Studie: Missstände im Pflegesystem Kritikern geht Verschärfung - TopicsExpress



          

Studie: Missstände im Pflegesystem Kritikern geht Verschärfung der Heim-Benotung nicht weit genug Berlin (epd/dpa). Die Anti-Korruptions-Organisation Transparency International prangert Betrug und Intransparenz im Pflegesektor an. Marktgesetze bestimmten das Handeln und nicht ethische Werte, kritisierte Anke Martiny, Vorstandsmitglied der deutschen Sektion. Die Sozialwissenschaftlerin und Co-Autorin der Studie, Barbara Stolterfoht sagte, bei privatwirtschaftlichen Pflegeanbietern stehe oft die Immobilienrendite im Vordergrund. Beliebt sei die Konstellation, dass Immobiliengesellschaft und Betreibergesellschaft entweder beide in der Hand des gleichen Eigners lägen oder nur formal getrennt seien. Geld, das ausschließlich für die Pflege vorgesehen sei, fließe häufig in die Miete der Gebäude, was gesetzlich nicht zulässig ist. Missstände in der Pflege aufzudecken, sei extrem schwierig. Grund sei die »hohe Komplexität« des Sektors mit zahlreichen Akteuren und unterschiedlichen Verwaltungsvorschriften in den einzelnen Bundesländern. Der »Pflege-TÜV«, der gerade überarbeitet wird, ist aus Sicht von Transparency keine Hilfe, sondern nur ein weiteres Beispiel für »die überbordende Bürokratie«. Nach dreijährigem Ringen haben sich Pflegekassen und Heimbetreiber auf eine Reform geeinigt. Allerdings fehlt es den Noten für die Heime laut Kritikern auch nach der Reform an Aussagekraft. Die Grünen forderten eine Aussetzung, bis ein besseres Verfahren erarbeitet sei. Die pflegepolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion, Elisabeth Scharfenberg, erklärte, die Aushandlung der Qualitätsanforderungen könne man nicht den Heimträgern und den Kassen überlassen: »Der Interessenskonflikt ist offensichtlich.« Vom kommenden Jahr an sollen die neuen Regeln gelten. Im zentralen Streitpunkt, ob es Kernkriterien geben soll, konnten sich die Kassen gegen den Widerstand der Pflegeanbieter nicht durchsetzen. Die Pflegenoten für Heime sind vor allem deshalb umstritten, weil sie die eigentliche Pflege nicht stark genug gewichten und häufig zu positiv ausfallen. Künftiger soll es schwieriger werden, ein »sehr gut« zu bekommen. In einem Pilotprojekt gegen den Pflegekräftemangel werden 150 Chinesen innerhalb eines Jahres in Deutschland ihre Arbeit aufnehmen. Nach zweijähriger Vorbereitung starte ein entsprechendes Vorhaben, teilte der Arbeitgeberverband Pflege gestern mit. Der Aufenthalt in Deutschland sei nicht befristet. Nach Angaben der Organisation fehlen derzeit mehr als 30 000 Fachkräfte in der Pflege. Seite 4: Hintergrund Verloren im Pflegebetrieb Die Reform des Pflege-TÜV soll für mehr Klarheit sorgen Berlin (dpa). Immer wieder gibt es Berichte über Missstände in der Altenpflege. Nun soll der Pflege-TÜV verschärft werden – doch auf die Noten für die Heime können sich Betroffene wohl auch künftig nicht verlassen. Der Großvater lag zwischen Sofa und Couchtisch auf dem Fußboden. Er war gefallen und kam aus eigener Kraft nicht mehr hoch. Ab da erschien es auch der Enkelin unverantwortlich, dass der 93-Jährige weiter allein lebt. Die Heimsuche begann – eine Odyssee. Die Wahl fiel schließlich auf eine Einrichtung mit der Note 1,1. Bald nach Einzug des Opas merkten die Angehörigen aber, wie miserabel die Zustände in dem Heim in Wahrheit waren. So verloren im Pflegealltag wie in diesem in Berliner Medien geschilderten Fall sind viele Betroffene. Nun soll ein verbessertes Notensystem helfen – doch Schwächen werden bleiben, befürchten Experten. Heimbetreiber und Krankenkassen hatten über einen besseren Pflege-TÜV verhandelt. Künftig soll es weniger Bestnoten geben. Angehörige sollen im Internet besser erkennen können, wie eine Einrichtung in Kernbereichen wie etwa der Abwehr von Druckgeschwüren und Flüssigkeitsmangel abschneidet. Kann der Pflege-TÜV künftig Missstände gründlich aufdecken – und Betroffenen schnell Auskunft über die Qualität eines Heims geben? Der Hamburger Gesundheitswissenschaftler Johannes Möller hatte das bisherige Prüfsystem untersucht und Mängel festgestellt. Nun sagt er, eine verständliche Beurteilung könne es nur geben, wenn die Noten etwas über die Qualität aussagen. »Das gibt es auch künftig nicht.« Der Verband Deutscher Alten- und Behindertenhilfe, der über die Reform mitverhandelt und gegen den Kompromiss gestimmt hatte, geht weiter – die Reformpläne sind für ihn nur ein Feigenblatt, um das ungeeignete Transparenzsystem zu legitimieren. Möller erläutert Schwachstellen. »Wer einen Verbandswechsel nicht steril hinbekommt, der darf keine Eins oder Zwei bekommen.« Das könne aber trotz der Nachbesserungen weiter passieren. »Außerdem bleibt unklar, ob Ergebnisqualität gemessen wird oder Dokumentationsqualität.« Auch künftig könne ein Heim gut abschneiden, wenn es nur seine Akten ordentlich führt. Und die Prüfer des Medizinischen Dienstes hätten bei mehreren Kriterien nicht ausreichend differenzierte Bewertungsmöglichkeiten. Der Bundespatientenbeauftragte Wolfgang Zöller (CSU) meint: »Ich möchte in Zukunft besonders pflegerelevante Kriterien bei der Gesamtbeurteilung hervorgehoben wissen, weniger Strichlisten, die letztendlich keine Aussagekraft haben.« Stichproben müssten zeigen, ob Patienten auch die verordneten Medikamente bekommen. Folgt man den Kritikern, gibt es vor allem wegen der Blockade von Heimbetreibern nicht mehr Licht im Dickicht der Pflegeangebote. Kommentar Nur die Hälfte wert Wenn ein Pfleger im Krankenhaus oder Altenheim sich immer mehr um Akten als um die Menschen kümmern muss, ist etwas faul im System. Daran hatte Transparency International nicht so viel auszusetzen. Bei der Vorstellung ihrer Studie sprach die Organisation von Betrug und Korruption. Zu wenig Kontrollen, lasche Regeln und zu viel Bürokratie – so lauten die Vorwürfe. Wenn aber die Heime häufiger kontrolliert werden, wächst zugleich der bürokratische Aufwand. Der Hamburger Forscher Johannes Möller gibt Transparency einen guten Rat: »Legt Beweise vor oder schweigt.« Denn die Experten vom Pflege-TÜV wollen nicht nur Patienten sehen, sondern auch die Karteikarten, in denen jede Leistung für die Abrechnung aufgelistet sind. Dafür geht viel Arbeitszeit drauf, die besser für die Zuwendung an den Menschen genutzt werden sollte. Und was nutzt die Top-Bewertung eines Heimes, die durch Sauberkeit im Garten und gute Küche erworben wurde, wenn nicht kontrolliert wird, ob der Patient ausreichend trinkt? Damit ist selbst eine angestrebte Verschärfung des Pflege-TÜV nur noch die Hälfte wert. Leider. Wilfried Schnitker Westfalen-Blatt vom 14.08.2013
Posted on: Wed, 14 Aug 2013 03:18:48 +0000

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