmal, dich selbst in jedem alten Menschen zu sehen. Dann wirst du schnell erkennen, was dich wahrhaftig erfolgreich macht.“ Er setzte sich in einen Stuhl am Fenster. Er wirkte müde, und ich ließ ihn alleine. Unten auf dem Kiesweg sah ich noch einmal sein Gesicht und seine Hand, die mir zum Abschied zuwinkte. Dieser Moment ist mir wohl deswegen so tief in Erinnerung geblieben, weil es keinen weiteren Dienstag mehr gab, da ich ihn abholen durfte. Er starb an einem Freitag. Alleine. Ohne seine Frau. Ohne seine Kinder. Nicht einmal ich konnte ihn mehr besuchen. Sein Zimmer war bereits leer geräumt, das Foto auf der Kommode verschwunden, ebenso die Fernsehzeitschrift mit meinem Bild und dem Bericht über mich. Am Kiosk gab es schon die nächste Ausgabe des Wochenblattes. Nichts ist so vergänglich wie der Erfolg. Denn der wahre Erfolg findet nur im Herzen statt. Mein Herz hatte er berührt. Aber ich kam nicht mehr dazu, es ihm zu sagen. Erfolg ist ... in die Liebe zu investieren. Immer wenn ich an dieses Erlebnis zurückdenke, erinnere ich mich an Walter Benjamin, der einmal gesagt hat, dass man einer Geschichte erst dann Bedeutung zumessen könne, wenn man das Ende von ihr gelesen habe. Dass man sogar erst dann, mit diesem Wissen, den Anfang richtig lesen und verstehen könne, wenn man die letzte Seite erreicht habe. Dann wissen wir also vielleicht jetzt noch gar nicht, was Erfolg eigentlich ist. ... Was Erfolg für dich ist. ....................... Text: Pierre Franckh Aus dem Buch: Einfach erfolgreich sein amazon.de/gp/product/3442338905/ref=as_li_qf_sp_asin_il_tl?ie=UTF8&camp=1638&creative=6742&creativeASIN=3442338905&linkCode=as2&tag=michaelamerte-21
Posted on: Thu, 03 Oct 2013 00:02:44 +0000

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