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Merkel im Klassenkampf Eine Kolumne von Jakob Augstein Die Kanzlerin genießt einen präsidialen Ruf. Aber statt über den Dingen zu stehen, watet Angela Merkel knietief im Sumpf des Autolobbyismus. Die Mär von der sozialdemokratisierten Kanzlerin hat damit ein Ende. Pech für die Kanzlerin: Gerade hat sie die Wahl so schön gewonnen und bereitet sich auf eine dritte Amtszeit vor, da ziehen wieder düstere Wolken der Wirklichkeit auf. Der SPIEGEL schreibt, dass die Staatsanwaltschaft prüft, gegen einen engen Merkel-Vertrauten zu ermitteln: Eckart von Klaeden, bald Cheflobbyist bei Daimler, war bis vor kurzem Merkels rechte Hand im Kanzleramt und soll sich dort im Zusammenhang mit dem Wechsel zur Automobilindustrie der Vorteilsannahme und Vorteilsgewährung schuldig gemacht haben. ANZEIGE Gleichzeitig wurde bekannt dass die Quandt-Familie, also die BMW-Eigner, der CDU beinahe 700.000 Euro gespendet hat. Und all das spielt sich vor einem Brüsseler Hintergrund ab, wo Merkel gerade eine bereits ausgehandelte CO2-Richtlinie in letzter Minute ausbremste. Jetzt fragt sich die Republik: Kann man die Kanzlerin kaufen? Nein! Um Gottes willen! Nicht diese Kanzlerin, ruft es aus allen Ecken. Man sieht: Nicht nur Sigmar Gabriel vertraut der Kanzlerin, sondern auch der Rest des Landes. Ihr Humor ist so trocken wie der Boden Brandenburgs und ihr Verstand so nüchtern wie der Himmel darüber. Die herrschende Meinung bei Freund und Feind lautet: Es verbietet sich geradezu, die Worte Kanzlerin und Korruption in einem Atemzug zu nennen. Cheflobbyistin der deutschen Autoindustrie Das ist rührend. Aber es muss die Frage erlaubt sein: warum eigentlich? Korruption bedeutet nicht immer, dass jemand die eigenen Taschen aufhält. Mancher hält lieber die der anderen auf. Und das tut Angela Merkel ohne Zweifel. In Brüssel hat sie sich als Cheflobbyistin der deutschen Automobilindustrie betätigt, als sie den in mühsamen Verhandlungen von Europäischem Parlament und Mitgliedstaaten gefundenen Kompromiss zur CO2-Richtlinie torpediert hat. Abgesehen vom neuerlichen europäischen Flurschaden hat Merkel damit nicht den Nutzen des deutschen Volkes gemehrt, sondern nur den der Industrie. Das ist nicht dasselbe. Was gut ist für BMW, muss nicht gut sein für Deutschland. Da hat sich ein Missverständnis von Politik und Gesellschaft festgesetzt. Der Nutzen eines Landes und seiner Menschen berechnet sich nicht nach den Gewinnen der Konzerne. Wer das immer noch glaubt, hat aus der Finanzkrise nichts gelernt. Und wir haben nichts gelernt. In den ersten Jahren nach der Krise wuchs die Sehnsucht nach Aufbruch. Vorbei. Jetzt herrscht wieder die Restauration. Familie Quandt kann es sich leisten, die peinliche Koinzidenz von Großspende und Brüsseler Wende zu ignorieren. Wer die Macht hat, muss sich um das Murren nicht kümmern. Die Mär von der sozialdemokratisierten Union Wir sind wieder in der Normalität angekommen. Die CDU macht Klientelpolitik für die Industrie, und die Industrie steht fest an der Seite der CDU. Jetzt hat die Mär von der sozialdemokratisierten Union und von der Kanzlerin, die ebenso gut in der SPD sein könnte, ein Ende. Diese Illusion war immer Teil von Merkels Strategie: Gegensätze verwischen, Interessen verschleiern, Haltungen vermeiden, falsche Bilder und Eindrücke erzeugen. Man nennt das Täuschung - Merkel täuscht die Deutschen, oder die Deutschen täuschen sich in ihr. Die Macht hat mächtige Helfer. Beispielsweise die Bild am Sonntag. Jetzt hat das Blatt der Unternehmerin Maria-Elisabeth Schaeffler das Wort gegeben, Hauptgesellschafterin der Schaeffler-Gruppe, Maschinenbau und Automobilzulieferer, mehr als 76.000 Beschäftigte. Überschrift: Löhne sind kein Spielball der Politik; es geht - natürlich - um den Mindestlohn: Frau Schaeffler spricht sich aus gegen weitere Belastungen für die Unternehmen, ob bei Steuern oder Energiepreisen. Das ist die Voraussetzung für Investitionen und dafür, dass die Wirtschaft in Deutschland weiter rundläuft. Die Journalisten fragen nicht nach. Die Zeitung bezieht ihre Position an der Seite der Habenden - so wie viele Medien im Land es tun. Hier sehen wir eine elegante Frau mit prächtigem Haar, deren familiäres Privatvermögen auf rund 6,4 Milliarden Euro geschätzt wird, die sich über den Mindestlohn erregt. Staat als Beute der Habenden In diesem Bild liegt unsere ganze gegenwärtige Perversion. Es sind Leute wie Frau Schaeffler, die schon die Debatte über einen politischen Kurswechsel für unverschämt halten. Sie haben sich den Staat als Beute genommen. Wenn sie von Freiheit reden, meinen sie ihre Freiheit. Wenn sie von Rechten sprechen, meinen sie ihre Rechte. Und wenn es um Pflichten geht - dann sind die der anderen gemeint. Und die lassen sich das schweigend gefallen. Was sollen sie tun? Man hat nicht gehört, dass Merkel einen engen Berater aus den Reihen der Hartz-IV-Empfänger an ihrer Seite hätte oder dass es eine Lobby normaler Bürger gäbe, die ihren Einfluss im Kanzleramt zur Geltung brächte. Die SPD könnte diese Lobby sein. Aber sie will ja nicht ins Kanzleramt, ihr genügt das Pförtnerhäuschen. Dort bereitet sie die Große Koalition vor. Auch Hannelore Kraft ist am Wochenende umgefallen. Was denn der schlechtbezahlte Pfleger und die Friseurin im Osten sagen sollten, wenn die SPD nicht einmal versuchen würde, Verbesserungen für sie herauszuholen, fragte sie am Sonntagabend in die Runde des SPD-Konvents, der über die Frage abstimmen sollte. Hammerargument! Jetzt besorgt die SPD der Friseurin im Osten den Mindestlohn, und wenn das nächste Mal gewählt wird, gibt es eine Stimme mehr für gute Sozialpolitik - aber zugunsten der Kanzlerin. Sie führt nämlich das Konto der Großen Koalition. Und der Gewinn reicht immer nur für einen. ANZEIGE Eckart Lohse hat in der FAS am Wochenende sehr überzeugend von der Pflicht der Parteien geschrieben, nicht nur an der politischen Willensbildung mitzuwirken - sondern auch an der Regierung. Darum tadelt er auch die Grünen und die Linken. Aber Lohse übersieht, dass die Selbstzerstörung nicht zum Verfassungsauftrag gehört, den das Grundgesetz den Parteien auferlegt. Es ist ein trauriges Bild, wie die SPD jetzt um die Krümel für ihre Klientel kämpft. Zur Erinnerung: 8,50 Euro in der Stunde bedeutet bei einem Vollzeitjob 1400 Euro im Monat. Aber die CDU wird dafür sorgen, dass Frau Schaeffler keine höheren Steuern zahlen muss. Es geht ja um Deutschland.
Posted on: Tue, 22 Oct 2013 10:28:35 +0000

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